Betrachtung über Lukas (Synopsis)

Kapitel 5

Betrachtung über Lukas (Synopsis)

Als Mensch war Jesus für die Menschen gekommen. Er will andere in diesem herrlichen Werk mit Sich verbinden; Er hat ein Recht, das zu tun. Wenn Er ein Diener in Gnade ist, so ist Er es nach der vollen Macht des Heiligen Geistes. Er verrichtet ein Wunder, das wohl geeignet war, diejenigen in Erstaunen zu setzen, die Er berufen wollte, und das sie fühlen ließ, dass alles zu Seiner Verfügung stand, dass alles von Ihm abhing und dass Er Selbst da alles vermochte, wo der Mensch nichts tun konnte (V. 4-7). Petrus, in seinem Gewissen durch die Gegenwart des Herrn getroffen, bekennt seine Unwürdigkeit. „Gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr!“ (V. 8). Die Gnade richtet ihn auf und beruft ihn, zu anderen von ihr zu reden - Menschen zu fangen. Schon war Jesus nicht mehr ein Prediger der Gerechtigkeit unter dem Volk Gottes, sondern Der, welcher solche in Sein Netz zog, die weit von ihr entfernt waren. Als die Offenbarung der Macht und des Charakters Gottes auf Erden zog Er sie zu Sich; und dies war Gnade. Er war da mit dem Willen und der Macht, das zu heilen, was ein Bild der Sünde und ohne die Dazwischenkunft Gottes unheilbar war; aber Gott war ins Mittel getreten. Jesus kann in Gnade sagen und sagt zu dem, der zwar Seine Macht anerkannte, aber an Seinem Willen zweifelte: „Ich will, sei gereinigt!“ 1 Indes unterwarf Er Sich als einer, der dem Gesetz gehorsam war, den jüdischen Verordnungen. Er betete als ein von Gott abhängiger Mensch (V. 16). Das war Seine Vollkommenheit als Mensch, geboren unter Gesetz. Überdies musste Christus notwendigerweise die Verordnungen Gottes anerkennen, die, da Er noch nicht verworfen, keineswegs aufgehoben waren. Allein dieser Gehorsam als Mensch wurde zu einem Zeugnis für Ihn; denn nur die Macht Jehovas vermochte den Aussatz zu heilen, und Jesus hatte ihn geheilt. Die Priester waren gezwungen, das, was an dem Aussätzigen geschehen war, anzuerkennen.

Jesus bringt aber nicht nur Reinigung, sondern auch Vergebung. Er liefert einen Beweis davon, indem Er alle Schwachheit wegnimmt und dem Kraft verleiht, der keine besitzt (V.17 u. f.). Es handelte sich nicht um die Lehre, dass Gott vergeben konnte, denn daran zweifelte man nicht; sondern Gott war ins Mittel getreten, und die Vergebung war vorhanden. Es war nicht mehr nötig, bis zum letzten Tage oder bis zum Tage des Gerichts zu warten, um seinen Zustand kennen zu lernen; es war nicht mehr nötig, dass ein Nathan kam, um von Seiten eines Gottes im Himmel den Seinigen, die auf der Erde waren, diese Vergebung anzukündigen: sie war gekommen in der Person des Sohnes des Menschen, der auf der Erde erschienen war. In allem diesem gab der Herr Beweise von der Macht und den Rechten Jehovas (in dem uns beschäftigenden Falle sehen wir die Erfüllung von Psalm 103,3); aber zu gleicher Zeit gab Er diese Beweise, als hervorgebracht durch die Kraft des Geistes, der ohne Maß in dem Menschen wohnte, in Ihm, der in Seiner eigenen Person der wahre Sohn Gottes war. „Der Sohn des Menschen hat Gewalt auf der Erde Sünden zu vergeben“ (V. 24). In der Tat, Jehova war als Mensch auf der Erde erschienen; der Sohn des Menschen war vor ihren Augen in Gnade gegenwärtig, um, als Beweis der Gegenwart Gottes hienieden, diese Gewalt auszuüben. In den beiden vorliegenden Fällen entfaltet der Herr diese Macht in Verbindung mit Israel 2, obwohl sie geeignet war, sich auszudehnen und die sich auch über diesen Bereich hinaus ausdehnen sollte. Die Reinigung war ein Beweis von der Macht Jehovas in der Mitte Israels, während die Vergebung mit Seiner Regierung in Israel 3 in Verbindung stand und sich deshalb, nach dem schon an geführten 103. Psalm, durch die völlige Heilung des Leidenden erwies. Allerdings beschränkten sich diese Rechte nicht auf Israel: doch in jenem Augenblick wurden sie in Verbindung mit diesem Volke ausgeübt. Jesus reinigte in Gnade von dem, wovon Jehova allein reinigen konnte, und, indem Er alle Folgen der Sünde hinwegkam, vergab Er das, was Jehova allein vergeben konnte. In diesem Sinne war es eine Vergebung, welche zu der Regierung Gottes in Beziehung stand. Die Macht Jehovas war gegenwärtig, um Israel - wenigstens da, wo der Glaube sie benutzen wollte - vollständig aufzurichten und wiederherzustellen. Später werden wir die Vergebung finden, welche den Frieden der Seele bewirkt.

Die Berufung Levis und das, was derselben folgt (V. 27-39), zeigt nicht nur, dass diese Macht der Gnade sich über Israel hinaus erstrecken sollte, sondern auch, dass die „alten Schläuche“ dieselbe nicht zu ertragen vermochten; sie musste sich selbst neue Schläuche bilden.

Andererseits wird man in der Geschichte des Gichtbrüchigen wahrnehmen, dass Ausharren ein Charakterzug des Glaubens ist. In dem Bewusstsein, dass das Übel da ist, und zwar ein unheilbares Übel, und in der Gewissheit, dass Einer gegenwärtig ist, der heilen kann, lässt der Glaube sich durch nichts abschrecken, noch schiebt er die Linderung seiner Not auf. Nun, die Macht Gottes war da, um dieser Not zu begegnen.

Hiermit enden die Mitteilungen, die in bestimmter Weise die göttliche Macht offenbaren, welche in Gnade (in der Person des Sohnes des Menschen) die Erde besuchte und unter Israel, so wie sie dasselbe fand, in Ausübung trat. Das Folgende charakterisiert die Ausübung dieser Gnade im Gegensatz zum Judentum. Doch das, was wir bereits betrachtet haben, zerfällt in zwei Teile von verschiedenem Charakter, und es lohnt sich wohl der Mühe, etwas näher darauf einzugehen.

Zunächst sehen wir in Lk 4,31–41, wie sich die Macht des Herrn Seinerseits offenbart (und zwar ohne besondere Verbindung mit der Gesinnung der betreffenden Personen) als triumphierend über die ganze Macht des Feindes, mochte diese nun in Krankheiten oder in Besessenheit zum Ausdruck kommen. Die Macht des Feindes ist da; Jesus treibt sie aus und heilt diejenigen, die unter ihr leiden. Ferner beschäftigt Er Sich damit, zu predigen. Das Reich war nicht nur die Offenbarung einer Macht, die die des Feindes gänzlich vertrieb, sondern auch einer solchen, die die Seelen mit Gott in Verbindung brachte. Wir finden dieses in Kap. 5, 1-26. In dieser Stelle handelt es sich um den Zustand der Seelen vor Gott, um die Sünde und den Glauben, kurz um alles, was mit ihren Beziehungen zu Gott zusammenhängt. Infolgedessen begegnen wir hier der Autorität des Wortes Christi über das Herz, der Offenbarung Seiner Herrlichkeit (Er wird als Herr anerkannt), der Überzeugung von der Sünde, dem wahren Eifer für Seine Herrlichkeit, und dies im Gefühl Seiner Heiligkeit, die sich unverletzt erhalten musste. Die Seele stellt sich auf die Seite Gottes gegen sich selbst, weil sie die Heiligkeit liebt und die Herrlichkeit Gottes hochschätzt und doch zugleich von Seiner Gnade angezogen wird, so dass Fische, Netze, Schiff, Gefahr, kurz alles vergessen wird: „das Eine“ hat bereits Besitz von der Seele genommen. Die Antwort des Herrn zerstreut dann alle Furcht, und Er vereinigt die befreite Seele mit Sich Selbst in der Gnade, die Er gegen sie ausgeübt hatte, und in dem Werke, das Er zu Gunsten der Menschen vollbrachte.

Die Seele war schon in moralischer Weise von allem befreit, was sie umgab: aber jetzt, im vollen Genusse der Gnade, wird sie durch die Macht dieser Gnade freigemacht und Jesu ganz hingegeben. Der Herr als die vollkommene Offenbarung Gottes, trennt, indem Er durch die Offenbarung neue Gesinnungen schafft, das Herz von allem, was dasselbe an diese Welt und an die Ordnung des alten Menschen kettet, um es für Sich, für Gott, abzusondern. Er umgibt Sich mit allem, was befreit ist, und wird der Mittelpunkt desselben; und als solcher macht Er wirklich frei.

Danach reinigt Er - was nur Jehova zu tun vermochte - den Aussätzigen (V. 12-16), ohne aber Seine Stellung unter dem Gesetz zu verlassen; und wie groß auch Sein Ruf sein mochte, so bewahrt Er doch als Mensch vor Gott Seinen Platz vollkommener Abhängigkeit. Der Aussätzige, der Unreine, kann jetzt zu Gott zurückkehren.

Dann bringt der Herr die Vergebung (V. 17 - 26). Der Schuldige hört auf, vor Gott schuldig zu sein: Vergebung wird ihm zuteil; zugleich erlangt er Kraft. Indes ist es noch der Sohn des Menschen, der gegenwärtig ist. In den beiden vorliegenden Fällen sucht der Glaube den Herrn, indem er seine Bedürfnisse vor Ihn bringt.

Dann (V. 27 u. f.) zeigt der Herr den Charakter dieser Gnade in Verbindungen mit den Gegenständen, mit denen sie sich beschäftigt. Da sie unumschränkt und von Gott ist, so handelt sie kraft ihrer Rechte. Menschliche Umstände hemmen sie nicht. Sie passt sich vermöge ihrer Natur den menschlichen Bedürfnissen, nicht aber den menschlichen Vorrechten an. Sie unterwirft sich nicht den Satzungen 4, noch wird sie durch dieselben eingeführt. Die Macht Gottes durch den Geist war gegenwärtig und handelte für sich selbst; sie brachte ihre eigenen Wirkungen hervor, indem sie das Alte, das, woran der Mensch sich klammerte, beiseite setzte. Doch auch hier, indem der Herr die Gründe angibt, weshalb die Jünger die Einrichtungen und Vorschriften des Johannes und der Pharisäer nicht befolgten, verbindet Er dieselben mit den beiden schon bezeichneten Grundsätzen: mit Seiner Stellung in der Mitte Israels und mit der Macht der Gnade, die über die Grenzen Israels hinausging. Der Messias, Jehova Selbst, war unter ihnen in dieser Gnade, nach der Er Sich nannte: „Ich bin Jehova, dein Arzt“ (2. Mo 15,26). Er war unter ihnen, trotzdem Israel unter dem Gesetz gefehlt hatte und unter die Herrschaft der Heiden gekommen war. Er war da, wenigstens für den Glauben, in der Unumschränktheit der Gnade. Wie konnten deshalb diejenigen, die Ihn als den Messias, den Mann oder Gatten Israels, anerkannten, fasten, während Er bei ihnen war? Er sollte sie verlassen, und dann würde es ohne Zweifel für sie an der Zeit sein zu fasten. Ferner vermochte Er nicht (und dieses ist stets unmöglich) das neue Tuch des Christentums dem alten, durch die Sünde abgenutzten Kleide des Judentums anzupassen, in welchem Israel in richterlicher Weise den Heiden unterworfen worden war. Überdies konnte die Macht des Geistes Gottes in Gnade sich nicht in die Verordnungen des Gesetzes einzwängen lassen; gerade durch ihre Kraft musste sie dieselben zerstören. Die Berufung Levis verletzte in der offenbarsten Weise alle Vorurteile der Juden. Ihre eigenen Landsleute ließen sich als Werkzeuge der Erpressung seitens ihrer Herren gebrauchen und erinnerten sie auf die peinlichste Art an ihre Unterjochung unter die Heiden. Aber der Herr war in Gnade gegenwärtig, um die Sünder zu suchen.

Das, was der Heilige Geist uns hier vor Augen stellt, sind, ich wiederhole es, die Gegenwart des Herrn sowie die Rechte, die sich notwendigerweise an Seine Person und an Seine zu Israel gekommene unumschränkte Gnade knüpften, - eine Gnade, die aber ebenso notwendig über die Grenzen dieser Nation hinausging und folglich das gesetzliche System, das diese neue Sache unmöglich annehmen konnte, beiseite setzte. Das ist der Schlüssel zu allen diesen Mitteilungen, wie auch zu dem, was bezüglich des Sabbats folgt. Der erste Fall (Lk 6,1–5) zeigt die Unumschränktheit des Herrn, die Seine herrliche Person Ihm über das verlieh, was das Zeichen des Bundes selbst war. Der andere Fall (Lk 6,6–11) zeigt, dass die Güte Gottes ihre Rechte und ihre Natur nicht aufgeben kann; selbst am Sabbattage wollte Er Gutes tun.

Die Pharisäer und Schriftgelehrten wollten den Herrn nicht im Kreise der Bösen und der Leute von schlechtem Rufe sehen (V. 30); Gott aber suchte in Gnade die, die Seiner bedürfen, die Sünder. Auf die Frage, warum Seine Jünger die Gebräuche und Satzungen des Johannes und der Pharisäer nicht beobachteten, durch welche diese der gesetzlichen Frömmigkeit ihrer Jünger eine Anleitung gaben, antwortet der Herr, dass das Neue nicht den Formen unterworfen werden könne, die dem Alten angehörten, und die die Energie und die Kraft dessen, was von Gott kam, nicht zu ertragen vermochten. Das Alte bestand aus den Formen des Menschen nach dem Fleische; das Neue war die Kraft Gottes nach dem Heiligen Geiste. Überdies war es nicht die Zeit für eine Frömmigkeit, die den Charakter der Selbstkasteiung annahm, obwohl die Bestrebungen des Menschen, um eine Frömmigkeit hervorzubringen, stets diesen Charakter tragen; denn was könnte der Mensch anders tun? Doch der Bräutigam war da. Dessen ungeachtet zog der Mensch das Alte vor, weil dieses der Mensch und nicht die Energie Gottes war.

Fußnoten

  • 1 Wenn ein Mensch einen Aussätzigen anrührte, so war er unrein; aber hier wirkt die Gnade, und Jesus, der unbefleckbar war, berührt den Aussätzigen. (Wir sehen hier Gott in Gnade, unbefleckbar, aber als Mensch das Unreine anrühren, um es zu heilen.)
  • 2 Die Berufung des Petrus ist insofern allgemeiner, als sie mit der Person Christi verbunden ist. Dennoch hat Petrus, obwohl er Menschenfischer war, seinen Dienst insbesondere mit Rücksicht auf Israel ausgeübt; allein die Macht in der Person Jesu war es, die sein Herz leitete, so dass es im Grunde genommen „das Neue“ war, aber in Verbindung mit Israel, obwohl es sich über das Volk hinaus erstreckte. Am Ende des 7. Kapitels und in Kap. 8 betreten wir einen Boden, der über die engen Grenzen Israels hinausgeht. (Der Herr gebraucht den Ausdruck „Menschenfischer“ augenscheinlich im Gegensatz zu den Fischen, mit denen Petrus beschäftigt war.)
  • 3 Vergleiche Hiob 33 und Hiob 36 (außerhalb der Haushaltungen) und Jak 5,14+15 (unter dem Christentum). In Israel ist es der Herr Selbst in unumschränkter Gnade.
  • 4 Christus war, als geboren unter Gesetz, denselben unterworfen; aber das ist eine andere Sache. Hier ist es die göttliche Macht, die in Gnade handelt.
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