Betrachtung über Galater (Synopsis)

Kapitel 1

Betrachtung über Galater (Synopsis)

Der Apostel stellt von vornherein die Unabhängigkeit seines Dienstes gegenüber allen anderen Menschen fest, indem er dessen wahre Quelle angibt, aus dem er ihn ohne die Vermittlung irgendeines Zwischenwerkzeugs empfangen hatte; und um zu zeigen, dass die Galater in Gefahr standen, den allgemeinen Glauben der Heiligen zu verlassen, fügt er hinzu: „und alle Brüder, die bei mir sind.“ Indem er dann auf den Gegenstand seines Briefes eingeht, erklärt er sofort, dass die Lehre, welche die Anhänger des Judentums bei den Galatern eingeführt hatten, ein anderes Evangelium sei (das aber in Wirklichkeit kein anderes Evangelium war) und nicht das Evangelium Christi.

Der Apostel beginnt also mit der Erklärung, dass er nicht ein Apostel von Menschen, noch durch einen Menschen sei (V. 1). Er kommt nicht von Seiten der Menschen, als ob er von ihnen gesandt worden wäre, noch hat er seinen Auftrag mittelst irgendeines Menschen empfangen, „sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat aus den Toten“; durch Jesus Christus, als er auf dem Weg nach Damaskus war, und durch den Vater, wie mir scheint, als der Heilige Geist sagte: „Sondert mir nun Barnabas und Saulus aus“ (Apg 13,2). Er spricht aber so, um den Ursprung seines Dienstes zu der Urquelle alles wahren Gutes und aller rechtmäßigen Autorität zurückzuführen 1.

Er wünscht, wie gewöhnlich, der Versammlung Gnade und Friede von Gott, in seinem Charakter als Vater, und von Jesus Christus, in seinem Charakter als Herr. Doch fügt er hier dem Namen Jesu das hinzu, was notwendig zu jenem Charakter des Evangeliums gehört, den die Galater aus den Augen verloren hatten, nämlich: dass Christus Sich selbst für unsere Sünden hingegeben hat, damit Er uns herausnehme aus der gegenwärtigen bösen Welt (V. 4). Der natürliche Mensch in seinen Sünden gehört dieser Welt an. Die Galater wünschten, unter dem Vorwand der Erlangung einer Gerechtigkeit nach dem Gesetz, zur Welt zurückzukehren. Christus hat Sich selbst für unsere Sünden hingegeben, damit Er uns aus der Welt herausnehme; denn die Welt ist gerichtet. Als im Fleisch betrachtet, sind wir von der Welt. Nun, Gesetzesgerechtigkeit hat es mit Menschen im Fleisch zu tun. Der Mensch im Fleisch hat sie zu erfüllen, und das Fleisch hat seinen Wirkungskreis in dieser Welt; eine Gerechtigkeit, die der Mensch im Fleisch vollbringen würde, wäre den Elementen dieser Welt entsprechend. Gesetzliche Gerechtigkeit, der Mensch im Fleisch und die Welt gehen zusammen. Dahingegen hat Christus uns als Sünder betrachtet, die keine Gerechtigkeit haben, und hat Sich selbst für unsere Sünden hingegeben, um uns so aus dieser gerichteten Welt zu befreien – aus einer Welt, in der die Menschen Gerechtigkeit aufzurichten trachten, indem sie sich auf den Boden des Fleisches stellen, das aber niemals Gerechtigkeit hervorbringen kann. Diese Befreiung entspricht auch dem Willen unseres Gottes und Vaters. Er will ein himmlisches Volk haben, erlöst gemäß jener Liebe, die uns einen Platz droben bei Ihm gegeben hat und damit ein Leben, in dem der Heilige Geist wirkt. Und Er wirkt, um uns dieses Leben genießen zu lassen und uns zu befähigen, in der Freiheit und Heiligkeit zu wandeln, die Er uns in dieser neuen Schöpfung gibt, von der Jesus selbst, auferweckt und verherrlicht, das Haupt und die Herrlichkeit ist.

Der Apostel beginnt seinen Gegenstand ohne jede weitere Einleitung. Er ist ganz von ihm erfüllt. Zugleich zwingt der Zustand der Galater, die im Begriff standen, das Evangelium in seinen Grundlagen aufzugeben, sein bedrücktes und, ich möchte sagen, mit Unwillen erfülltes Herz, davon zu reden. Wie war es möglich, dass die Galater Ihn, der sie nach der Macht der Gnade Christi berufen hatte, so bald verlassen konnten, um eines anderen Evangeliums willen? Durch diese Berufung Gottes hatten sie teil an der herrlichen Freiheit und an dem Heil, das seine Verwirklichung im Himmel findet. Durch die Erlösung, die Christus vollbracht hatte, und durch die Gnade, an der wir in Ihm teilhaben, genossen sie ein himmlisches und christliches Glück. Und jetzt wollten sie sich zu einem ganz anders gearteten Zeugnis wenden, zu einem Zeugnis, das kein anderes Evangelium, keine andere frohe Botschaft war. Indem es das wahre Evangelium verdarb, versetzte es ihre Herzen nur in Unruhe. „Aber“, sagt der Apostel (und er wiederholt seine Worte über diesen Gegenstand), „wenn auch ein Engel aus dem Himmel oder ich selbst euch etwas als Evangelium verkündigte, außer dem, was wir euch verkündigt haben, der sei verflucht!“

Beachten wir hier, dass er nicht erlauben will, dass dem, was er gepredigt hatte, irgendetwas hinzugefügt werde. Die Galater verleugneten Christus nicht ausdrücklich; sie wünschten nur die Beschneidung hinzuzufügen. Aber das Evangelium, das Paulus verkündigt hatte, war das vollkommene und ganze Evangelium. Man konnte ihm nichts hinzufügen, ohne es zu verändern, ohne dadurch zu sagen, es sei nicht das vollkommene Evangelium, ohne in Wirklichkeit etwas Fremdartiges hinzuzufügen, das heißt, es zu verderben. Denn was Paulus sie gelehrt hatte, war die ganze himmlische Offenbarung Gottes. In seiner Unterweisung hatte er den Kreis der Lehre Gottes geschlossen. Etwas hinzufügen hieß ihre Vollkommenheit leugnen, ihren Charakter verändern und das Evangelium verderben. Der Apostel spricht nicht von einer Lehre, die dem Evangelium offen entgegentrat, sondern von dem, was sich außerhalb des von ihm gepredigten Evangeliums befand. Also, sagt er, kann es kein anderes Evangelium geben; es war ein verändertes Evangelium, aber es gab keine gute Botschaft außer der, die er verkündigt hatte. Es war nur eine Verfälschung des wahren Evangeliums, eine Verfälschung, durch die die Seelen verwirrt wurden. Deshalb konnte er aus Liebe zu den Seelen diejenigen verfluchen, die sie von der vollkommenen Wahrheit, die er gepredigt hatte, abzuwenden suchten. Es war das Evangelium Gottes selbst. Alles andere war von Satan; wenn auch Paulus selbst es brachte, sollte doch der Fluch ihn treffen. Das reine und ganze Evangelium war schon verkündigt worden, und es behauptete seine Rechte im Namen Gottes wider alles, was sich mit ihm zu vereinigen bestrebte. Suchte Paulus in seinem Evangelium Menschen zufrieden zu stellen, oder suchte er Menschen zu gefallen? Keineswegs, denn dann würde er Christi Knecht nicht gewesen sein (V. 10).

Weiterhin redet der Apostel geschichtlich von seinem Dienst und beschäftigt sich mit der Frage, ob der Mensch irgendetwas damit zu tun habe. Sein Evangelium war nicht „nach dem Menschen“ (V. 11); denn er hatte es weder von irgendeinem Menschen empfangen, noch hatte er es gelernt. Was er besaß, war ihm geworden durch die unmittelbare Offenbarung, die er von Jesus Christus empfangen hatte (V. 12). Und als es Gott, der ihn von seiner Mutter Leibe an abgesondert und durch seine Gnade berufen hatte, wohl gefiel, seinen Sohn in ihm zu offenbaren, besaß die Offenbarung sofort eine eigene Kraft als solche (V. 15+16). Er ging nicht mit irgendjemand zu Rate, er setzte sich nicht in Verbindung mit den übrigen Aposteln, sondern handelte sofort unabhängig von ihnen, als einer, der unmittelbar von Gott belehrt war. Erst nach drei Jahren ging er hin, um mit Petrus Bekanntschaft zu machen, und er sah auch Jakobus. Den Versammlungen von Judäa war er von Person unbekannt; allein sie verherrlichten Gott der Gnade wegen, die er empfangen hatte. Zudem war er nur fünfzehn Tage in Jerusalem. Dann ging er in die Gegenden von Syrien und Cilicien (V. 18–24).

Fußnoten

  • 1 „Nicht von Menschen“ wird die so genannte „Geistlichkeit“ gern zugeben, aber „nicht durch Menschen“ kann sie nicht zugehen, da es ihr Dasein als solche an der Wurzel angreift. Man rühmt sich der Abkunft von einem Menschen, aber nicht (und das ist bemerkenswert genug) von Paulus, dem wahren Diener der Kirche, sondern da, wo man hauptsächlich auf dieser Abkunft besteht, von Petrus, dem Apostel der Beschneidung. Petrus war aber gar nicht der Apostel der Heiden und ist, soviel wir wissen, niemals zu ihnen gegangen.
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