Betrachtung über den Propheten Hosea (Synopsis)

Die kleinen Propheten

Betrachtung über den Propheten Hosea (Synopsis)

Bevor ich mit der Betrachtung der kleinen Propheten beginne, möchte ich über die prophetischen Schriften im allgemeinen einiges bemerken und besonders auf die in denselben behandelten Gegenstände aufmerksam machen. Diese Bücher lassen sich nämlich nach den Gegenständen, von denen darin die Rede ist und die oft mit der Zeit, in der sie abgefasst wurden, zusammenhängen, in vier Hauptklassen einteilen.

Zu der ersten gehören diejenigen, die das große entscheidende Ereignis der Einnahme Jerusalems und dessen Folgen behandeln. Es sind dies Jeremia, Hesekiel und Daniel, also alle großen Propheten, mit Ausnahme von Jesaja. Ich rechne das Buch Daniel mit dazu – obgleich in diesem hauptsächlich von dem die Rede ist, was sich unter der Herrschaft der Nationen bis zum Kommen des Herrn ereignen sollte –, weil jenes Ereignis tatsächlich den Wechsel in der Regierung der Welt herbeiführte, indem es das auserwählte Volk auf dem Weg des Gerichts beiseite setzte. Ferner hat Daniel, wenn er von den Nationen spricht, stets die Tatsache im Auge, dass die heidnische Herrschergewalt an die Stelle derjenigen getreten war, die Gott bis dahin in Israel ausgeübt hatte; zugleich gedenkt er dabei immer der zukünftigen Bestimmung des Volkes Israel.

Die zweite Klasse umfasst diejenigen Propheten, die von dem Gericht reden, das die Nationen als solche treffen sollte. Es sind dies Jona, Nahum und Obadja.

Die dritte Klasse behandelt den gänzlichen Zusammenbruch Israels sowie das Schicksal, das Juda bereits drohte, wie Jesaja, Hosea, Amos und Micha. Sie kündigen ein Strafgericht an, das über das Volk kommen sollte, und legen außerdem mehr oder weniger ausführlich dar, wie Gott schließlich seine Gnade erweisen will. Ausgenommen Amos, der unter der Regierung Ussijas (früher als die drei anderen) weissagte, gehören sie den Tagen Ussijas, Jothams, Ahas' und Hiskias an. Die Geschichte dieses letzteren Königs tritt in diesen Weissagungen als besonderer Zeitabschnitt hervor; denn unter der Regierung Hiskias führte der Assyrer den Untergang des Reiches Israel herbei und bedrohte Jerusalem.

Den Schluss bilden Haggai, Sacharja und Maleachi, die nach der Gefangenschaft des Volkes weissagten, und zwar die beiden ersteren in der Absicht, das Volk zu ermuntern, der letztere, um Zeugnis von der Untreue der Juden abzulegen, die aus der Gefangenschaft zurückgekehrt waren, und um auf das Zeugnis und das Gericht der letzten Tage hinzuweisen, durch die der Überrest von den ihn umgebenden Gottlosen abgesondert werden würde.

Joel und Habakuk habe ich nicht aufgeführt, weil jeder dieser beiden Propheten seinen besonderen Charakter hat; sie reden nicht, wie Nahum und Obadja, von dem Gericht über die Nationen, und es fehlt bei ihnen auch jede Zeitangabe, aus welcher sich erkennen ließe, dass sie an den Zustand Israels zu ihrer Zeit anknüpften oder denselben besonders im Auge hätten. Sie beschreiben beide, und zwar jeder in einer ihm eigentümlichen Weise, die Gerichte, welche die letzten Tage bringen werden. Joel spricht von einem besonderen Einfall ins Land Israel sowie von dem Gericht der Nationen, das um die gleiche Zeit zur Ausführung kommen soll, und bringt die Segnung Israels mit demselben in Verbindung. Bei Habakuk dagegen benutzt der Geist die Gelegenheit, die Ihm ein besonderes Gericht darbietet, dazu, die geistlichen Gefühle und Herzensübungen zum Ausdruck kommen zu lassen, die durch den Anblick des Bösen sowie des daraus hervorgehenden Gerichts hervorgerufen werden, und zeigt, was der Zustand einer Seele ist, die von Gott über diese Erscheinungen belehrt ist.

Wollen wir demnach die in den Propheten behandelten Gegenstände ihrer Bedeutung nach übersichtlich zusammenstellen, so haben wir erstlich das Gericht über das Volk im allgemeinen (wobei indessen das Haus Davids zeitweilig verschont wird, indem Gott einen Hiskia erweckt) und im Anschluss daran die Ankündigung des Erscheinens des wahren Sohnes Davids. Dies ist in Hosea, Amos, Jesaja und Micha enthalten. Der zweite Gegenstand ist das Hereinbrechen des Gerichts über Jerusalem und die Übertragung der Herrschaft an die Nationen, indem das Volk Gottes gänzlich beiseite gesetzt wird. Hiervon handeln Jeremia, Daniel und Hesekiel. Letzterer bespricht außerdem alle wichtigen Grundsätze des Verhältnisses zu Gott sowie die zukünftige Bestimmung des ganzen Israel, sowohl was das Land als auch was das Volk betrifft. Drittens finden wir das Gericht der Welt. Dies tritt uns bei Jona, Nahum und Obadja entgegen. Das vierte endlich ist die Verwüstung, die in den letzten Tagen durch das von Norden kommende Heer bewirkt werden wird, sowie das Gericht der Nationen, worauf die zeitliche Segnung Israels und (infolge der Ausgießung des Geistes) auch die Segnung alles Fleisches folgt. Das ist der Inhalt von Joel. Fünftens sehen wir, wie das Volk Gottes durch die erfolgreiche Gewalttätigkeit des Mannes gezüchtigt wird, dem Gott zu diesem Zweck die Macht in die Hände gegeben wird. Der Geist des Propheten, der von dem Bösen, das er inmitten des Volkes wahrnimmt – besonders wenn er sehen muss, wie die grausamen Feinde desselben es unterdrücken – ganz überwältigt ist, erkennt, dass der Gerechte durch Glauben leben wird; er sieht ein, dass es solcher Unterdrückung bedurfte, um das Böse zu züchtigen und um den Hochmut des Menschen auf den Höhepunkt der Bosheit gelangen zu lassen, durch den das Gericht herbeigeführt wird, das diesem Hochmut für immer ein Ende bereitet. Dies finden wir bei Habakuk. In dem letzten Kapitel dieses Propheten kommen die Gefühle zum Ausdruck, welche die Frucht solcher Belehrung sind: wir sehen dort, wonach der Glaube sich sehnt, wessen er sich erinnert und worauf er sich stützt – ein Glaube, der inmitten all der Übungen, die in den Herzen der Treuen durch die Geschichte des Volkes Gottes hervorgerufen werden, seinen Ruhepunkt in Gott selbst findet. Das ist der kostbare Trost, der der Seele bleibt, wenn sie sich alles das vergegenwärtigt, was sich mit dem Namen Gottes schmückt! – Endlich, sechstens, haben wir noch solche prophetische Bücher, deren Inhalt sich auf die besondere Lage der Juden bezieht, als sie im Blick auf das bevorstehende Kommen des Christus nach Jerusalem zurückgebracht worden waren. Hierbei werden zugleich die Folgen jenes Kommens erwähnt sowie auch die Folgen der Verantwortlichkeit des Volkes selbst im Hinblick auf die Umstände, in denen es sich damals schon befand. Diese Dinge finden wir in Haggai, Sacharja und Maleachi.

Außerdem bleiben noch einige Einzelheiten zu erwähnen übrig. Bei Jona wird uns in besonders auffallender Weise die gnädige Geduld vor Augen gestellt, die Gott einer Welt stolzer, gleichgültiger Sünder gegenüber beweist, und zwar im Gegensatz zu der Ungeduld des Mannes, dem die Aussprüche Gottes anvertraut waren und der dies um seiner Selbstbefriedigung willen erfüllt zu sehen wünschte, selbst wenn dies durch die Ausführung des Gerichts geschehen musste, das die Gnade aufheben wollte, sobald sich die Gegenstände desselben demütigten.

Nahum zeigt uns andererseits, dass dieses Gericht schließlich doch ausgeführt werden muss. Das Erbarmen, welches nur die eine Wirkung hat, dass es zur Verherrlichung Gottes dient, muss endlich einem Gericht Platz machen, das unabänderlich und für immer allem, was sich gegen Gott erheben will, ein Ende bereiten wird.

Bei Obadja tritt uns nicht dieser sich allgemein und öffentlich zeigende Hochmut der Welt entgegen; wir sehen dort vielmehr den Hass gegen das Volk Gottes, wie er namentlich bei solchen zutage trat, die äußerlich mit demselben in Verbindung standen und ihrer Abstammung nach das Anrecht auf das Erbteil des Erstgeborenen für sich in Anspruch nahmen.

Was Gott uns in diesen Propheten von seinem Verhalten der Welt gegenüber sowie von seinen Gedanken über dieselbe mitteilt, ist sehr bemerkenswert. Jona stellt uns vor Augen, was in dem Ausdruck „ein treuer Schöpfer“, der bei Petrus vorkommt, liegt. Jesaja brachte, wie wir bemerkt haben werden, in ausführlicher Weise die Wege zur Darstellung, welche Gott in Bezug auf Christus und mit Israel einschlagen will, und zeigte uns ferner, wie diese beiden Gegenstände sowohl untereinander als auch mit dem Gericht der Welt in Verbindung stehen. Dieses Buch gewährt deshalb einen umfassenden Einblick in die Absichten der Regierung Gottes.

Die drei anderen großen Propheten belehren uns über die unermeßliche Bedeutung jenes großen Wendepunktes in der Geschichte der ganzen Welt, jenes entscheidenden Augenblickes, da der HERR aufhörte, die Herrschaft über dieselbe aus der Mitte seines Volkes heraus auszuüben und den Sitz seiner Macht in die Mitte der Nationen verlegte, indem Er diese Macht den Händen der Menschen übergab.

Von Amos und Hosea erhalten wir wertvollen Aufschluss über die Regierung Gottes, wie Er dieselbe dem Verhalten des Menschen entsprechend ausübt. Der Bibelleser findet bei ihnen eine treffende Schilderung des Zustandes des Volkes zur damaligen Zeit und hat somit die Tatsachen vor Augen, um derer willen das von Gott verhängte Gericht hereinbrechen musste; es werden ihm also nicht nur die Tatsachen gezeigt, die eine Folge der Handlungen Gottes sein würden, sondern auch das Verhalten, um dessentwillen Er seinem Volk gegenüber so handeln musste. Diese Darlegung des Verhaltens des Volkes ist sehr beachtenswert und zugleich demütigend für das Herz.

Micha ist (wie Jesaja) zwar auch mit denselben Gegenständen beschäftigt, verweilt aber mehr bei den Verheißungen, die mit Christus in Verbindung stehen, kraft welcher das Volk aus dem Zustand, in den es die Sünde sowie das Gericht Gottes über dieselbe gebracht hatten, wieder erhoben werden soll. Ich habe wohl schon darauf hingewiesen, dass der Anfang von Jesaja, obwohl dort auch von dem Herrn Jesus die Rede ist, doch der Hauptsache nach Juda, Israel und die Nationen zum Gegenstande hat, während der Schluss des Buches sich besonders mit Christus und den Folgen seiner Verwerfung seitens des Volkes beschäftigt.

Dass die drei Propheten, die nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft weissagten, ebenfalls mit den letzterwähnten zwei Gegenständen beschäftigt sind, geht wohl schon aus dem weiter oben über sie Gesagten hervor.

Haggai und Sacharja weisen auf den Messias hin, der letztere unter Hinzufügung mancher Einzelheiten. Bei Maleachi treten mehr der Zustand und das Endschicksal des Volkes hervor, und zwar steht das Ganze in Verbindung mit den letzten Tagen 1.

Fußnoten

  • 1 Ich möchte dem, was ich im Anfang der Betrachtung des Propheten Jesaja über die Weissagung im allgemeinen gesagt habe, hier noch einiges mehr ins einzelne Gehende und Genauere in Form einer Anmerkung hinzufügen. In der Weissagung tritt Gottes unumschränkte Gnade durch ein Zeugnis ins Mittel, um seine Verbindung mit seinem Volk aufrechtzuerhalten, wenn letzteres in der verantwortlichen Stellung, die es Gott gegenüber innehatte, gefehlt hat, so dass sein Verhältnis zu Gott, wie es aufgrund jener Stellung bestand, abgebrochen ist, und bevor Gott irgendein neues Verhältnis durch seine Macht in Gnade hergestellt hat. Die Gegenstände der Weissagung sind daher folgende: Erstens die Wege Gottes in seiner Regierung auf Erden in der Mitte Israels; zweitens die Einzelheiten des sittlichen Verhaltens des Volkes, wodurch sein Verderben herbeigeführt worden ist; drittens, wie Gott am Ende in Gnade durch den Messias ins Mittel tritt, um sein Volk kraft seiner Macht in einen Zustand ungestörter Segnung zu bringen. Mit diesen Hauptgegenständen verbinden sich zwei andere Dinge: erstlich das Gericht der Nationen, das nötig war, um Israel in sein Land einzusetzen, und dann die Verwerfung des Christus seitens der Juden bei seinem ersten Kommen in diese Welt. Endlich noch war Israel der Mittelpunkt und Schlussstein des Systems gewesen, das aufgerichtet wurde, nachdem Noahs Nachkommen wegen ihres zu Babel bewiesenen Hochmuts von dem Gericht getroffen worden waren. In diesem System befanden sich der Thron und der Tempel Gottes zu Jerusalem: ersterer als der Sitz göttlicher Herrschermacht über alle Nationen, letzterer als der Ort, wohin dieselben kommen sollten, um Den, der zwischen den Cherubim thronte, anzubeten. Nachdem Israel es jedoch an dem Gehorsam hatte fehlen lassen, der unbedingt vorhanden sein musste, wenn es den Segen Gottes genießen und wenn jene Ordnung der Dinge auf Erden, wie sie von Gott anerkannt war, fortbestehen sollte, wurde in der Person Nebukadnezars ein anderes System aufgerichtet, in welchem dem Menschen die oberste Gewalt anvertraut ist. Die Weissagung handelt daher auch von diesem System und von seinem Verhalten dem Volk Gottes auf Erden gegenüber. Diese neue Macht nun hat die Schuld der Empörung gegen Gott auf sich geladen und sich mit Israel in der Verwerfung des Christus verbunden, und sie wird sich am Ende der Tage in vollem Aufruhr gegen Gott erheben. Deshalb wird sie auch zugleich mit den Juden gerichtet werden, mit denen sie sich im Bösen einsgemacht hat. Der Leser wird verstehen, dass sich das Gesagte nur auf die alttestamentliche Prophezeiung bezieht, mit der wir eben beschäftigt sind. Indes entsteht hier unwillkürlich die Frage, inwieweit sich die neutestamentliche Weissagung von der ersteren unterscheidet. In Beantwortung dieser Frage möchte ich bemerken, dass die Versammlung (Gemeinde) nicht der Schauplatz der irdischen Regierung Gottes ist, dass sie vielmehr in den himmlischen Örtern sitzt; die Weissagung kann daher jetzt nicht das Mittel sein, durch das der Geist, wie einst bei Israel, unmittelbar auf den Zustand derselben einwirkt. Die Mitteilungen, welche die Versammlung empfängt, gehen unmittelbar von dem Vater und dem Herrn aus, wie dies dem Verhältnis entspricht, in dem sie zu Beiden steht, so wie in früheren Tagen die Weissagung dem Verhältnis entsprach, in dem sich die Juden befanden. indessen kann der Geist in der Versammlung im voraus auf die Zeit hinblicken, da der Verfall des äußeren Systems der Wiedereinführung der unmittelbaren Regierung Gottes in der Person des Christus den Weg bahnen wird. Das ist im allgemeinen der Inhalt des Buches der Offenbarung. Zunächst sehen wir dort das Abweichen der Versammlung von seinen ersten Anfängen an, bis sie völlig verworfen wird, sodann wie Gott der Welt gegenüber verfährt. Aus diesem Grund besitzen wir auch die Weissagungen, in denen der Verfall und das Verderben der Versammlung, wie sie nach dem Weggang der Apostel eingetreten sind, vorausgesagt werden, wie 1. Tim 4,2; 2. Tim 3; 2. Thes 2 Von dem Verfall selbst ist in den Briefen des Johannes und des Judas sowie im 2.Petrus briefe die Rede. Hiermit steht noch ein anderer Gegenstand in Verbindung, der die Veranlassung ist, dass wir Weissagungen aus dem Mund des Herrn selbst besitzen, an welchen Gegenstand Jakobus anknüpft, wenn auch derselbe nicht die Versammlung im eigentlichen Sinn angeht. Es ist dies die Beziehung, in welcher Christus als Diener der Beschneidung zu dem jüdischen Volk steht. Hiervon handeln Matthäus 24 , die entsprechenden Abschnitte in Markus und Lukas sowie selbst Matthäus 10 von Vers 15 bis zum Ende des Kapitels; in letzterem Abschnitt wird das Teil des Überrestes während der ganzen Zeit seines Dienstes in Israel bis zum Kommen des Herrn geschildert. Der innere Verfall der Versammlung auf Erden sowie die Geschichte des Überrestes bilden demnach die Zwischenglieder, vermittels welcher sowohl unsere Tage als auch des Christus Sendung an Israel mit seinem Kommen in den letzten Tagen in Verbindung stehen.
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