Betrachtung über 1.Johannes (Synopsis)

Kapitel 1

Betrachtung über 1.Johannes (Synopsis)

Doch wenden wir uns jetzt zu dem Brief selbst. Als Johannes ihn schrieb, maßten sich viele an, ein neues Licht zu besitzen, klarere Ansichten zu haben. Man behauptete, das Christentum sei sehr gut als eine elementare Sache, ein Ausgangspunkt; aber jetzt sei es veraltet, und ein neues Licht sei aufgegangen, das jenes Dämmerlicht völlig in den Schatten stelle. Doch die Person unseres Herrn selbst, die wahre Offenbarung des göttlichen Lebens, zerstreute alle diese stolzen Anmaßungen, diese Ausgeburten des unter dem Einfluss des Feindes stehenden menschlichen Geistes, die nur die Wahrheit verdunkelten und den Geist des Menschen in die Finsternis zurückführten, aus der sie selbst hervorgegangen waren. Das, was von Anfang (des Christentums, nämlich in der Person Christi) war, was sie gehört, was sie mit ihren eigenen Augen gesehen, was sie angeschaut und mit ihren eigenen Händen betastet hatten, betreffend das Wort des Lebens, das war es, was der Apostel verkündigte. Denn das Leben selbst war offenbart worden. Das Leben, das bei dem Vater war, dasselbe Leben war den Jüngern offenbart worden. Konnte es etwas Vollkommeneres, etwas Köstlicheres, eine wunderbarere Offenbarung in den Augen Gottes geben, als Christus selbst, als dieses Leben, das bei dem Vater war und jetzt in seiner ganzen Vollkommenheit in der Person des Sohnes offenbart worden ist? Sobald die Person des Sohnes der Gegenstand unseres Glaubens wird, fühlen wir, dass Vollkommenheit „im Anfang“ gewesen sein muss. Die Person des Sohnes, das im Fleisch offenbarte ewige Leben, ist also unser Gegenstand in diesem Brief.

Infolgedessen muss die Gnade hier in dem betrachtet werden, was auf das Leben Bezug hat, während Paulus sie uns in Verbindung mit der Rechtfertigung vorstellt. Das Gesetz verhieß das Leben als Folge des Gehorsams; aber das Leben kam in der Person Jesu, in der ganzen, ihm eigenen göttlichen Vollkommenheit, und zwar in seiner menschlichen Offenbarung. Wie kostbar ist die Wahrheit, dass dieses Leben, so wie es bei dem Vater und so wie es in Jesus war, uns geschenkt worden ist! In welche Beziehungen stellt es uns, durch die Kraft des Heiligen Geistes, zu dem Vater und zu dem Sohne selbst! Und das ist es, was der Geist uns hier zunächst vor Augen stellt. Alles ist Gnade hier. Später stellt der Apostel allerdings alle Behauptungen, Gemeinschaft mit Gott zu besitzen, dadurch auf die Probe, dass er zeigt, was der Charakter Gottes ist – ein Charakter, den Gott niemals verleugnen kann. Doch bevor er dazu übergeht, redet er von dem Heiland selbst und von der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn, ohne jede Frage und Einschränkung. Das ist unsere Stellung und unsere ewige Freude.

Der Apostel hatte dieses Leben gesehen, er hatte es mit seinen eigenen Händen betastet; und er schrieb an andere, indem er ihnen dies mitteilte, damit auch sie Gemeinschaft mit ihm haben möchten in der Kenntnis des Lebens, das so offenbart worden war 1. Und nun, insoweit dieses Leben der Sohn war, konnte es nicht gekannt werden, ohne den Sohn zu kennen, d. h. ohne zu erkennen, was Er war, ohne einzugehen in seine Gedanken und seine Gefühle; denn anders wird Er nicht wirklich erkannt. Auf diese Weise hatten sie Gemeinschaft mit Ihm, mit dem Sohn. Eine gesegnete Tatsache! Einzugehen in die Gedanken (in alle Gedanken) und in die Gefühle des Sohnes Gottes, der in Gnade herabgekommen ist, – das zu tun in Gemeinschaft mit Ihm, so dass man nicht bloß die Gedanken und Gefühle kennt, sondern sie mit Ihm teilt – in der Tat, das ist das Leben.

Aber wir können den Sohn nicht haben, ohne auch den Vater zu haben. Wer den Sohn gesehen, hatte den Vater gesehen, und folglich hatte ein jeder, der Gemeinschaft mit dem Sohn hatte, auch Gemeinschaft mit dem Vater; denn die Gedanken und Gefühle des Vaters und des Sohnes sind völlig eins. Der Sohn ist in dem Vater, und der Vater in dem Sohn. Wir haben daher Gemeinschaft mit dem Vater; und das ist wahr, auch wenn wir die Sache von einem anderen Gesichtspunkt aus betrachten. Wir wissen, dass der Vater seine ganze Wonne in dem Sohn findet. Nun hat Er Ihn uns gegeben, indem Er den Sohn offenbarte, damit auch wir, so schwach wir sein mögen, unsere Wonne im Sohn haben. Wenn ich nun meine Wonne in Jesus finde: in seinem Gehorsam, in seiner Liebe zu dem Vater und zu uns, in seinem „einfältigen Auge“ und in der völligen Hingebung seines Herzens, so weiß ich, dass ich die nämlichen Gefühle, die nämlichen Gedanken habe wie der Vater selbst. In Dem, worin der Vater seine Wonne findet, und worin Er nichts als Wonne finden kann, in Ihm, in dem auch ich meine Wonne finde, habe ich Gemeinschaft mit dem Vater. Ebenso habe ich Gemeinschaft mit dem Sohn in der Erkenntnis des Vaters. Alles das, ob ich es nun von diesem oder jenem Gesichtspunkt aus betrachte, rührt von der Person des Sohnes her. Darin ist unsere Freude völlig. Was könnten wir mehr haben, als den Vater und den Sohn? Welch vollkommeneres Glück könnte es geben, als Gemeinsamkeit der Gedanken, der Gefühle und Freuden mit dem Vater und dem Sohn, und Gemeinschaft mit Ihnen, indem wir alle unsere Freude aus Ihnen schöpfen? Und wenn uns dies schwer wird zu glauben, so lasst uns daran denken, dass es in Wahrheit nicht anders sein kann: Denn in dem Leben Christi ist der Heilige Geist die Quelle meiner Gedanken, meiner Gefühle und der Gemeinschaft, und Er kann keine Gedanken in mir wachrufen, die von denen des Vaters und des Sohnes verschieden wären. Sie müssen ihrer Natur nach die nämlichen sein. dass es anbetende Gedanken sind, liegt in der Natur der Sache und macht sie nur umso kostbarer. Zu sagen, dass sie schwach und oft gehindert sind, während der Vater und der Sohn göttlich und vollkommen sind, heißt, obschon völlig wahr, nichts anderes, als dass der Vater und der Sohn Gott und göttlich, und dass wir schwache Geschöpfe sind. Das wird sicherlich niemand leugnen. Aber wenn der Geist Gottes die Quelle unserer Gedanken und Gefühle ist, so müssen sie, der Natur nach und tatsächlich, die gleichen sein.

Das ist also unsere christliche Stellung hienieden in dieser Zeit, durch die Erkenntnis des Sohnes Gottes, wie der Apostel sagt: „Dies schreiben wir euch, damit eure Freude völlig sei“ (V. 4).

Doch Der, der das Leben war, das vom Vater kam, hat uns die Erkenntnis Gottes gebracht 2. Der Apostel hatte aus seinem Mund gehört, was Gott ist – eine Erkenntnis von unschätzbarer Kostbarkeit, die aber zugleich das Herz erforscht. Und auch dies verkündigt Johannes von Seiten des Herrn den Gläubigen. „Und dies ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben, dass Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist.“ Was Christus betraf, so hatte Er geredet was Er wusste, und bezeugt, was Er gesehen hatte. Niemand war hinaufgestiegen in den Himmel, außer Dem, der von dort herabgekommen war. Niemand hatte Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hatte Ihn kundgemacht. Niemand hatte den Vater gesehen, außer Dem, der von Gott war, Er hatte den Vater gesehen Joh 1,18; 3,11+13; 6,46. So konnte Er Ihn aus seiner eigenen vollkommenen Kenntnis offenbaren 3. Nun, Gott ist Licht, die vollendete Reinheit, die zu gleicher Zeit alles offenbar macht, was rein und was nicht rein ist. Um mit dem Licht Gemeinschaft zu haben, muss man selbst Licht sein; man muss die Natur desselben besitzen und fähig sein, in dem vollkommenen Licht zu erscheinen. Das Licht kann sich nur mit dem verbinden, was von ihm selbst ist. Wenn sich etwas anderes mit ihm vermischt, so ist das Licht nicht mehr Licht. Es ist in seiner Natur unbedingt, so dass es alles ausschließt, was nicht Licht ist.

Darum, „wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben und wandeln der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit“ (V. 6); unser Leben ist dann eine beständige Lüge.

„Wenn wir aber in dem Licht wandeln, wie er in dem Licht ist, so haben wir (die Gläubigen) Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde“ (V. 7). Das sind die großen Grundsätze und Charakterzüge der christlichen Stellung. Wir sind in der Gegenwart Gottes ohne einen Vorhang. Es ist eine Wirklichkeit, des Lebens und des Wandels. Dieser Wandel ist im Licht, nicht sowohl dem Licht gemäß, sondern im Licht: d. h. er ist vor den Augen Gottes, erhellt durch die volle Offenbarung dessen, was Gott ist. Das will nicht sagen, dass keine Sünde in uns sei, sondern indem wir in dem Licht wandeln, und der Wille und das Gewissen im Licht Licht sind, wie Gott im Licht ist, wird alles, was dem Licht nicht entspricht, gerichtet. Wir leben und wandeln mit dem Bewusstsein im Herzen, dass Gott gegenwärtig ist, und so wandeln wir im Licht. Gott selbst ist die sittliche Richtschnur unseres Willens, und zwar ein gekannter Gott. Die Gedanken, die das Herz regieren, kommen von Ihm und werden gebildet gemäß der Offenbarung seiner selbst. Der Apostel stellt diese Dinge immer in abstrakter Weise vor. So sagt er in 1. Joh 3, 9: „Jeder, der aus Gott geboren ist... kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.“ Damit stellt er die sittliche Regel dieses Lebens fest, das ist seine Natur; es ist die Wahrheit, insofern der Mensch aus Gott geboren ist. Man kann keinen anderen Maßstab dafür aufstellen; jeder andere würde falsch sein. Hieraus folgt nicht, dass wir immer beständig und konsequent sind, leider nicht! doch wir sind es nicht, wenn wir uns nicht in jenem Zustand befinden; wir wandeln dann nicht der Natur gemäß, die wir besitzen, wir befinden uns außerhalb unseres wahren Zustandes, der dieser Natur entspricht.

Wenn wir im Licht wandeln, wie Gott im Licht ist, so haben wir, die Gläubigen, Gemeinschaft miteinander. Die Welt ist selbstsüchtig. Das Fleisch, die Leidenschaften suchen ihre eigene Befriedigung; aber wenn ich im Licht wandle, so findet das ich keinen Raum mehr. Ich kann das Licht und alles, was ich in demselben suche, mit einem anderen genießen, und da gibt es keinen Neid. Wenn jemand irgendeine andere Sache besitzt, so habe ich sie nicht. Im Licht dagegen besitzen wir gemeinschaftlich das, was Gott uns gibt – ja, wir genießen es umso mehr, da wir miteinander teil daran haben. Das ist ein Prüfstein für alles, was vom Fleisch ist. In dem Maß, wie jemand im Licht ist, hat er gemeinsame Genüsse mit dem, der auch darin ist. Der Apostel zeigt dies, wie schon bemerkt, auf eine unbedingte und abstrakte Weise; das ist die richtigste Art, um die Sache selbst zu erfassen. Was übrig bleibt, ist dann nur noch eine Frage der Verwirklichung.

Zum dritten: „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“ Im Licht wandeln, wie Gott im Licht ist, Gemeinschaft miteinander haben, gereinigt sein von aller Sünde durch das Blut Jesu – das sind die drei Teile unserer christlichen Stellung. Wir fühlen, wie notwendig das letztere ist. Denn indem wir in dem Licht wandeln, wie Gott im Licht ist, mit einer (gepriesen sei Gott!) vollkommenen Offenbarung seiner selbst an uns, mit einer Natur, die Ihn kennt und fähig ist, Ihn geistlicherweise zu sehen, da das Auge zubereitet ist, das Licht zu schätzen (denn wir haben teil an der göttlichen Natur), können wir nicht sagen, dass wir keine Sünde haben; das Licht selbst würde unsere Behauptung widerlegen. Aber wir können sagen: Das Blut Jesu reinigt uns völlig von aller Sünde 4. Durch den Geist erfreuen wir uns miteinander des Lichts: es ist die gemeinsame Freude unserer Herzen vor Gott und Ihm wohlgefällig, ein Zeugnis dafür, dass wir miteinander teilhaben an der göttlichen Natur, die auch Liebe ist. Und unser Gewissen ist kein Hindernis für uns, weil wir den Wert des Blutes kennen. Wir haben kein Gewissen mehr von Sünde vor Gott, obwohl wir wissen, dass sie in uns ist; sondern wir haben das Bewusstsein, dass wir von ihr gereinigt sind durch das Blut Jesu. Doch dasselbe Licht, das uns dieses zeigt, verhindert uns (wenn wir im Licht sind) zu sagen, dass wir keine Sünde in uns haben. Wir würden uns selbst betrügen, wenn wir so etwas sagen wollten, und die Wahrheit wäre nicht in uns; denn wäre sie in uns, wäre jene Offenbarung der göttlichen Natur, die Licht ist (Christus unser Leben) in uns, so würde die Sünde, die in uns ist, durch dieses Licht selbst gerichtet werden. Wenn sie nicht gerichtet wird, so ist das Licht, d. i. die Wahrheit, welche die Dinge so bezeichnet, wie sie wirklich sind, nicht in uns.

Wenn wir andererseits selbst eine Sünde begangen haben, und wir richten alles dem Licht gemäß und bekennen es – so dass der Wille nicht mehr daran beteiligt und der Stolz dieses Willens gebrochen ist – so ist „er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (V. 9). Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben 5 (als eine allgemeine Wahrheit), so zeigt das nicht nur, dass die Wahrheit nicht in uns ist, sondern wir machen auch Gott zum Lügner. Sein Wort ist nicht in uns, denn Er sagt, dass „alle gesündigt haben“. Es gibt hier also drei Dinge: wir lügen; die Wahrheit ist nicht in uns, und wir machen Gott zum Lügner. Die Gemeinschaft mit Gott im Licht verbindet im praktischen Leben des Christen die Vergebung unzertrennlich mit dem gegenwärtigen Bewusstsein derselben durch Glauben und mit Reinheit des Herzens. Wir finden also im 7. Verse die christliche Stellung, und dann die Dinge, die auf dreierlei Weise der Wahrheit, der Gemeinschaft mit Gott im Leben, entgegenstehen.

Fußnoten

  • 1 Das Leben ist offenbart worden; deshalb brauchen wir es nicht mehr zu suchen, nicht mehr im Finstern danach zu tappen; wir brauchen nicht mehr aufs Geratewohl das Verborgene unserer eigenen Herzen zu durchforschen, um es zu finden, oder unter dem Gesetz fruchtlos zu arbeiten, um es zu erlangen. Wir sehen es, es ist offenbart worden, es ist da, in Jesus Christus. Wer Ihn hat, hat das Leben.
  • 2 Man wird finden, dass Johannes, wenn er in seinen Schriften von der Gnade gegen uns redet, von dem Vater und dem Sohn spricht, während er, wenn er über die Natur Gottes oder über unsere Verantwortlichkeit redet, immer Gott sagt. Johannes 3 und 1. Johannes 4 scheinen eine Ausnahme zu bilden, tun es aber in Wirklichkeit nicht. Es handelt sich um das, was Gott ist als solcher, nicht um seine Tätigkeit und um ein Verhältnis in Gnade.
  • 3 Wer Ihn gesehen, hatte den Vater gesehen; doch hier spricht der Apostel von einer Botschaft und von der Offenbarung seiner Natur.
  • 4 Es heißt nicht: „hat uns gereinigt“, oder: „wird uns reinigen“. Es handelt sich nicht um einen Zeitpunkt, sondern um die Wirkung des Blutes. Ähnlich könnte ich sagen: die und die Medizin heilt die und die Krankheit; es ist ihre Wirkung.
  • 5 Wenn der Apostel von „Sünde“ spricht, so gebraucht er die gegenwärtige Zeitform: „wir haben“. Redet er dagegen vom „Sündigen“, so spricht er in der Vergangenheit. Er setzt nicht voraus, dass wir fortfahren zu sündigen. Man hat gefragt, ob der Apostel im 9. Verse von dem ersten Kommen des Sünders zu dem Herrn Jesus rede oder von den späteren Fehltritten des Gläubigen. Ich möchte sagen, er redet in einer abstrakten und unbedingten Weise: Bekenntnis bringt durch die Gnade Vergebung. Wenn es sich um unser erstes Kommen zu Gott handelt, so ist es Vergebung in ihrer vollen und unbedingten Bedeutung. Gott hat mir vergeben; Er gedenkt meiner Sünden nie mehr. Handelt es sich um einen späteren Fehltritt, den ein aufrichtiges Herz stets bekennt, so ist es eine Vergebung, die mit der Regierung Gottes in Verbindung steht und meine gegenwärtige Stellung und das Verhältnis meiner Seele zu Gott berührt. Doch der Apostel spricht hier wie überall in einer unbedingten Weise; er stellt einen Grundsatz auf.
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