Die Bergpredigt: Schwören - Ja oder nein?

Bibelstelle(n): Matthäus 5,33-37; s.a. Jakobus 5,12

In der Zeit und in der Gesellschaft, in denen wir leben, ist uns das Schwören, das Ablegen eines Eides, relativ fremd. Höchstens vor Gericht oder vor sonstigen staatlichen Stellen wird heute in besonderen Fällen ein Eid vom Staatsbürger gefordert. Im täglichen Leben spielt das Schwören kaum eine Rolle.

Aber in der Bergpredigt, Seiner ersten großen Rede im Evangelium nach Matthäus, erwähnt der Herr Jesus dieses Thema. Er tut es später noch ausführlicher in Kapitel 23,16–22. Das muss einen Grund haben. Der Herr verfolgt mit allen Seinen Worten einen Zweck. Er sagt in Kapitel 12,36, dass die Menschen einmal von jedem unnützen Wort, das sie ausgesprochen haben, am Tag des Gerichts vor Gott Rechenschaft ablegen müssen. Wenn wir den vorliegenden Abschnitt unter diesem Gesichtspunkt betrachten, dann haben die Worte des Herrn Jesus auch uns manches zu sagen.

Das Gesetz und das Schwören

Der Herr beginnt diesen vierten Abschnitt in der Reihe Seiner Beispiele mit den Worten: „Wiederum habt ihr gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht falsch schwören, du sollst aber dem Herrn deine Eide erfüllen.“ Wie bei dem vorigen Beispiel über die Ehescheidung handelt es sich auch hier nicht um ein ausdrückliches Gebot Gottes, sondern um eine der Überlieferungen der Ältesten und Schriftgelehrten, die großenteils nach der Babylonischen Gefangenschaft entstanden waren. Obwohl sie zur Erklärung der göttlichen Gebote dienen sollten, waren sie den Juden im Lauf der Zeit teilweise wichtiger geworden als das Wort Gottes selbst. Deshalb musste der Herr ihnen sagen: „Das Gebot Gottes habt ihr aufgegeben, und die Überlieferungen der Menschen haltet ihr“, und: „Geschickt hebt ihr das Gebot Gottes auf, um eure Überlieferung zu halten“ (Mk 7,8.9).

Schon im dritten Gebot: „Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht zu Eitlem aussprechen“ und auch im neunten Gebot: „Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen gegen deinen Nächsten“ ist die sittliche Grundlage zu der Vorschrift, nicht falsch zu schwören, d.h. keinen Meineid zu leisten, enthalten. Aber es gibt noch weitere Stellen im Alten Testament, in denen das Volk Israel vor leichtfertigem Schwören gewarnt wird. In 3. Mose 19,12 heißt es: „Und ihr sollt nicht falsch schwören bei meinem Namen, dass du den Namen deines Gottes entweihest“ (vgl. 4. Mo 30,3; 5. Mo 23,23ff.; Sach 8,17).

Andererseits forderte Gott Sein Volk jedoch auf, bei Seinem Namen zu schwören, und es gab verschiedene Gelegenheiten, bei denen nach dem Gesetz ein Eid zu leisten war (5. Mo 6,13; vgl. 2. Mo 22,10; 3. Mo 5,1; 4. Mo 5,19–21). Der Eid diente dabei nicht nur der Beteuerung der Wahrheit, sondern war auch ein feierliches Gelöbnis im Bewusstsein der Gegenwart des heiligen Geistes, der ja selbst Abraham gegenüber einmal einen Schwur tat (1. Mo 22,16; Heb 6,13–20).

Alles dies wird in der Erklärung zusammengefasst: „Du sollst nicht falsch schwören, du sollst aber dem Herrn deine Eide erfüllen“ (Mt 5,33).

Leichtfertiges Schwören

Die Juden liebten es, bei allen möglichen Gelegenheiten einen Schwur abzulegen, um ihre Worte zu bekräftigen, wobei sie allerlei beeindruckende Formeln benutzten. Sie schworen beim Himmel, bei der Erde, bei Jerusalem, beim Tempel usw. Offenbar lehrten die Schriftgelehrten, dass nur solche Schwüre, bei denen ausdrücklich der Name Gottes erwähnt wurde, wirkliche Eide und deshalb für den Schwörenden bindend waren. Darüber hinaus machten sie jedoch noch weitere Unterscheidungen zwischen dem Tempel und dem Gold des Tempels, dem Altar und der Gabe auf dem Altar (Mt 23,16–22). Das leichtfertige Ablegen von Schwüren, Gelübden und Versprechungen, die dann nicht gehalten wurden, wurde offenbar von den Juden kaum als Sünde betrachtet, solange nur der Name Gottes dabei unerwähnt blieb.

Tun wir nicht einen Blick in unser menschliches Herz und erblicken dort die „zweierlei Gewichtssteine“, von denen in den Sprüchen die Rede ist (Spr 20,10.23)? Wird nicht manchmal ein Unterschied gemacht zwischen dem „alltäglichen“ Reden – wobei nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden darf – bis hin zur sogenannten „Notlüge“ (die doch eine ganze Lüge ist), und den Gelegenheiten, wo es ernst gemeint ist, wo man dann sein „Ehrenwort“ geben muss und gibt? Wie manche Versprechungen und Behauptungen werden auch unter Christen abgegeben, die sicher unterblieben wären, wenn wir uns immer der Tatsache bewusst wären, dass wir für jedes unnütze Wort, das wir geredet haben, einmal Rechenschaft geben müssen!

Schwört überhaupt nicht“

Menschenlehre wie die der Schriftgelehrten kommt immer in irgendeiner Weise dem Fleisch entgegen. Hier streicht sie etwas, dort fügt sie dem Wort Gottes etwas hinzu. Sie nimmt ihm dadurch nicht nur seine Schärfe und Kraft, sondern hindert auch den direkten persönlichen Zugang der Seele zu diesem Wort der Gnade. Solcher Menschenlehre stellt der Herr Jesus Sein göttliches „Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht“ entgegen.

Die Jünger des Herrn Jesus müssen lernen, dass nicht der Schwall der Worte und die übermäßigen Beteuerungen und Wiederholungen ihren Worten Gewicht geben, sondern dass Gott Lust an der Wahrheit im Innern und im Äußeren hat. Paulus schreibt an die Epheser: „Deshalb, da ihr die Lüge (d.h. alles Falsche und Unwahre) abgelegt habt, redet Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten“ (Eph 4,25).

In Seinen folgenden Worten nimmt der Herr Bezug auf die verschiedenen Beteuerungsformeln, die die Juden bei ihren häufigen Schwüren benutzten. „Schwört überhaupt nicht; weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron; noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße; noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs; noch sollst du bei deinem Haupt schwören, denn du vermagst nicht ein Haar weiß oder schwarz zu machen.“ Es war eben eine falsche Vorstellung, zu meinen, man könne diese „Ersatzformeln“ ruhig benutzen, wenn man dabei nur den Namen Gottes nicht erwähnte. Der Himmel ist ja Gottes Thron, die Erde ist Gottes Fußschemel (Jes 66,1), und Jerusalem ist die Stadt Gottes und Seines Königs (Ps 48,2.3). Wer bei seinem Haupt schwor, d.h. sein Leben verpfänden wollte, sollte wohl bedenken, dass Gott allein der Herr über Leben und Tod ist, und dass er selbst nicht einmal die Macht besaß, die Farbe der Haare auf seinem Kopf zu verändern.

„Eure Rede sei aber: Ja – ja; nein – nein; was aber mehr ist als dieses, ist aus dem Bösen.“ Wenn unsere Worte aufrichtig und wahr sind, benötigen sie keine anderen Bestätigungen als ja und nein. Der Sinn der zweimaligen Erwähnung von ja und nein wird durch die sehr ähnliche Stelle in Jakobus 5,12 deutlich: das Ja soll auch wirklich ja bedeuten und das Nein wirklich nein. Alles, was darüber hinausgeht, ist nur ein Zeichen dafür, dass man es im Übrigen mit der Wahrheit nicht genau nimmt, und deshalb aus dem Bösen.

Darf ein Christ schwören?

Verschiedene der alten Kirchenväter wie Justin, Irenäus, Origenes und Hieronymus haben die Worte des Herrn „Schwört überhaupt nicht“ so aufgefasst, dass ein Christ unter gar keinen Umständen einen Eid ablegen darf. Auch manche Sekten wie die Quäker und die Zeugen Jehovas lehnen bis heute jede Art von Eid ab. Es ist daher verständlich, dass immer wieder von Kindern Gottes die Frage gestellt wird: Darf ein Christ schwören oder nicht?

Wenn der Schwur nur zur Bekräftigung der eigenen Worte dienen soll, weil man befürchtet, dass sie sonst nicht geglaubt werden, ist es nicht erlaubt. Wir sollen als Kinder Gottes immer die Wahrheit reden (Eph 4,25). Dabei sollte es keiner zusätzlichen Bekräftigung bedürfen.

Wenn von der Regierung oder vor Gericht ein Eid gefordert wird, ist es anders. In der Welt ist die Lüge fast an der Tagesordnung. Wenn deshalb, z.B. vor Gericht, eine Zeugenaussage unter Eid abgenommen wird, ist dies in der Welt eine sehr verständliche Maßnahme, die die Suche nach der Wahrheit in ernster Weise unterstreichen soll. Wenn auch die Regierung Gott nicht anerkennt, sollte der Christ doch die Obrigkeit als von Gott kommend anerkennen (Röm 13,1ff.). In einem solchen Fall kann auch der Christ einen Eid ablegen.

Auch ein Gelöbnis, das Beamte oder Soldaten ablegen müssen, ist wohl aus dieser Sicht zu betrachten. Als unser Herr vor dem Synedrium stand, antwortete Er auf alle falschen Anklagen, die gegen Ihn vorgebracht wurden, nicht. Als aber der Hohepriester Ihn mit den Worten unter Eid stellte: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott ...“, da schwieg Er nicht länger, sondern unterwarf sich der von Gott eingesetzten Obrigkeit und legte von der Wahrheit Zeugnis ab: „Du hast es gesagt“ (Mt 26,63ff.; vgl. 3. Mo 5,1).


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