Betrachtung über Galater (Synopsis)

Kapitel 6

Betrachtung über Galater (Synopsis)

Wenn irgendein Mensch aus Unwachsamkeit einen Fehltritt beging, so lag es dem Christen ob, dieses Glied Christi, das sowohl Christus als auch ihm selbst teuer war, zurecht zu bringen, und zwar der Liebe Christi gemäß, im Geist der Sanftmut; zugleich sollte er bedenken, dass auch er selbst fallen könnte. Begehrten die Galater ein Gesetz hier war eines. „Einer trage des anderen Lasten, und also erfüllt das Gesetz des Christus“, d. i. die Regel seines ganzen eigenen Lebens hienieden. Wenn man nichts ist, so wird wahrer Ruhm nicht dadurch erlangt, dass man sich rühmt. „Man betrügt sich nur selbst“, sagt der Apostel einfach; aber gerade diese Einfachheit stellte alle, die solches taten, in ihrer ganzen Verächtlichkeit dar. Jene Gesetzesleute machten viel Rühmens von sich selbst und legten Lasten auf andere, ohne sie ihnen tragen zu helfen. Zugleich benutzten sie das, was anderen eine Last war, für sich selbst zu eitlem Ruhm. Sie rühmten sich ihres Judentums und dessen, dass sie andere ihm unterwarfen. Allein was war ihr Werk? Hatten sie wirklich für den Herrn gearbeitet? Keineswegs. Ein jeder sollte sein eigenes Werk prüfen. Wenn es irgendein christliches Werk gab, zu dessen Ausführung sie gedient hatten, so würden sie Ursache gehabt haben, sich zu rühmen. Aber in dem, was sie damals taten, gab es sicherlich keine Ursache zum Ruhm für sie; denn es war ein anderer, der in Galatien das Werk Christi getan hatte. Und schließlich sollte doch ein jeder seine eigene Last tragen.

Der Apostel fügt dann noch einige wenige praktische Worte hinzu. Wer im Wort unterwiesen würde, sollte von allerlei Gutem dem mitteilen, der ihn unterwies. Überdies hatte Gott, obwohl die Gnade vollkommen war und die Erlösung vollbracht, so dass der Glaubende den Heiligen Geist als Siegel davon empfing, dennoch unausbleibliche Folgen an den Wandel des Menschen geknüpft, sei er nun nach dem Fleisch oder nach dem Geist. Die Wirkungen folgten der Ursache, und die Galater konnten Gott nicht spotten, indem sie die Gnade oder das Christentum bekannten und doch nicht nach dem Geist desselben wandelten, als solche, die durch den Heiligen Geist, der die praktische Kraft dieses Wandels ist, geleitet wurden. Von dem Fleisch würden sie Verderben, von dem Geist ewiges Leben ernten. Doch als Christen sollten sie ausharren, damit sie ernten möchten, und nicht müde werden im Gutestun; die Ernte war gewiss. Sie sollten gegen alle das Gute wirken, am meisten gegen die, die dem Haus Gottes angehörten.

Paulus hatte diesen Brief mit eigener Hand geschrieben, eine ungewöhnliche Sache für ihn. Er benutzte meist andere dazu (z. B. Tertius für den Brief an die Römer), indem er ihnen diktierte, was er zu sagen wünschte; und dann fügte er mit eigener Hand den Segenswunsch hinzu, als ein Zeugnis für die Richtigkeit des Geschriebenen (1. Kor 16,21; 2. Thes 3,17). Es ist das ein beachtenswerter Beweis von der Wichtigkeit, die der Apostel seinen Schriften beilegte; er sandte sie nicht hinaus wie gewöhnliche Briefe, die ein Mensch dem anderen schreibt, sondern als mit einer Autorität versehen, die die Anwendung solcher Vorsichtsmaßregeln nötig machte. Sie wurden sorgfältig mit der apostolischen Autorität bekleidet. Bei dieser Gelegenheit aber schrieb er, voll von Betrübnis und in dem Gefühl, dass die Grundlagen des Glaubens umgestoßen worden waren, den ganzen Brief mit eigener Hand. Deshalb kehrte er auch sogleich wieder zu dem Gegenstand zurück, der ihm zu jenem Abweichen von seiner Gewohnheit Anlass gegeben hatte.

Die im Fleisch wohl angesehen sein wollten, nötigten die Heiden, beschnitten zu werden, um auf diese Weise der Verfolgung, die mit der Lehre vom Kreuz und der freien Gnade verbunden war, zu entrinnen. Die Beschnittenen waren Juden und gehörten einer Religion an, die selbst in dieser Welt anerkannt und angenommen worden war; aber die Jünger eines Gekreuzigten zu werden, eines Menschen, der wie ein Missetäter gehenkt worden war, und Ihn als den alleinigen Heiland anzuerkennen, das war etwas, das nimmermehr Anerkennung seitens der Welt finden konnte. Aber gerade die Schmach des Kreuzes war das Leben des Christentums. Die Welt war gerichtet, sie war tot in ihrer Sünde. Der Fürst der Welt war gerichtet; er besaß nur das Reich des Todes und war (mit seinen Anhängern) der ohnmächtige Feind Gottes. Angesichts eines solchen Gerichts war das Judentum in den Augen der Welt ehrenwerte Weisheit. Satan machte sich selbst zu einem Anhänger der Lehre von einem einigen Gott; und die, die daran glaubten, verbanden sich mit ihren früheren Widersachern, den Anbetern der Teufel, um diesem neuen Feind zu widerstehen, der auf die ganze gefallene Menschheit Schmach brachte, indem er sie zu Rebellen gegen Gott und für das Leben entblößt erklärte, das in Jesus allein offenbart worden war. Das Kreuz sprach das Todesurteil über die Natur, und der Jude im Fleisch wurde durch dieses Urteil noch mehr beleidigt als der Heide, weil er dadurch die Ehre verlor, mit der er, wegen seiner Erkenntnis des allein wahren Gottes, vor den Augen anderer bekleidet gewesen war.

Das fleischliche Herz leidet nicht gern, noch möchte es die gute Meinung der Welt verlieren, in der von verständigen Menschen ein gewisses Maß von Licht anerkannt oder zugelassen wird (und das sogar von aufrichtigen Personen, wenn kein größeres Licht zu erlangen ist), vorausgesetzt, dass man keine Behauptung aufstellt, die jedermann verurteilen und alles das richten, wonach das Fleisch verlangt, und worauf es sich seiner Wichtigkeit wegen stützt. Einen Vergleich, der mehr oder weniger das Fleisch gelten lässt, der es nicht als tot und verloren verurteilt, sondern, wenn auch nur in dem geringsten Maß, die Welt und das Fleisch als seine Grundlage anerkennt, einen solchen Vergleich wird die Welt annehmen. Sie kann nicht hoffen, sich mit Erfolg der Wahrheit, die das ganze Gewissen beurteilt, widersetzen zu können, und erkennt daher eine Religion an, die den Geist der Welt zulässt und sich dem Fleisch anpasst, das sie zu schonen wünscht. Müssen dann auch schmerzliche Opfer gebracht werden, wenn nur nicht das Fleisch selbst gänzlich beiseite gesetzt wird! Der Mensch ist bereit, ein Fakir zu werden, ja, sein Leben aufzuopfern, wenn nur das eigene Ich es ist, das dies tut, und nicht Gott das Ganze in Gnaden getan hat, indem Er das Fleisch, als unfähig, Gutes zu tun (weil es nichts Gutes in sich hat), verurteilt.

Die Beschnittenen betrachteten das Gesetz nicht, das würde gar zu schwerlich gewesen sein; aber sie wünschten sich in den Proselyten zu rühmen, die sie für ihre Religion gewonnen hatten. In der Welt hatte der Apostel nichts gesehen als Eitelkeit, Sünde und Tod; der Geist der Welt, der Geist des fleischlichen Menschen, stand in sittlicher Beziehung auf niedrigem Boden, war verderbt, schuldig und rühmte sich selbst, weil er Gott nicht kannte. Anderswo hatte er Gnade, Liebe, Reinheit, Gehorsam, Widmung für die Herrlichkeit Gottes, des Vaters, und für das Glück armer Sünder gesehen. Das Kreuz gab von zwei Dingen Zeugnis: es offenbarte auf der einen Seite, was der Mensch ist, und auf der anderen, was Gott und was Heiligkeit und Liebe sind. In den Augen der Welt aber bedeutete es die tiefste Erniedrigung, es warf ihren ganzen Stolz zu Boden. Ein anderer als der Apostel hatte, um den Preis seines eigenen Lebens und indem Er die schrecklichsten Leiden erduldete, jene Offenbarung zuwege gebracht, und deshalb konnte Paulus den Gefühlen und der Liebe seines Herzens freien Lauf lassen, ohne sich selbst irgendeiner Sache zu rühmen; im Gegenteil, er vergaß sich selbst. Wir rühmen uns nicht unser selbst, wenn wir zum Kreuze Christi aufschauen; vielmehr sind wir dann von uns selbst befreit. Er, der an dem Kreuz gehangen hatte, war groß in den Augen des Apostels. Die Welt, die Ihn gekreuzigt hatte, wurde demgemäß von Paulus in ihrem wahren Charakter erkannt, ebenso aber auch der Christus, der auf dem Kreuz gelitten hatte, in dem Seinigen. Dieses Kreuzes wollte der Apostel sich rühmen; er war glücklich, mittelst desselben für die Welt tot zu sein, und freute sich, dass sie für sein Herz aufgehört hatte, dass sie ihm gekreuzigt und zuschanden gemacht war, wie sie es nicht anders verdiente. Der Glaube an den gekreuzigten Sohn Gottes überwindet die Welt.

Für den Gläubigen besitzt die Welt ihren wahren Charakter; denn tatsächlich hat in Christus weder Beschneidung noch Vorhaut irgendwelchen Wert (das alles ist mit einem gestorbenen Christus verschwunden), sondern eine neue Schöpfung, nach der wir alles werten, wie Gott es wertet. Solchen Menschen, d. h. den wahren Kindern Gottes, wünscht der Apostel Friede. Nicht das beschnittene Israel nach dem Fleisch war das Israel Gottes. Wenn es etliche von diesem Volk gab, die im Herzen beschnitten waren, die sich des Kreuzes rühmten nach den Gefühlen der neuen Schöpfung, diese waren das Israel Gottes. Überdies gehörte jeder wahre Christ ihm an nach dem Geist seines Wandels.

Zum Schluss fordert der Apostel, dass ihm niemand wegen seines Dienstes Mühe mache. Er trug die Malzeichen des Herrn an seinem Leib. Es ist bekannt, dass den Sklaven in jenen Zeiten mit einem glühenden Eisen ein Mal aufgedrückt wurde, um die Person ihres Eigentümers zu bezeichnen. Die Wunden, die der Apostel empfangen hatte, zeigten hinlänglich, wer sein Herr war. Man sollte deshalb hinfort sein Recht, sich einen Knecht Christi zu nennen, nicht in Frage stellen. Wahrlich, eine rührende Berufung von einem Mann, dessen Herz verwundet war durch die Entdeckung, dass sein Dienst für den Herrn, den er über alles liebte, in Zweifel gezogen wurde! Überdies sollte auch Satan diese Merkmale, die er ihm selbst aufgedrückt hatte, diese schönen Anfangsbuchstaben des Namens Jesu, anerkennen.

Der Apostel wünscht den Galatern, dass gemäß der göttlichen Liebe, die ihn beseelte, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus mit ihnen sein möge. Sie waren, was auch ihr Zustand sein mochte, Seelen, die Christo teuer waren. Doch fehlt in diesem Brief jeder Herzenserguss, wie wir ihn anderswo in liebevollen, an Christen gerichteten Grüßen finden. Es war eine Pflicht, eine Pflicht der Liebe, die der Apostel erfüllte; aber welche Bande der Liebe konnte er im übrigen mit Personen haben, die ihren Ruhm im Fleisch suchten, die das anerkannten, was Jesum verunehrte, und die den Ruhm seines Kreuzes schwächten, ja, sogar zunichte machten? Ohne dass der Apostel es gewünscht hätte, war der Strom der Zuneigung gehemmt. Das Herz wandte sich dem seiner Ehre beraubten Christus zu, obwohl es die Seinigen in Ihm liebte. Das ist das wahre Gefühl, wie es sich in den letzten Versen unseres Briefes ausgedrückt findet.

Im Galaterbrief finden wir wohl Christus in uns lebend, im Gegensatz zu dem Fleisch oder zu dem noch im Fleisch lebenden Ich; doch wird uns hier weder der Gläubige in Christus noch Christus in dem Gläubigen als Lehre und Wahrheit vorgestellt. Den praktischen Zustand des Christen finden wir am Ende des zweiten Kapitels. Im Übrigen aber ist der ganze Brief eine Verurteilung jeder Rückkehr zum Judentum als gleichbedeutend mit heidnischem Götzendienst. Das Gesetz und der Mensch im Fleisch gehörten zusammen. Das Gesetz war zwischen der Verheißung und Christus, dem Samen, neben eingekommen; es war ein sehr nützlicher Prüfstein für den Menschen, aber tatsächlich brachte es ihm den Tod und verdammte ihn. Dem war nun in Gnade auf dem Kreuz völlig begegnet worden, da wo der Mensch im Fleisch im Tod sein Ende gefunden hatte, und die Sünde in dem zur Sünde gemachten Christus. Jede Rückkehr zum Gesetz war ein Aufgeben der Verheißung sowohl als auch des Gnadenwerkes in Christus, und ein Zurückkehren zum Fleisch (das als Sünde und als verloren erwiesen war), als ob in ihm eine Verbindung mit Gott bestehen könnte. Es war zugleich ein Leugnen der Gnade, der wahren Wirkung des Gesetzes und des auf dem Kreuz erwiesenen Zustandes des Menschen. Es war Heidentum. Das Beobachten von Tagen und Jahren usw. erkannte noch den Menschen als im Fleisch lebend an; es war nicht das Ende des alten Menschen auf dem Kreuz in Gnade. Wir haben demzufolge entweder Christus als unser Leben, oder der Tod lässt uns ohne jede Hoffnung.

Den eigentlichen Stand des Christen: wir in Christus und Christus in uns, haben wir, wie gesagt, hier nicht. Es ist eine Erörterung über das Werk, das uns dahin bringt, sowie über die Frage, wo der Mensch sich befindet, und diese Erörterung ist von außerordentlichem Wert. Der Mensch im Fleisch hat gänzlich jede Verbindung mit Gott aufgegeben, und es kann keine wieder angeknüpft werden: eine neue Schöpfung muss da sein.

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