Betrachtung über Hebräer (Synopsis)

Einleitung

Betrachtung über Hebräer (Synopsis)

Der Hebräerbrief erfordert seiner Wichtigkeit wegen eine besonders aufmerksame Betrachtung. Er hat seinen eigenen, ganz bestimmten Charakter und Platz. Der Zweck des Briefes ist nicht die Darstellung der christlichen Stellung an und für sich, betrachtet als die Frucht der unumschränkten Gnade, des Werkes und der Auferstehung Christi, oder als das Ergebnis der Vereinigung der Christen mit Christus, der Glieder des Leibes mit dem Haupt – eine Vereinigung, welche die Gläubigen alle Vorrechte genießen lässt, die in seiner Person sind. Es ist vielmehr ein Brief, in dem derjenige, der die ganze Tragweite des Christentums – nämlich dass es den Christen, sei es persönlich, oder als ein Glied des Leibes in Christus vor Gott hinstellt – wirklich erfasst hat, dennoch den Herrn von hier unten beschaut. Er zeigt uns seine Person und seinen Dienst zwischen uns und Gott im Himmel, während wir uns in Schwachheit auf der Erde befinden, und zwar zu dem Zweck, um uns während wir hienieden wandeln, von allem abzusondern was uns in religiöser Beziehung an die Erde fesseln könnte, selbst wenn das Band (wie dies bei den Juden der Fall war) von Gott selbst angeordnet worden ist.

Der Brief zeigt uns Christus im Himmel und lässt uns infolgedessen sehen, dass die religiösen Bande zwischen uns und Gott himmlisch sind, obgleich wir uns persönlich noch nicht im Himmel befinden noch auch als dort mit Christus vereinigt betrachtet werden. Jedes Band mit der Erde ist abgebrochen, sogar während wir noch auf der Erde wandeln.

Es ist ganz natürlich, dass diese Unterweisungen in einem Brief gegeben werden, der an die Juden gerichtet ist, weil deren religiöse Beziehung irdisch und zugleich durch Gott selbst feierlich angeordnet waren. Die Heiden hatten, was ihre Religionen betrifft, keine formellen Beziehungen, außer zu den Dämonen. Für die Juden war dieser Bruch mit der Erde, seiner Natur nach, umso feierlicher, bestimmter und entscheidender, weil die religiöse Beziehung des Volkes göttlich gewesen war. Diese Beziehung musste völlig anerkannt und doch gänzlich aufgegeben werden, aber hier nicht deshalb, weil der Gläubige mit Christus gestorben und wieder auferstanden ist, sondern weil Christus im Himmel an die Stelle aller irdischen Vorbilder und Verordnungen getreten ist. Gott selbst, der die Verordnungen des Gesetzes eingeführt hatte, stellte jetzt andere Bande her. Bande von einem anderen Charakter, aber der sie herstellte, war immer derselbe Gott. Und diese Tatsache gibt Anlass zur Erneuerung der Beziehungen Gottes zu Israel, wenn das Volk einmal wiederhergestellt und im Genuss der Verheißungen sein wird. Nicht dass dieser Brief die Juden als gegenwärtig auf diesem Boden stehend betrachtet; er bleibt im Gegenteil bei dem stehen, was himmlisch ist, und bei einem Wandel durch Glauben, wie Abraham und andere ihn führten, die die Verheißungen nicht empfangen hatten; jedoch legt er Grundsätze nieder, die auf jene Stellung angewandt werden können, und an einer oder zwei Stellen lässt er für diese letzte Segnung des Volkes einen Platz offen und musste ihn offen lassen.

Der Römerbrief kann in der unmittelbaren Belehrung, die er gibt, diesen Platz der dem jüdischen Volk eigentümlichen Segnungen nicht einräumen. Von seinem Gesichtspunkt aus sind alle ohne Unterschied Sünder, und alle, die in Christus sind, sind miteinander gerechtfertigt vor Gott im Himmel. Noch weniger konnte in dem Epheserbrief bei dem Gegenstand, den dieser im Auge hat, von einer künftigen Segnung des Volkes Gottes auf Erden die Rede sein. Dieser Brief betrachtet die Christen nur als vereinigt mit ihrem himmlischen Haupt, als seinen Leib oder als die Behausung Gottes auf der Erde durch den Heiligen Geist.

An der Stelle, welche die Vereinbarkeit dieser Errettung (die, weil sie von Gott war, ohne Unterschied alle umfasst) mit der Treue Gottes bezüglich seiner dem Volk gemachten Verheißungen zeigt, berührt der Römerbrief (Röm 11) den in Rede stehenden Gegenstand sogar noch bestimmter als der Hebräerbrief. Er zeigt uns, dass Israel (obgleich in einer anderen Weise als früher) in der Reihe der Erben der Verheißung seinen Platz wieder einnehmen wird – einen Platz, der durch ihre Sünde eine Zeitlang teilweise leer gelassen war, um auf dem Grundsatz des Glaubens den Heiden den Eintritt in jene gesegnete Reihenfolge zu gestatten. Der Zweck der beiden angeführten Briefe ist aber der, den Gläubigen gänzlich von der Erde zu trennen und ihn in religiöser Hinsicht in Verbindung mit dem Himmel zu bringen: der Römerbrief mit Rücksicht auf seine persönliche Darstellung vor Gott mittelst der Vergebung und der göttlichen Gerechtigkeit; der Hebräerbrief mit Rücksicht auf die Mittel, die Gott angeordnet hat, damit der Gläubige in seinem Wandel hienieden seine gegenwärtigen Beziehungen zu dem Himmel aufrecht halten und seine tägliche Verbindung mit Gott in ihrer Unversehrtheit bewahrt finden möge. Ich sage: bewahrt, denn diese Bewahrung ist in der Tat der Hauptgegenstand dieses Briefes 1. Es muss aber hinzugefügt werden, dass die Beziehungen des Gläubigen zu Gott auf diesem Boden errichtet sind durch göttliche Offenbarungen, die den Willen Gottes sowie die Bedingungen mitteilen, unter denen es Ihm gefällt, mit seinem Volk in Verbindung zu stehen.

Wir müssen auch beachten, dass in dem Hebräerbrief – obwohl die Beziehungen des Volkes zu Gott auf einem neuen Boden, gegründet auf die himmlische Stellung des Mittlers, errichtet sind – diese Beziehungen als schon vorhanden betrachtet werden. Gott hat mit einem Volk zu tun, das Ihm schon bekannt ist. Er wendet sich an Personen, die mit Ihm in Verbindung stehen und die eine lange Zeit hindurch die Stellung eines Volkes, das Gott für sich aus der Welt herausgenommen, innegehabt hatten. Wir haben hier nicht, wie im Römerbrief, Sünder ohne Gesetz und Übertreter des Gesetzes, zwischen denen kein Unterschied ist, weil alle gleicherweise „die Herrlichkeit Gottes nicht erreichen“ und, die einen wie die anderen, „Kinder des Zorns sind“; noch haben wir, wie im Epheserbrief, eine ganz neue Schöpfung, die bis dahin unbekannt war. Die Leute, an die dieser Brief sich richtet, bedurften „etwas Besseres“, aber dieses Bedürfnis war vorhanden, weil sie in Verbindung mit Gott standen, und weil die Bedingungen ihrer Beziehung zu Ihm „nichts zur Vollkommenheit brachten“. Was sie besaßen, waren in Wirklichkeit nur Zeichen und Bilder; dennoch stand das Volk, ich wiederhole es, in Verbindung mit Gott. Viele von ihnen mochten das neue System der Segnung und Gnade von sich weisen und waren infolgedessen verloren, aber das Band zwischen dem Volk und Gott wird als vorhanden betrachtet, nur dass man, da der Messias offenbart worden war, unter jenem Volk nur dann einen Platz haben konnte, wenn man Ihn anerkannte.

Es ist zum Verständnis unseres Briefes sehr wichtig, diesen Punkt zu erfassen, nämlich dass er an Hebräer gerichtet ist, und zwar aufgrund einer Beziehung, die noch bestand 2, obwohl diese nur insoweit ihre Kraft behielt, als der Messias anerkannt wurde, der der Eckstein dieser Beziehung war. Daher verbinden die ersten Worte des Briefes den gegenwärtigen Zustand derer, an die er gerichtet ist, mit früheren Offenbarungen, anstatt jede Verbindung abzubrechen und eine neue, bis dahin nicht offenbarte Sache einzuführen.

Einige Bemerkungen über die Form des Briefes werden uns behilflich sein, ihn besser zu verstehen. Er nennt nicht den Namen seines Verfassers. Die Ursache davon ist rührend und beachtenswert: der Herr selbst war nach diesem Brief der Apostel Israels (Heb 3,1). Die Apostel, die Er sandte, wurden nur benutzt, um seine Worte durch Überlieferung an andere zu bestätigen (Heb 2,3), indem Gott selbst ihr Zeugnis durch wunderbare Gaben bekräftigte (V. 4). Dies lässt uns auch verstehen, dass, obgleich der Herr als Priester im Himmel ist, um dort sein Priestertum auszuüben und um die Verbindung des Volkes mit Gott auf einer neuen Grundlage zu errichten, der Verkehr Gottes mit seinem Volk vermittelst des Messias schon begonnen hatte, als Jesus auf der Erde in ihrer Mitte lebte. Folglich war der Charakter ihrer Beziehung zu Gott nicht etwa eine Vereinigung mit Christus im Himmel, sondern nur eine Beziehung zu Gott aufgrund göttlicher Mitteilungen und des Dienstes eines Mittlers bei Gott.

Weiter ist dieser Brief eher ein Vortrag oder eine Abhandlung, als ein Brief, der in der Ausübung des apostolischen Berufs an Heilige gerichtet ist, mit denen der Schreiber persönlich in Verbindung stand. Der Verfasser stellt sich weit mehr auf den Platz eines Lehrers als auf den eines Apostels. Er redet ohne Zweifel von der Höhe der himmlischen Berufung herab, aber in Verbindung mit der gegenwärtigen Stellung des jüdischen Volkes. Dessen ungeachtet geschah es zu dem Zweck, um die Gläubigen schließlich verstehen zu lassen, dass sie jene Stellung aufgeben mussten. Die Zeit des Gerichts über das Volk nahte heran, und in dieser Beziehung war die Zerstörung Jerusalems von großer Bedeutung, weil sie jede äußere Verbindung zwischen Gott und dem jüdischen Volk endgültig abbrach. Von da an gibt es weder Altar noch Opfer, weder Priester noch Heiligtum. Jedes Band ist durch das Gericht abgebrochen worden und bleibt abgebrochen, bis es wieder angeknüpft werden wird der Gnade gemäß unter dem neuen Bund.

Ferner wird man in diesem Brief mehr Gegensätze als Vergleichungen finden. Der Vorhang wird verglichen (Heb 10,20), aber während früher der Vorhang den Weg ins Heiligtum verschloss, führt jetzt ein neuer und lebendiger Weg in dasselbe ein. Es gab ein Opfer; aber während es einstmals wiederholt werden musste, um anzuzeigen, dass die Sünden noch vorhanden waren, haben wir jetzt ein Opfer, das ein für allemal dargebracht ist, so dass keine Erinnerung an die Sünden mehr da ist. Geradeso verhält es sich mit jeder wichtigen Einzelheit.

Der Schreiber dieses Briefes (Paulus, wie ich nicht bezweifle, doch ist das von geringer Wichtigkeit) gebraucht andere Beweggründe, als den des herannahenden Gerichts, um die gläubigen Juden zu veranlassen, ihre jüdischen Beziehungen aufzugeben. Doch sucht er sie zu bewegen, diesen letzten Schritt zu tun; und das Gericht war nahe. Bis jetzt hatten sie das Christentum mit dem Judentum verbunden; es gab Tausende von Christen, die sehr für das Gesetz eiferten. Gott aber war im Begriff, dieses System ganz und gar zu zerstören. Es war in der Tat schon gerichtet durch die Verwerfung Christi seitens der Juden und dadurch, dass sie dem Zeugnis des Heiligen Geistes widerstrebten. Unser Brief fordert die Gläubigen auf, gänzlich aus diesem System hinauszugehen und des Herrn Schmach zu tragen, indem er ihnen eine neue Grundlage für ihre Beziehungen zu Gott in der Person eines Hohenpriesters, der in den Himmeln ist, vorstellt. Zugleich verbindet er – durch die Vermittlung Christi, des Sohnes Gottes, der während seines Lebens auf der Erde redete, obgleich Er jetzt vom Himmel her redet – alles, was er sagt, mit dem Zeugnis Gottes durch die Propheten. So ist die neue Stellung klar dargestellt, aber zugleich als eine Fortsetzung der früheren; und wir haben mittels des neuen Bundes auch einen Schimmer von Zusammenhang mit dem kommenden Zeitalter – einen Faden, durch den ein anderer Zustand der Dinge, der 1000-jährige Zustand, mit der Gesamtheit der Wege Gottes bezüglich des Volkes in Verbindung steht. Doch ist das, was in dem Brief gelehrt und enthüllt wird, die Stellung von Gläubigen (des Volkes), gebildet durch die Offenbarung eines himmlischen Christus. Von Ihm hing ihre ganze Verbindung mit Gott ab. Sie mussten aus dem Lager hinausgehen, und zwar deshalb, weil Jesus, um das Volk mit seinem eigenen Blut zu heiligen, außerhalb des Tores gelitten hatte. Denn hier gibt es keine bleibende Stadt, wir suchen die zukünftige. Der Schreiber nimmt seinen Platz unter dem Überrest des Volkes ein, als einer von ihnen. Er lehrt mit dem vollen Licht des Heiligen Geistes, aber er wendet sich nicht an die Hebräer als ein zu ihnen gesandter Apostel, mit der apostolischen Autorität, die eine solche Sendung ihm über sie gegeben haben würde. Wenn wir dies sagen, reden wir selbstverständlich von dem Verhältnis des Schreibers zu denen, an die er schreibt, nicht aber von der göttlichen Eingebung des Geschriebenen.

Indem der Brief das Mitgefühl Christi und seine Leiden enthüllt, um zu zeigen, dass Er fähig ist, mit denen, die leiden und versucht werden, Mitleid zu haben, spricht er weder von seiner Erniedrigung noch von der Schmach des Kreuzes, bis ganz am Schluss, wo (nachdem seine Herrlichkeit dargestellt ist) der Schreiber die Juden auffordert, Ihm zu folgen und seine Schmach zu tragen. Die Herrlichkeit der Person des Messias, sein Mitgefühl, seine himmlische Herrlichkeit werden hervorgehoben, um den wankenden Glauben der jüdischen Christen zu stärken und sie in ihrer christlichen Stellung zu befestigen, damit sie die letztere in ihrem wahren Charakter betrachten und selbst, mit dem Himmel verbunden und in ihrer himmlischen Berufung befestigt, lernen möchten, das Kreuz zu tragen, sich von der Religion des Fleisches zu trennen und nicht zu einem Judentum zurückzukehren, das dem Verschwinden nahe war.

Wir müssen daher in diesem Brief nicht die Lehre von einer neuen Natur suchen, nicht ein Nahen zu Gott im Allerheiligsten, was im Judentum unmöglich war, noch auch eine Offenbarung des Vaters oder eine Vereinigung mit Christus droben, sondern den Charakter der Beziehungen zu Gott, die aufgrund der Offenbarung des Messias in der Stellung, die dieser droben eingenommen hatte, gebildet waren. Der Schreiber spricht zu Personen, die mit den Vorrechten der Väter vertraut waren.

Gott hatte zu verschiedenen Zeiten und auf mancherlei Weise zu den Vätern geredet durch die Propheten, und jetzt, am Ende dieser Tage, das will sagen, am Ende der Tage der israelitischen Haushaltung, während der das Gesetz hätte in Kraft sein sollen, am Ende der Zeiten, in denen Gott seine Beziehungen zu Israel aufrecht hielt (und zwar seine Beziehungen zu einem ungehorsamen Volk vermittelst der Propheten) – am Ende dieser Tage hatte Gott geredet in der Person des Sohnes. Hier ist kein Bruch, um ein ganz und gar neues System zu beginnen. Der Gott, der zuvor durch die Propheten geredet hatte, fuhr jetzt fort, in Christus zu reden. Er redete nicht nur, indem Er heilige Männer inspirierte (wie das früher geschehen war), damit sie Israel zum Gesetz zurückrufen und die Ankunft des Messias ankündigen sollten, sondern Er selbst hatte jetzt geredet als Sohn, „im Sohn“. Wir sehen sofort, dass der Schreiber die durch Jesum geschehene Offenbarung der Gedanken Gottes mit den früheren Worten verbindet, die durch die Propheten an Israel gerichtet worden waren 3. Gott hat zu uns geredet, sagt er, Sich mit dem Volk Gottes einsmachend, wie Er zu unseren Vätern durch die Propheten geredet hat.

Der Messias hatte geredet, der Sohn, von dem die Schriften schon gezeugt hatten. Das gibt Veranlassung, die Herrlichkeit dieses Messias-Jesus hinsichtlich seiner Person und der Stellung, die Er eingenommen hat, nach den Schriften darzulegen. Dabei müssen wir stets daran erinnern, dass es der Messias ist, von dem der Schreiber spricht, Er, der einmal auf der Erde geredet hat. Er macht seine göttliche Herrlichkeit bekannt, aber es ist die Herrlichkeit Dessen, der geredet hat – die Herrlichkeit dieses Sohnes, der nach den dem Volk Israel gemachten Verheißungen erschienen war. Diese Herrlichkeit ist eine zwiefache und steht in Verbindung mit dem zwiefachen Dienst Christi. Da ist zuerst die göttliche Herrlichkeit der Person des Messias, des Sohnes Gottes, und mit dieser Herrlichkeit ist die feierliche Autorität seines Wortes verbunden. Dann haben wir die Herrlichkeit, mit der seine Menschheit nach den Ratschlüssen Gottes bekleidet ist, die Herrlichkeit des Sohnes des Menschen – eine Herrlichkeit, die verbunden ist mit seinen Leiden während seines Wandels hienieden, mit Leiden, die Ihn passend machten für die Ausübung eines barmherzigen und einsichtsvollen Priestertums hinsichtlich der Bedürfnisse und Versuchungen der Seinigen.

Der Inhalt der beiden ersten Kapitel bildet die Grundlage der ganzen Lehre unseres Briefes. In Heb 1 finden wir die göttliche Herrlichkeit der Person des Messias; in Heb 2,1–4  (wo dieser Gegenstand fortgesetzt wird) die Autorität seines Wortes, und in den Versen Heb 2,5–16 Seine herrliche Menschheit. Als Mensch ist Ihm alles unterworfen. Dessen ungeachtet nahm Er vor seiner Verherrlichung teil an all den Leiden und Versuchungen, denen die Heiligen, deren Natur Er angenommen hatte, unterworfen sind. Mit dieser Herrlichkeit ist sein Priestertum verbunden. Er ist fähig, denen, die versucht werden, wirksame Hilfe zu leisten, „denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht werden“. Daher ist Er der Apostel und Hohepriester des „berufenen“ Volkes.

Mit dieser zwiefachen Herrlichkeit ist noch eine andere verbunden. Er ist als Sohn Haupt über das Haus Gottes, indem Er diese Autorität als Derjenige besitzt, der alle Dinge erschaffen hat, gleichwie Mose als Diener Autorität besaß in dem Haus Gottes auf der Erde. Die Gläubigen nun, an die der inspirierte Schreiber sich richtete, waren dieses Haus, wenigstens wenn sie das Bekenntnis seines Namens bis ans Ende festhielten; denn die besondere Gefahr der bekehrten Hebräer bestand darin, ihr Vertrauen zu verlieren, weil von einer Erfüllung der Verheißungen gar nichts zu sehen war. Deshalb folgen Ermahnungen (Heb 3,7 – 4,13), die sich auf die Stimme des Herrn beziehen, durch die das Wort Gottes in die Mitte des Volkes getragen wird, damit sie ihre Herzen nicht verhärten möchten.

Von Heb 4,14 an wird das Priestertum behandelt, was zu dem Wert des Opfers Christi leitet. Aber es berührt auch im Vorbeigehen die zwei Bündnisse und besteht auf der Veränderung des Gesetzes, die ganz notwendig auf die Veränderung des Priestertums folgen musste. Dann haben wir den Wert des Opfers Christi im Gegensatz zu den Bildern, die den Alten Bund begleitet hatten, auf die Bilder sowohl, wie auf das Blut, das in ihm vergossen wurde, der Bund selbst gegründet war. Diese Belehrung über das Priestertum geht bis zum Ende des 18. Verses von Kapitel 10. Die auf diese Belehrung gegründeten Ermahnungen führen den Grundsatz des Ausharrens im Glauben ein, worauf dann in Heb 11 die ganze Wolke von Zeugen vor unseren Blicken vorüberzieht, die durch das Beispiel Christi selbst gekrönt wird, der die ganze Laufbahn des Glaubens trotz aller Hindernisse vollendet hat, und der uns zeigt, wo dieser leidensvolle, aber herrliche Pfad endet (Heb 12,2).

Mit Heb 12,3 geht der Apostel dann mehr auf die Prüfungen ein, die auf dem Pfad des Glaubens gefunden werden, und gibt die feierlichsten Warnungen hinsichtlich der Gefahr derer, die sich zurückziehen, zugleich aber auch die köstlichsten Ermunterungen für die darin Ausharrenden, indem er die Beziehungen vorstellt, in die wir durch die Gnade gebracht sind. Schließlich richtet er in Heb 13  an die gläubigen Hebräer Ermahnungen über verschiedene Einzelheiten und ermuntert sie besonders, die christliche Stellung unter dem Kreuz ohne Rückhalt einzunehmen, indem er auf die Tatsache Nachdruck legt, dass die Christen allein die wahre Anbetung Gottes haben und dass jene, die im Judentum beharren wollten, kein Recht hätten, an diesem Gottesdienst teilzunehmen. Mit einem Wort, er wünscht, dass sie sich endgültig von einem schon gerichteten Judentum trennen und die himmlische Berufung ergreifen möchten, indem sie sein Kreuz hienieden trügen. Es handelt sich jetzt um eine himmlische Berufung, und der Pfad war ein Pfad des Glaubens.

Das ist der Hauptinhalt unseres Briefes. Wenden wir uns jetzt zur Betrachtung der Kapitel im Einzelnen.

Fußnoten

  • 1 Man wird finden, dass im Hebräerbrief die Ausübung des himmlischen Priestertums nicht auf ein Fallen in die Sünde angewandt wird. Es wird ausgeübt, „damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe“ (Heb 4,16). Der Gegenstand dieses Briefes ist: Zugang zu Gott, indem wir den Hohenpriester in der Höhe haben, und dies zu aller Zeit. Das Gewissen ist in Betreff der Zurechnung der Sünde immer vollkommen (Heb 9 und Heb 10), und in diesem Bewusstsein nahen wir Gott. In dem ersten Brief des Johannes, in dem von Gemeinschaft die Rede ist, die durch die Sünde unterbrochen wird, haben wir einen Sachwalter bei dem Vater, wenn jemand gesündigt hat. Auch diese Sachwalterschaft ist auf die vollkommene Gerechtigkeit und Sühnung in Christo gegründet. Das Priestertum Christi ermöglicht eine vollkommene himmlische Stellung vor Gott bei einem schwachen, dem Fehlen stets unterworfenen Zustand auf der Erde, und gibt Trost und Abhängigkeit auf dem Pfad durch die Wüste.
  • 2 Christus heiligt das Volk durch sein eignes Blut. Sie achteten das Blut des Bundes, durch das sie geheiligt waren, für unheilig. Im Hebräerbrief ist von keiner inneren, heiligenden Wirksamkeit des Geistes die Rede, obwohl wir Ermahnungen, der Heiligkeit nachzujagen, in ihm finden.
  • 3 Wir werden sehen, dass der Schreiber des Briefes, indem er von Anfang an zeigt, dass der Gegenstand seiner Abhandlung sich zur Rechten Gottes gesetzt hat, auch von den Mitteilungen des Herrn während seines Aufenthaltes hienieden spricht. Doch auch dann geschieht es, um Ihn, im Gegensatz zu Mose und den Engeln, als weit vortrefflicher darzustellen. Alles bezweckt die Befreiung der gläubigen Juden vom Judentum.
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