Betrachtung über Apostelgeschichte (Synopsis)

Kapitel 9

Betrachtung über Apostelgeschichte (Synopsis)

Ein Werk und ein Arbeiter von ganz anderem Charakter beginnen jetzt auf dem Schauplatz zu dämmern. Wir haben den eingewurzelten Widerstand der Leiter Israels gegen das Zeugnis des Heiligen Geistes gesehen sowie ihre Hartnäckigkeit, womit sie die Langmut Gottes zurückstießen. Israel verwarf alles Wirken des Gottes der Gnade zu ihren Gunsten. Saulus macht sich zum Gesandten ihres Hasses wider die Jünger Jesu, wider die Diener Gottes. Nicht zufrieden, ihnen in Jerusalem nachzuforschen, erbittet er sich Briefe von dem Hohenpriester, damit er in ausländische Städte gehen und die Hand an sie legen möge. Ist Israel in völligem Widerstand gegen Gott, so ist er der feurige Gesandte ihrer Bosheit – ohne Zweifel in Unwissenheit, aber der willige Sklave seiner jüdischen Vorurteile. Also beschäftigt nähert er sich Damaskus. Dort, im vollen Lauf eines ungebrochenen Willens, hemmt ihn der Herr Jesus. Ein Licht vom Himmel umstrahlt ihn und hüllt ihn in seinen blendenden Glanz ein. Er fällt zur Erde und hört eine Stimme, die zu ihm sagt: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ (V. 4.) Die Herrlichkeit, die ihn zu Boden geworfen, ließ – begleitet von jener Stimme – keinen Zweifel übrig, dass die Autorität Gottes darin offenbart war. Sein Wille war gebrochen, sein Stolz besiegt, sein Herz unterworfen, und er fragt: „Wer bist du, Herr?“ Die Autorität dessen, der redete, war unzweifelhaft. Sauls Herz war dieser Autorität unterworfen, und die herrliche Person, die ihm begegnete, war Jesus. Der Lauf seines eigenen Willens war für immer beendet. Überdies machte er nicht nur die Entdeckung, dass der Herr der Herrlichkeit, der ihm erschienen, Jesus selbst war, sondern auch, dass dieser Jesus die armen Jünger, die Saul als Gefangene nach Jerusalem zu führen gedachte, als sein eigenes ich anerkannte: „Ich bin Jesus, den du verfolgst“ (V. 5).

Wie vieles wurde in jenen wenigen Worten offenbart! Der Herr der Herrlichkeit erklärte, dass Der, den Saul verfolgte, Jesus war. Die Jünger waren eins mit Ihm. Die Juden waren im offenbaren Krieg mit dem Herrn selbst. Das ganze System, das sie aufrechterhielten, ihr ganzes Gesetz, ihre ganze amtliche Autorität, alle die Satzungen Gottes hatten nicht verhindert, dass sie mit dem Herrn in offenem Krieg standen. Saul selbst, bekleidet mit ihrer Autorität, war beschäftigt, den Namen des Herrn und sein Volk von der Erde zu vertilgen – eine schreckliche Entdeckung, die seine Seele völlig überwältigte, die allmächtig war in ihren Wirkungen, und die nicht ein moralisches Element in der Seele dieses energischen Mannes übrigließ, um ihrer Kraft zu widerstehen. Eine Beschönigung des Übels war fruchtlos. Sein Eifer für das Judentum war ein Eifer gegen den Herrn. Sein eigenes Gewissen allein hatte diesen Eifer belebt. Die von Gott verordneten Autoritäten, seit Jahrhunderten mit dem Nimbus der Ehrwürdigkeit umgeben – einem Nimbus, der durch den gegenwärtigen traurigen Zustand Israels, das jetzt nichts mehr als seine Religion besaß, noch erhöht worden war – diese Autoritäten hatten seine Anstrengungen wider den Herrn nur bestätigt und begünstigt. Der Jesus, den sie verwarfen, war der Herr. Das Zeugnis, das sie zu unterdrücken trachteten, war sein Zeugnis. Welch eine Veränderung bei Saulus! Welch eine neue Stellung, sogar neu den Gedanken der Apostel selbst, die in Jerusalem blieben, als alle zerstreut wurden. Sie waren wirklich treu, trotz des Widerstandes der Leiter Israels, aber sie blieben in Verbindung mit ihrer Nation.

Noch andere wichtige Punkte treten hier ans Licht. Saulus hatte Jesum auf der Erde nicht gekannt. Ein Zeugnis, das sich auf seine Bekanntschaft mit Ihm von Anfang an gründete und erklärte, dass Er zum Herrn und Christus gemacht sei, hatte er nicht. Für ihn war es nicht ein Jesus, der in den Himmel hinaufgeht, wo Er unseren Blicken entzogen ist, sondern es war der Herr, der ihm zuerst im Himmel erscheint und ihm verkündigt, dass Er Jesus ist. Ein herrlicher Herr ist der einzige, den er kennt. Sein Evangelium (wie er sich ausdrückt) ist das Evangelium der Herrlichkeit. Wenn er Christus nach dem Fleisch gekannt hätte, so kennt er Ihn doch jetzt nicht mehr also (2. Kor 5, 16). Es wird hier aber noch ein anderer wichtiger Grundsatz gefunden. Der Herr der Herrlichkeit hat seine Glieder auf der Erde. Er sagt zu Saul: „ich bin Jesus, den du verfolgst.“ Er war es selbst, jene armen Jünger waren Gebein von seinen Gebeinen und Fleisch von seinem Fleisch. Er blickte auf sie und liebte sie als sein eigenes Fleisch. Die Herrlichkeit und die Einheit der Kirche mit Jesus, ihrem Haupt im Himmel – das sind die kostbaren Wahrheiten, die in Verbindung stehen mit der Bekehrung des Saulus, mit der ihm zuteil gewordenen Offenbarung Jesu, mit dem Hervorbringen des Glaubens in seinem Herzen. Dieses Hervorbringen geschah zugleich in einer Weise, die das Judentum mit allen seinen Früchten in seiner Seele über den Haufen warf – in einer Seele, in der das Judentum einen großen Teil ihrer Existenz bildete und ihr ihren ganzen Charakter verlieh.

Dennoch kommt er durch das gewöhnliche Mittel in die Kirche hinein – gleichwie Jesus in Israel, der in Demut dort seinen Platz nahm, wo die Wahrheit Gottes durch seine Kraft festgestellt war. Während drei Tagen blind, und – wie natürlich – mit einer solchen Entdeckung gänzlich erfüllt, isst und trinkt er nicht. Nachher muss – außer der Tatsache seiner Blindheit, die ein stiller, beständiger und untrüglicher Beweis von der Wahrheit des ihm begegneten Ereignisses war – sein Glaube befestigt worden sein durch die Ankunft des Ananias, der ihm von Seiten des Herrn das mit ihm Vorgefallene erklären kann, obgleich er nicht außer der Stadt gewesen ist – ein Umstand, der um so schlagender war, weil Saulus in einem Gesicht ihn hatte kommen und seine Augen wiederherstellen sehen. Und eben dies tut Ananias. Saulus erhält das Gesicht wieder und wird getauft. Er nimmt Speise und wird gestärkt. Die Unterhaltung Jesu mit Ananias ist bemerkenswert, da sie uns einerseits zeigt, mit welcher untrüglichen Klarheit der Herr sich in jenen Tagen offenbarte, und andererseits die heilige Freiheit und das Vertrauen, womit der wahre und treue Jünger mit Ihm verkehrte. Ananias unterredet sich mit dem Herrn hinsichtlich des Saulus, und Jesus antwortet ihm, indem Er erklärt, dass Saulus ein auserwähltes Gefäß sei, Seinen Namen zu tragen sowohl vor Nationen als Könige und Söhne Israels, und dass Er ihm zeigen werde, wie vieles er um Seinetwillen leiden müsse (V. 15. 16).

Saulus zögert nicht, seinen Glauben zu bekennen und zu verkündigen; und das, was er sagt, ist in hohem Grad der Beachtung wert. Er predigt in den Synagogen, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Zum ersten Mal wird Christus auf diese Weise verkündigt. Dass Er zur Rechten Gottes erhöht, dass Er Herr und Christus war, war schon gepredigt worden. Der verworfene Messias war droben erhöht. Allein hier ist es die einfache Lehre hinsichtlich seiner persönlichen Herrlichkeit; Jesus ist der Sohn Gottes. Bemerken wir noch, dass in den Worten, die Jesus zu Ananias spricht, die Kinder Israel zuletzt kommen.

Saulus beginnt seinen öffentlichen Dienst noch nicht. Seine Predigt ist sozusagen nur der Ausdruck seiner persönlichen Treue, seines Eifers, seines Glaubens unter denen, die ihn umgaben, mit denen er von Natur verbunden war. Es dauerte nicht lange, so zeigte sich der Widerstand, und die Jünger senden ihn weg, indem sie ihn in einem Korb an der Mauer hinablassen. Durch die Vermittlung des Barnabas – der ein guter Mann und voll Heiligen Geistes und Glaubens war, den die Gnade unterwiesen hatte, die Wahrheit in Bezug auf den neuen Jünger zu schätzen – fand der gefürchtete Saulus seinen Platz unter den Jüngern, sogar zu Jerusalem (V. 23–29). Wunderbarer Triumph des Herrn! Es wäre dort eine seltsame Stellung für ihn gewesen, wenn der Gedanke an Jesum nicht sein ganzes Herz innegehabt hätte. Zu Jerusalem unterredete er sich mit den Hellenisten. Er war einer von ihnen. Die Hebräer waren nicht sein natürlicher Kreis. Sie trachten ihn zu töten; die Jünger geleiten ihn nach dem Meer und senden ihn hinweg nach Tarsus, dem Ort seiner Geburt. Der Triumph der Gnade hat unter der Hand Gottes den Gegner zum Schweigen gebracht. Die Versammlungen werden in Ruhe gelassen und erbauen sich, indem sie in der Furcht Gottes und in dem Trost des Heiligen Geistes – den zwei großen Elementen der Segnung – wandeln, und ihre Zahl wächst. Die Verfolgung erfüllt die Vorsätze Gottes. Der Friede, den er gewährt, gibt Anlass, reif zu werden in der Gnade und in der Erkenntnis seiner selbst (V. 31).

Nachdem der Friede befestigt ist durch die Güte Gottes – die alleinige Zuflucht derer, die mit Unterwerfung unter seinen Willen in Wahrheit auf Ihn warten – zieht Petrus durch alle Teile Israels hindurch. Der Geist Gottes teilt diesen Umstand hier zwischen der Bekehrung des Saulus und seinem apostolischen Werk mit, um uns, wie ich nicht zweifle, einerseits die apostolische Energie in Petrus sehen zu lassen, die zu jener Zeit bestand, als die Berufung dieses neuen Apostels neues Licht hineinbringen sollte, und uns andererseits ein Werk zu zeigen, das in vielen wichtigen Beziehungen neu war. Auf diese Weise bestätigt Gott das Werk, das vorher getan worden war, als das Seinige und an seinem Platz, welche Fortschritte auch seine Ratschlüsse hinsichtlich der Erfüllung machen mochten. Zugleich will Er uns die Einführung der Nationen in die Kirche zeigen, wie sie durch seine Gnade im Anfang gegründet war, indem Er auf diese Weise die Einheit der Kirche bewahrt und auf dieses Werk himmlischer Gnade sein Siegel setzt.

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