Warum heilt der Herr die besessene Tochter der Kananäerin nicht sofort?

Warum verweigerte der Herr Jesus der kanaanäischen Frau die Heilung ihrer Tochter, wo sie sich doch flehend an Ihn wendet? Insbesondere Vers 24 verstehe ich nicht.

Bibelstelle(n): Matthäus 15,21-28

Der Herr war gerade von den stolzen Pharisäern weggegangen. Sie hatten das Gesetz verdreht und zunichte gemacht. Sie wollten sich durch das Gesetz ihre eigene Gerechtigkeit erwirken, erkannten aber nicht, dass das Gesetz nur eine einzige Funktion hatte: die Sündhaftigkeit des Menschen zu belegen. Als Gott das Gesetz gab, wusste er, dass der Mensch es nicht halten konnte und hatte nie etwas anders vor, als durch seinen Sohn Errettung zu bringen. Der Herr muss den Pharisäern sagen, dass ihr Herz böse ist und so auch ihre Taten. Doch in ihrem Stolz und Hochmut nahmen sie die Botschaft des Herrn nicht an.

Ganz anders die Frau, die der Herr in der Gegend von Tyrus und Sidon (vgl. Mt 11,21) antrifft. Diese kanaanäische Frau, die eine besessene Tochter hat, fleht den Herrn mit den Worten an: „Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids!" Schon früher, und auch noch einmal später, wird der Herr durch die Blinden mit dem Titel „Sohn Davids" angeredet. Beide Male hilft Er sofort (Mt 9,27-30; 20,30-34). Was ist hier anders? Warum hilft Er nicht? Bei den drei Blinden handelt es sich um Israeliten. Doch in unserm Abschnitt haben wir eine kanaanäische Frau vor uns, die einem verfluchten Volk angehörte (1. Mo 9,25). Sie gehörte nicht zu dem Volk Israel und hatte somit keinerlei Anrecht an den Verheißungen, die diesem galten. Es gab keinerlei Verbindung zwischen ihr und dem Sohn Davids. Wollte sie von dem Sohn Davids Hilfe bekommen, musste sie als eine Jüdin zu dem Herrn kommen. Man könnte sagen, dass sie den Herrn auf einem falschen Level anredete.

Die Jünger wollen die Frau loswerden und bitten den Herrn, sie zu entlassen. Der Herr jedoch hat andere Pläne und antwortet: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen Israels gesandt." Abgesehen von ein paar Ausnahmen, wandte sich der Herr nur Israel zu. Zu Seiner Lebzeit hat sich der Herr niemals zu den Nationen gewandt, um ihnen das Reich zu verkündigen. Auch seinen Jüngern gab er zu dieser Zeit den Auftrag, nicht auf den „Weg der Nationen" zu gehen (Mt 10,5). Dennoch sehen wir, dass er auch einem Hauptmann (Mt 8,5) oder hier der kanaanäischen Frau geholfen hat. Denn Gnade kann über Ländergrenzen hinweg gehen - aber diese Situationen stellen noch Ausnahmen dar. An einigen Stellen deutet der Herr darauf hin, dass sich die Zeit einmal ändern wird, eine Zeit, in der die, die „fern" waren (Eph 2,14), d.h. die Nationen, auch das Heil erfahren sollten (vgl. Joh 10,16; Mt 8,11).

Gott hatte vielmals Seine Diener ausgesandt, um zu Seinem Volk Israel zu reden. Doch da sie nicht angenommen wurden, sandte er schließlich Seinen Sohn (Mt 21,33-38; Heb 1,1-2). Doch auch diesen verschonte das Volk nicht und verwarf Ihn durch die Kreuzigung vollkommen. Noch bevor der Herr in den Himmel auffährt, gibt er Seinen Jüngern den Befehl, jetzt auch zu den Nationen zu gehen (Mt 28,19). Der Herr wollte dieser kanaanäischen Frau schon jetzt Gnade erweisen, doch musste sie erst eine Lektion lernen.

Trotz der abweisenden Antwort des Herrn bittet die Frau weiter, und in ihrer Verzweiflung ruft sie: „Herr, hilf!" Er ist wirklich Herr über alles. Hier hatte die Frau die Wahrheit geredet, ohne die Anmaßung irgendeines Privilegs. Doch der Herr ist noch nicht am Ziel mit ihr. „Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und es den Hunden1 hinzuwerfen". Die kanaanäische Frau verstand die Antwort sofort! Konnte sie noch auf irgendetwas hoffen? Doch sie antwortet: „Ja, Herr; und doch fressen die Hunde von den Brotkrumen, die von dem Tisch ihrer Herren fallen." Sie hatte erkannt, dass sie kein Anteil an den Verheißungen Israels hatte, wie ein Hund nicht das Brot der Kinder essen darf. Was Gottes Wege angeht, so war Israel äußerlich noch immer Gottes Volk, doch sie war als Heidin außerhalb - wie ein Hund bei den Kindern. Demütig nimmt sie diesen verächtlichen Platz ein, doch sie gibt ihre Hoffnung und ihren Glauben nicht auf, der immer noch auf Gnade wartet. Der Herr belohnt ihren „großen Glauben" und gibt ihr nach ihrem Wunsch.

Lasst uns von dieser Frau lernen und mit ihr vor Gott diese demütige Haltung einnehmen! Gnade kann nicht eingefordert werden, beruht auf keinem Verdienst, sonst wäre es keine Gnade mehr. Was unsere Bekehrung angeht, so war es reine Gnade (Eph 2,8). Was unseren Dienst für Gott, unsere Werke angeht, so sind sie einerseits von Gott zuvor bereitet (Eph 2,10) und andererseits sind wir es Ihm schuldig (Lk 17,10). Doch Gott, auf seiner Seite, möchte uns in Seiner reichen Gnade segnen; und diese Gnade ist genug für uns (2. Kor 12, 9).


Online seit dem 27.05.2009.

Fußnoten

  • 1 Fußnote in der überarbeiteten Elberfelder Übersetzung: „Eig. Hündchen (im Griech. ein verächtlicher Ausdruck).“