Das Buch Daniel

Daniel 2

Die Zeiten der Nationen

Im ersten Kapitel haben wir die moralischen Eigenschaften gesehen, die in demjenigen gefunden werden müssen, dem Gott Weisheit und Verständnis seiner Gedanken geben kann. Dies bereitet den Weg für die Offenbarungen des gesamten Buches.

Im zweiten Abschnitt des Buches, der in Kapitel 2 beginnt und bis zum Ende von Kapitel 6 reicht, wird uns das Hauptthema des Propheten Daniel vorgestellt – die Darstellung einer prophetischen Übersicht über die Zeiten der Nationen.

In Kapitel 2 laufen vier große aufeinanderfolgende Weltreiche an uns vorüber, die während dieser Zeit die Regierungsmacht ausüben werden. Diese Regierung beginnt mit dem Babylonischen Reich, wird dann vom Medo-Persischen und Griechischen Reich gefolgt und endet mit dem Römischen Reich. Weiterhin lernen wir, dass diese Weltreiche, die ihre Macht ohne Rücksicht auf Gott geltend machen, unter ein Gericht kommen werden, das den Weg für die Aufrichtung des ewigen Königreichs Christi bereiten wird.

Daniel 3–6 stellt uns bestimmte historische Ereignisse vor, die die außerordentlichen moralischen Eigenschaften dieser aufeinanderfolgenden Weltreiche herausstellen. Weiterhin sind diese Kapitel reich an moralischen Belehrungen für Gottes Volk zu allen Zeiten.

Die Hauptthemen, die uns in Daniel 2 begegnen, sind folgende:

  1. Die Erfahrung der Schwachheit und Nutzlosigkeit der Macht und Weisheit dieser Welt (Verse 1–13)
  2. Der Mann Gottes, mit dem der Geist des Herrn ist (Verse 14–23)
  3. Das Zeugnis Gottes vor der Welt (Verse 24–30)
  4. Die Offenbarung des Traumes des Königs (Verse 31–35)
  5. Die Deutung des Traumes des Königs (Verse 36–45)
  6. Die Ehre, die dem Knecht Gottes gegeben wird (Verse 46–49)

Die Weisheit der Welt wird zunichte gemacht (Verse 1–13)

Im ersten Teil des Kapitels dürfen wir sehen, wie Gott hinter den sich wandelnden Umständen dieser Welt wirkt, indem Er sogar die Träume eines heidnischen Königs beeinflusst und Verachtung über den Stolz der Menschen schüttet.

„Und im zweiten Jahr der Regierung Nebukadnezars hatte Nebukadnezar Träume, und sein Geist wurde beunruhigt, und sein Schlaf war für ihn dahin. Und der König befahl, dass man die Wahrsagepriester und die Sterndeuter und die Magier und die Chaldäer rufen sollte, um dem König seine Träume kundzutun; und sie kamen und traten vor den König. Und der König sprach zu ihnen: Ich habe einen Traum gehabt, und mein Geist ist beunruhigt, den Traum zu verstehen. Und die Chaldäer sprachen zum König auf Aramäisch: O König, lebe ewig! Sage deinen Knechten den Traum, so wollen wir die Deutung anzeigen. Der König antwortete und sprach zu den Chaldäern: Die Sache ist von mir fest beschlossen: Wenn ihr mir den Traum und seine Deutung nicht kundtut, so sollt ihr in Stücke zerhauen werden, und eure Häuser sollen zu Kotstätten gemacht werden; wenn ihr aber den Traum und seine Deutung anzeigt, so sollt ihr Geschenke und Gaben und große Ehre von mir empfangen. Darum zeigt mir den Traum und seine Deutung an“ (2,1–6).

Nebukadnezar wird von einem Traum geplagt, sein Schlaf wird ihm versagt und sein Gedächtnis lässt ihn im Stich. All dies lässt Gott zu, um den König durch seinen Knecht Daniel zur Anerkennung seiner selbst zu zwingen. Der König hatte Daniel bereits als zehnmal weiser als alle Weisen Babylons erfunden. Dennoch vergisst oder verwirft er Daniel und wendet sich an seine Wahrsagepriester, Magier, Sterndeuter und Chaldäer. Er fordert, dass diese nicht nur die Deutung des Traumes anzeigen, sondern zuerst den vergessenen Traum verkündigen sollen. Erfüllen sie die Forderungen des Königs, würden sie reich belohnt werden; gelingt ihnen dies nicht, würden sie in Stücke gehauen und ihre Häuser Kotstätten gleichgemacht werden.

„Sie antworteten zum zweiten Mal und sprachen: Der König sage seinen Knechten den Traum, so wollen wir die Deutung anzeigen. Der König antwortete und sprach: Ich weiß zuverlässig, dass ihr Zeit gewinnen wollt, weil ihr seht, dass die Sache von mir fest beschlossen ist, dass, wenn ihr mir den Traum nicht kundtut, es bei eurem Urteil bleibt; denn ihr habt euch verabredet, Lug und Trug vor mir zu reden, bis die Zeit sich ändert. Darum sagt mir den Traum, und ich werde wissen, dass ihr mir seine Deutung anzeigen könnt. Die Chaldäer antworteten vor dem König und sprachen: Kein Mensch ist auf dem Erdboden, der die Sache des Königs anzeigen könnte, weil kein großer und mächtiger König jemals eine Sache wie diese von irgendeinem Wahrsagepriester oder Sterndeuter oder Chaldäer verlangt hat. Denn die Sache, die der König verlangt, ist schwer; und es gibt keinen anderen, der sie vor dem König anzeigen könnte, als nur die Götter, deren Wohnung nicht bei dem Fleisch ist“ (2,7–11).

Diese Forderung erscheint auf den ersten Blick völlig unzumutbar, und die Chaldäer sagen dem König: „Kein Mensch ist auf dem Erdboden, der die Sache des Königs anzeigen könnte ... Denn die Sache, die der König verlangt, ist schwer; und es gibt keinen anderen, der sie vor dem König anzeigen könnte, als nur die Götter, deren Wohnung nicht bei dem Fleisch ist.“ Wenn wir uns jedoch an die enormen Anmaßungen dieser weisen Männer Babylons erinnern, erscheint die Forderung des Königs nicht mehr so ungeheuerlich.

„Darüber wurde der König zornig und ergrimmte sehr, und er befahl, alle Weisen von Babel umzubringen. Und der Befehl ging aus, und die Weisen wurden getötet; und man suchte Daniel und seine Genossen, um sie zu töten“ (2,12.13).

Offenbar hat der König keine hohe Meinung von der Redlichkeit dieser weisen Männer. Er hatte wahrscheinlich guten Grund, sie als ziemlich fähig zur Verbreitung von Lügen und korrupten Reden einzuschätzen. Diese jedoch sind in solch ein Dilemma gebracht, damit sie gezwungen werden, ihre völlige Unwissenheit einzugestehen. Doch das Geständnis ihrer Hilflosigkeit nützt vor dem wütenden König nichts, der umgehend eine Anordnung zur Tötung aller Weisen Babylons aussendet.

Was für ein Bild von der Welt! Eine Autorität stellt unerfüllbare Ansprüche an Ratgeber, in die es kein Vertrauen gibt und greift zu Zorn und Gewalt, wenn die Forderungen nicht sofort erfüllt werden. Die Weisheit dieser Welt entpuppt sich als reine Überheblichkeit, wenn sie auf die Probe gestellt wird. Es gibt Macht ohne Weisheit auf der einen Seite; und die vorgebliche Weisheit ohne Macht auf der anderen Seite.

Das Geheimnis des Herrn ist für die, die Ihn fürchten (Verse 14–23)

Die Erfahrung der Schwachheit des Menschen, der die größte Macht auf Erden besitzt, und die Torheit derer, die die größte Weisheit vorgeben, bereiten den Weg, um die Macht und Weisheit Gottes einzuführen. Dies wirft das Augenmerk auf den Überrest des Volkes Gottes, bei dem Weisheit und Verständnis gefunden wird und der Zeugnis ablegt von der Weisheit, Macht und den souveränen Rechten Gottes im Himmel und in Bezug auf die Angelegenheiten der Menschen auf der Erde.

„Da erwiderte Daniel mit Verstand und Einsicht dem Arioch, dem Obersten der Leibwache des Königs, der ausgezogen war, um die Weisen von Babel zu töten; er antwortete und sprach zu Arioch, dem Oberbeamten des Königs: Warum der strenge Befehl vom König? Da teilte Arioch Daniel die Sache mit“ (2,14.15).

Offensichtlich war Daniel nicht mit den anderen Weisen, die vor dem König erschienen, herbeigerufen worden. Doch da er unter die Weisen Babylons gezählt wird, kommt er unter die Anordnung, dass diese alle umgebracht werden sollen. So werden Daniel und seine Freunde mit den großen Ereignissen des Tages in Berührung gebracht.

Was nun folgt, hebt auf sehr eindrückliche Weise den gottesfürchtigen Charakter dieser Männer hervor und macht sie zu leuchtenden Zeugnissen für Gott vor der Welt. Erstens sehen wir die ruhige Gelassenheit des Glaubens inmitten einer Situation des Schreckens und der Verwirrung. Daniel, der ein ruhiges Auftreten bewahrt, erfragt: „Warum der strenge Befehl vom König?“ Der eigenmächtige, von Angst getriebene Wille des Menschen duldet keine Verzögerungen, doch „wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen“ (Jes 28,16). Und fürwahr, wie glücklich ist es, wenn der Glaube des Volkes Gottes es in Gegenwart der Aufregung einer nationalen Krise in gelassener Ruhe bewahrt.

„Und Daniel ging hinein und erbat sich vom König, dass er ihm eine Frist gewähre, um dem König die Deutung anzuzeigen“ (2,16).

Zweitens sehen wir das kühne Glaubensvertrauen, das Daniel in der Gegenwart des Königs kennzeichnet. Er bittet den König um Zeit und beruhigt den wütenden Monarchen mit der großen Zuversicht, dass er dem König die Deutung anzeigen würde. Der nachfolgende Verlauf Daniels zeigt, dass es sich dabei nicht um das Selbstvertrauen des Fleisches, sondern vielmehr um den Ausdruck stillen Vertrauens auf Gott handelt. Offensichtlich hat Daniel solche Einsicht in die Gedanken Gottes, dass er begreift, dass Gott dem König den Traum vorenthalten hat, um die Macht und Weisheit der Welt zunichte zu machen und seine eigene souveräne Macht und Weisheit zu bezeugen. So kann Daniel nicht nur sagen, dass Gott die Deutung zeigen könnte, sondern dass Er es tun würde, und zwar ohne jeglichen Vorschlag, dass der König den Traum zunächst berichten möge.

„Hierauf ging Daniel in sein Haus; und er teilte die Sache seinen Genossen Hananja, Misael und Asarja mit, damit sie von dem Gott des Himmels Barmherzigkeit erbitten möchten wegen dieses Geheimnisses, damit Daniel und seine Genossen nicht mit den übrigen Weisen von Babel umkämen“ (2,17.18).

Drittens sehen wir, welchen Wert Daniel der Gemeinschaft und dem Gebet zumisst. Nachdem er die Gegenwart des Königs verlassen hat, geht er zu seinen Gefährten und berichtet ihnen von der Sache. Er schätzt die Gemeinschaft seiner Brüder und hat Vertrauen in ihre Gebete, denn er bittet sie, dass sie „von dem Gott des Himmels Barmherzigkeit erbitten möchten“. Darüber hinaus schätzt er konkretes Gebet, denn ihre Gebete sollen „wegen dieses Geheimnisses“ sein. Hierin entdecken wir, dass das Geheimnis für Daniels ruhige Zuversicht und sein Vertrauen vor den Menschen in der Gemeinschaft mit seinen Brüdern und der Abhängigkeit von Gott begründet liegt.

„Hierauf wurde Daniel in einem Nachtgesicht das Geheimnis offenbart. Da pries Daniel den Gott des Himmels“ (2,19).

Viertens sehen wir, dass Daniel von dem Frieden Gottes gekennzeichnet ist – dem Frieden, der das verheißene Ergebnis davon ist, dass wir unsere Bitten vor Gott bringen. So lesen wir, dass „Daniel in einem Nachtgesicht das Geheimnis offenbart“ wird. Dies zeigt sicherlich, dass Daniel, nachdem er die Sache vor Gott ausgebreitet hatte, sich friedlich zur Ruhe begeben hatte. In demselben Geist konnte David in früheren Tagen, in jenem schrecklichen Moment, als er von seinem Sohn Absalom aus Jerusalem vertrieben wurde, sagen: „Mit meiner Stimme rufe ich zu dem HERRN, und er antwortet mir von seinem heiligen Berg ... Ich legte mich nieder und schlief“ (Ps 3,5.6). So konnte auch in späteren Tagen der Herr in der absoluten Vollkommenheit seines Wandels im Sturm mit seinem Kopf auf einem Kissen schlafen. Es ist gut für uns, wenn wir inmitten der Stürme des Lebens in vollkommenem Frieden alles der Fürsorge des Vaters anbefehlen können.

Fünftens betet Daniel nicht nur, sondern er dankt auch. Er schreitet nicht fort, um von der Antwort auf sein Gebet Gebrauch zu machen, bevor er zunächst für diese Gnade gedankt hat.

„Daniel hob an und sprach: Gepriesen sei der Name Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit! Denn Weisheit und Macht, sie sind sein“ (2,20).

Gott schätzt die Dankbarkeit seines Volkes so hoch, dass Er, obwohl Er die Worte des Gebets nicht offenbart hat, doch den genauen Wortlaut des Lobpreises aufgezeichnet hat. Wie in dem Gebet des Herrn, das Er seine Jünger in späteren Tagen lehrt, wird auch in Daniels Gebet dem Namen Gottes der erste Platz gegeben. „Gepriesen sei der Name Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit“, sagt Daniel. „Geheiligt werde dein Name“, sind die Worte des Herrn.

Dann schreibt Daniel Gott „Weisheit und Macht“ zu. Nebukadnezar hatte ein gewisses Maß an Macht, aber es mangelte ihm an Weisheit. Die Chaldäer hatten ein gewisses Maß an Weisheit, aber keine Macht. Bei dem Gott des Himmels jedoch ist vollkommene Weisheit und vollkommene Macht.

„Und er ändert Zeiten und Zeitpunkte, setzt Könige ab und setzt Könige ein; er gibt den Weisen Weisheit, und Verstand den Verständigen; er offenbart das Tiefe und das Verborgene; er weiß, was in der Finsternis ist, und bei ihm wohnt das Licht“ (2,21.22).

Weiterhin ist Gott souverän. Er kann Zeiten und Zeitpunkte ändern. Er setzt Könige ab und setzt Könige ein. Darüber hinaus kann Er, wenn Er es will, anderen Weisheit und Verstand geben und „das Tiefe und das Verborgene“ offenbaren. Seiner Allwissenheit ist nichts verborgen, „er weiß, was in der Finsternis ist, und bei ihm wohnt das Licht“.

„Dich, Gott meiner Väter, lobe und rühme ich, dass du mir Weisheit und Kraft gegeben und mir jetzt kundgetan hast, was wir von dir erbeten haben; denn du hast uns die Sache des Königs kundgetan“ (2,23).

Schließlich, während Daniel für die Offenbarung dankt, die ihm kundgetan wurde, erkennt er an, dass dies als Antwort auf das gemeinsame Gebet geschehen ist. Er kann sagen: „... und mir jetzt kundgetan hast, was wir von dir erbeten haben; denn du hast uns die Sache des Königs kundgetan.“

Das Zeugnis Gottes vor der Welt (Verse 24–30)

Nach dem Gebet und dem Lobpreis von Daniel und seinen Freunden im Verborgenen haben wir nun Daniels treues Zeugnis in der Öffentlichkeit vor uns.

„Deshalb ging Daniel zu Arioch hinein, den der König beauftragt hatte, die Weisen von Babel umzubringen; er ging hin und sprach zu ihm so: Bring die Weisen von Babel nicht um; führe mich vor den König, und ich werde dem König die Deutung anzeigen. Da führte Arioch Daniel schnell vor den König, und er sprach zu ihm so: Ich habe einen Mann unter den Weggeführten von Juda gefunden, der dem König die Deutung kundtun wird“ (2,24.25).

Arioch, der Oberste der Leibwache des Königs, versucht nun, nachdem er Daniel vor den König gebracht hat, die Gelegenheit mit klugen Worten zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Er sagt zum König: „Ich habe einen Mann ... gefunden, der dem König die Deutung kundtun wird.“ Dabei ist er vorsichtig genug, sich nicht zu weit vorzuwagen, indem er behauptet hätte, dass Daniel dem König auch den Traum zeigen würde.

„Der König hob an und sprach zu Daniel, dessen Name Beltsazar war: Bist du imstande, mir den Traum, den ich gesehen habe, und seine Deutung kundzutun?“ (2,26).

Dies ist jedoch in den Augen des Königs das Wichtigste. Es reicht nicht, eine Deutung des Traumes zu geben – darauf waren die Weisen vorbereitet gewesen. Die wahre Frage ist: Kann irgendjemand den Traum berichten? So fragt der König Daniel unmittelbar: „Bist du imstande, mir den Traum, den ich gesehen habe, und seine Deutung kundzutun?“

„Daniel antwortete vor dem König und sprach: Das Geheimnis, das der König verlangt, können Weise, Beschwörer, Wahrsagepriester und Sterndeuter dem König nicht anzeigen“ (2,27).

Daniel kann dies in der Tat, doch in seiner Antwort stellt er zunächst die Weisheit dieser Welt bloß, indem er den König daran erinnert, dass seine Weisen, Beschwörer, Wahrsagepriester und Sterndeuter das Geheimnis, das der König zu wissen verlangte, nicht hatten offenbaren können.

„Aber es ist ein Gott im Himmel, der Geheimnisse offenbart; und er hat dem König Nebukadnezar kundgetan, was am Ende der Tage geschehen wird. Dein Traum und die Gesichte deines Hauptes auf deinem Lager waren diese“ (2,28).

Dann, nachdem er die Weisheit Babylons in den Schatten gestellt hat, legt Daniel Gott ein treues Zeugnis ab. Was Menschen nicht tun können, kann Gott vollbringen. „Es ist ein Gott im Himmel, der Geheimnisse offenbart.“

„Dir, o König, stiegen auf deinem Lager Gedanken auf, was nach diesem geschehen wird; und der, der die Geheimnisse offenbart, hat dir kundgetan, was geschehen wird“ (2,29).

Darüber hinaus macht Daniel, was den König betrifft, sehr deutlich, dass dieser es mit Gott zu tun hat. „Der, der die Geheimnisse offenbart, hat dir kundgetan, was geschehen wird“ in den letzten Tagen. Was Daniel betrifft, ist dieser durch die Offenbarungen, die er empfangen hat, weder erfreut, noch nutzt er wie Arioch die Gelegenheit zu seiner eigenen Ehre. Er versteckt sich selbst hinter der Herrlichkeit Gottes, und indem er dies tut, wird Gott verherrlicht.

„Mir aber ist nicht durch Weisheit, die in mir mehr als in allen Lebenden wäre, dieses Geheimnis offenbart worden, sondern deshalb, damit man dem König die Deutung kundtut und du die Gedanken deines Herzens erfährst“ (2,30).

Er gesteht offen ein, dass er all sein Wissen durch Offenbarung empfangen hat, und dass diese Offenbarung ihm auch nicht wegen irgendwelcher Weisheit zuteilwurde, die er mehr besäße als andere. Noch kommt sie primär wegen des Königs, und noch weniger, um die Leben der Weisen Babylons zu retten. Er verbindet sich mit seinen Gefährten und erinnert den König daran, dass Gott für sein Volk sorgt, wenn es auch in Gefangenschaft ist, und seinetwegen handelt. Jemand hat über diese Begebenheit einmal gesagt: „Wir sind dann wirklich erhöht, wenn wir uns selbst tief zu demütigen verstehen. Wenn Daniel verschwindet, wird Gott selbst in ihm offenbar. O, dass wir doch Weisheit und geistliche Kraft hätten, uns selbst hinter Jesus zu verbergen, um Ihn in den Vordergrund zu stellen! Jede solche Handlung ist ein großer und wertvoller Triumph.“

Der Offenbarer der Geheimnisse (Verse 31–35)

„Du, o König, sahst: Und siehe, ein großes Bild; dieses Bild war gewaltig, und sein Glanz außergewöhnlich; es stand vor dir, und sein Aussehen war schrecklich“ (2,31).

Nachdem er dem Menschen seinen wahren Platz zugeordnet und die Zulänglichkeit Gottes bezeugt hat, fährt Daniel fort, dem König seinen Traum vorzustellen. Er sagt dem König, dass er „ein großes Bild“ gesehen hat. In der nachfolgenden Deutung lernen wir, dass dieses Bild die Regierung der Welt während der Zeiten der Nationen durch vier große heidnische Monarchen darstellt. Hier werden sie in dem Gesicht als Teile eines Bildes dargestellt, und zwar dem Bild eines Menschen – eines Menschen, der außergewöhnlich und zugleich schrecklich erscheint.

Die Zeiten der Nationen sind gekennzeichnet von der Herrschaft des Menschen, in der es viel gibt, das durch äußerliche Pracht die Bewunderung des Menschen hervorbringt und doch Schrecken durch Unterdrückung verbreitet. Es ist ein Gesicht des Erdenmenschen im Kontrast zu dem Gott des Himmels.

„Dieses Bild, sein Haupt war aus feinem Gold; seine Brust und seine Arme aus Silber; sein Bauch und seine Lenden aus Kupfer; seine Schenkel aus Eisen; seine Füße teils aus Eisen und teils aus Ton“ (2,32.33).

Ein anderes Merkmal des Bildes ist die fortschreitende Verschlechterung seiner Zusammensetzung vom Kopf bis zu den Füßen. Der Kopf ist aus Gold, Brust und Arme sind aus Silber, der Bauch und die Lenden aus Kupfer, die Beine aus Eisen, und die Füße teils aus Eisen und teils aus Ton. Diese Verschlechterung liegt nicht in der Festigkeit der Materialien, sondern in deren Wert. Die Festigkeit der Metalle stellt die Größe des Herrschaftsgebiets jedes Königreiches dar. Der Wert der Metalle symbolisiert eher die souveräne Macht jeden Reiches. Die Größe des Herrschaftsgebiets der drei letzten Weltreiche würde die des ersten weit übertreffen, doch in keinem würde die kaiserliche Macht, die die Macht Gottes repräsentiert, so offenbar wie in dem ersten Weltreich – dem Kopf aus Gold.

„Du schautest, bis ein Stein sich losriss ohne Hände und das Bild an seinen Füßen aus Eisen und Ton traf und sie zermalmte. Da wurden zugleich das Eisen, der Ton, das Kupfer, das Silber und das Gold zermalmt, und sie wurden wie Spreu der Sommertennen; und der Wind führte sie weg, und es wurde keine Stätte für sie gefunden. Und der Stein, der das Bild geschlagen hatte, wurde zu einem großen Berg und füllte die ganze Erde“ (2,34.35).

Schließlich sah Nebukadnezar in seinem Gesicht einen Stein, der sich ohne Hände losriss. Er sah die Einführung eines Königreiches, das nicht durch menschliche Handlungen, sondern „ohne Hände“ aufgerichtet wurde. Dies ist, wie wir wissen, das Königreich Christi. Der Stein fällt auf die Füße des Bildes, doch infolgedessen wird das gesamte Bild zertrümmert. Das Königreich Christi wird das letzte Weltreich in seiner endgültigen Form richten, doch dadurch wird es das gesamte von irdischen Menschen geführte Herrschaftssystem beiseitesetzen und ein beständiges und weltweites Reich aufrichten, das einem großem Berg gleicht, der „die ganze Erde“ füllt.

Was nach diesem geschehen wird (Verse 36–45)

Nachdem Daniel den Traum berichtet hat, fährt er damit fort, seine Deutung vorzutragen, indem er aufdeckt, „was nach diesem geschehen wird“.

„Das ist der Traum; und seine Deutung wollen wir vor dem König ansagen: Du, o König, du König der Könige, dem der Gott des Himmels das Königtum, die Macht und die Gewalt und die Ehre gegeben hat; und überall, wo Menschenkinder, Tiere des Feldes und Vögel des Himmels wohnen, hat er sie in deine Hand gegeben und dich zum Herrscher über sie alle gesetzt – du bist das Haupt aus Gold“ (2,36–38).

Nebukadnezar wird kundgetan, dass er als Repräsentant des Babylonischen Weltreiches der Kopf aus Gold ist. Bisher hatten auf der Erde einzelne, unabhängige Nationen, jede unter ihrem eigenen König, existiert. Nun wurde zum ersten Mal eine neue Form der Regierung aufgerichtet – die Herrschaft durch kaiserliche Einheit. Unter dieser Herrschaftsform waren einzelne Nationen mit ihren Königen unter einem Reich mit einem kaiserlichen Haupt zusammengefasst, das ein König der Könige ist.

Von Nebukadnezar, dem ersten Haupt dieses Reiches, wird gesagt, dass sein Königreich, seine Macht, seine Stärke und seine Ehre von Gott gegeben waren: „Überall, wo Menschenkinder, Tiere des Feldes und Vögel des Himmels wohnen, hat er sie in deine Hand gegeben.“ In den darauffolgenden Weltreichen werden wir sehen, dass sich die Ausdehnung der Weltreiche vergrößert, während jedoch die souveräne Macht des Oberhauptes abnimmt.

„Und nach dir wird ein anderes Königreich aufstehen, geringer als du; und ein anderes, drittes Königreich, aus Kupfer, das über die ganze Erde herrschen wird“ (2,39).

Auf das zweite und das dritte Königreich, die durch die Brust und die Arme aus Silber und den Bauch und die Lenden aus Kupfer repräsentiert werden, wird hier nur in kürzester Form eingegangen. Aus späteren Gesichten lernen wir, dass das zweite Königreich das Medo-Persische Reich (vgl. Dan 5,28 und 8,20) und das dritte das Griechische Reich ist (vgl. Dan 8,21). Hier wird uns lediglich mitgeteilt, dass die Königreiche, die aufstehen werden, dem Babylonischen Reich unterlegen sein werden.

„Und ein viertes Königreich wird stark sein wie Eisen; ebenso wie das Eisen alles zermalmt und zerschlägt, so wird es, wie das Eisen, das zertrümmert, alle diese zermalmen und zertrümmern“ (2,40).

Der Charakter des vierten Königreiches wird uns in weit größerer Genauigkeit beschrieben. Nicht nur, weil es das letzte Reich der Zeiten der Nationen ist, sondern auch, weil es das einzige Königreich ist, das Christus direkt richten wird. Dies zeigt deutlich, dass es sich bei diesem vierten Königreich um das Römische Reich handelt. Es traf mit Christus aufeinander, als Er die Welt verließ. So wird es auch das wiederauferstandene Römische Reich sein, das bei der Wiederkunft Christi gerichtet werden wird (vgl. Lk 2,1; Joh 19,10; Off 17,7–14).

Es ist wichtig zu bemerken, dass von den letzten drei Königreichen keines direkt von Gott aufgerichtet wird. Nur von dem ersten Königreich und dem Königreich Christi wird gesagt, dass es von dem Gott des Himmels aufgerichtet wird (2,37.44). Die anderen drei Königreiche entstehen durch göttliche Vorsehung, wobei die herrschaftliche Macht mit jedem Königreich abnimmt, bis sie im Königreich Christi in absoluter Vollkommenheit wiederhergestellt werden wird.

Das herausstechende Merkmal des vierten Königreiches ist, dass es „stark ... wie Eisen“ sein wird. Eisen ist stärker als Gold, Silber oder Kupfer, aber nicht so wertvoll. In der symbolischen Darstellung der Schrift spricht Gold immer von dem Göttlichen und Eisen von dem Menschlichen. Im vierten Weltreich gibt es eine gewaltige Zunahme von allem, was menschlich ist, und einen großen Rückgang von allem, was göttlich ist. In der Regierung des vierten Weltreiches wird es eine steigende Entwicklung menschlicher Weisheit, menschlicher Scharfsinnigkeit und menschlicher Ressourcen geben, während die Anerkennung Gottes weniger und weniger wird, was einen zunehmenden Verlust der souveränen und absoluten Macht Gottes in der Regierung mit sich bringt. Je mehr sich die Zeiten der Nationen ihrem Ende zuneigen, desto mehr wird der Mensch danach trachten, die Welt ohne Rücksicht auf Gott zu regieren, bis die Welt schließlich reif für das Gericht ist.

Eine zweite Eigenschaft des vierten Weltreiches ist seine Schonungslosigkeit. Mit schonungsloser Macht zertrümmert und vernichtet es alle seine Widersacher.

„Und dass du die Füße und die Zehen teils aus Töpferton und teils aus Eisen gesehen hast – es wird ein geteiltes Königreich sein; aber von der Festigkeit des Eisens wird in ihm sein, weil du das Eisen mit lehmigem Ton vermischt gesehen hast. Und die Zehen der Füße, teils aus Eisen und teils aus Ton: Zum Teil wird das Königreich stark sein, und ein Teil wird zerbrechlich sein“ (2,41.42).

Ein drittes Merkmal ist, dass das vierte Weltreich im Laufe seiner Geschichte geteilt und geschwächt werden wird. Uns wird durch Daniel gesagt, dass „die Füße und die Zehen“ „teils aus Eisen und teils aus Ton“ waren. Dies stellt die Tatsache dar, dass es sich um „ein geteiltes Königreich“ handelt, das geschwächt sein wird, oder wie Daniel sagt: „Zum Teil wird das Königreich stark sein, und ein Teil wird zerbrechlich sein.“

„Dass du das Eisen mit lehmigem Ton vermischt gesehen hast – sie werden sich mit den Nachkommen der Menschen vermischen, aber sie werden nicht aneinander haften: so wie sich Eisen nicht mit Ton vermischt“ (2,43).

Der Verlust dessen, was Gottes ist und die Einführung des menschlichen Elements führen wie immer zu Zertrennung und Schwachheit. Die geschwächte Regierungsmacht kann das Reich nicht länger zusammenhalten. Das Eisen vermischt mit dem lehmigen Ton symbolisiert die Vermischung von Demokratie mit Hoheitsgewalt. Der Lehm – das demokratische Element – führt zum Zerfall des Reiches.

Zwei Tatsachen werden jedoch deutlich. Erstens, obwohl das vierte Weltreich durch die Hineinmischung von Lehm geteilt und geschwächt sein wird, wird es immer wahr sein, dass „von der Festigkeit des Eisens ... in ihm sein“ wird. Es wird nie eine Zeit kommen, in der es dem Lehm vollständig gleichen wird. Die Regierung des vierten Weltreiches wird nie ganz demokratisch sein. Zweitens wird uns gesagt, dass das Eisen und der Ton sich vermischen lassen, sie jedoch nie aneinander haften werden. Demokratie und Herrschaftsgewalt werden immer im Gegensatz zueinander stehen.

„Und in den Tagen dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das in Ewigkeit nicht zerstört und dessen Herrschaft keinem anderen Volk überlassen werden wird; es wird alle jene Königreiche zermalmen und vernichten, selbst aber in Ewigkeit bestehen: Weil du gesehen hast, dass sich von dem Berg ein Stein losriss ohne Hände und das Eisen, das Kupfer, den Ton, das Silber und das Gold zermalmte. Der große Gott hat dem König kundgetan, was nach diesem geschehen wird; und der Traum ist gewiss und seine Deutung zuverlässig“ (2,44.45).

Nun wird uns gesagt, dass neben den durch das Bild repräsentierten Königreichen ein weiteres Reich von dem Gott des Himmels aufgerichtet werden wird. Dieses Königreich steht in direktem Kontrast zu den vier großen Königreichen der Zeiten der Nationen. Die vier Königreiche werden zerstört oder anderen überlassen, doch dieses Königreich wird niemals zerstört, noch an andere weitergegeben werden. Es wird nicht nur das Königreich auflösen, das ihm unmittelbar vorausging, sondern all diese Königreiche vernichten und so lange fortdauern wie die Erde besteht – es wird „in Ewigkeit bestehen“.

Es steht außer Frage, dass dieses Königreich das 1.000-jährige Reich unseres Herrn Jesus Christus ist. Die Prophezeiung bezieht sich nicht, wie einige gedacht haben, auf das erste Kommen Christi auf die Erde in Gnade und die Errichtung des Königreiches der Gnade durch den Triumph des Evangeliums über heidnische Systeme. Es ist das beim zweiten Kommen Christi in Macht aufgerichtete Königreich: ein Königreich, das nicht durch Gnade, sondern durch Gericht eingeführt wird.

So haben wir in dem Traum und seiner Deutung eine vollständige Vorschau der Regierung dieser Welt während der Zeiten der Nationen, welche zu der Aufrichtung des ewigen Königreiches unseres Herrn und Christus führen werden. Es ist eine gewaltige Gnade, dass der Christ eine von Gott gegebene Übersicht über den Verlauf und das Ende der großen Weltreiche während der Zeiten der Nationen hat. Er kann sich so aus den politischen Bewegungen der jeweiligen Zeit heraushalten, zufrieden damit, unbeachtet zu leben und das Kommen des Königs der Könige zu erwarten. Er weiß, dass alle politischen Bewegungen in einem großen Zusammenschluss der Völker unter dem wiederauferstandenen Römischen Reich im Widerstand gegen Gott und das Lamm enden werden. Auch weiß er, dass alle diese menschlichen Bemühungen gerichtet werden, wenn Christus als der König der Könige und Herr der Herren kommen wird. Er sieht, dass die Bündnisse, Verträge und Abkommen zwischen den Völkern den Weg für die endgültige Verbündung gegen Gott und Christus vorbereiten und er hält sich von dem fern, was in offenem Abfall von Gott und überwältigendem Gericht bei der Erscheinung Christi enden wird.

Die mich ehren, werde auch ich ehren (Verse 46–49)

„Da fiel der König Nebukadnezar nieder auf sein Angesicht und betete Daniel an; und er befahl, ihm Speisopfer und Räucherwerk darzubringen. Der König antwortete Daniel und sprach: In Wahrheit, euer Gott ist der Gott der Götter und der Herr der Könige und ein Offenbarer der Geheimnisse, da du vermocht hast, dieses Geheimnis zu offenbaren“ (2,46.47).

Das Kapitel schließt mit einem Bericht über die Wirkung, die diese Offenbarung auf Nebukadnezar hat, und der Ehre, die dem Diener Gottes zuteilwird. Die Tatsache, dass der König auf sein Angesicht fiel und Daniel anbetete und befahl, dass ihm geopfert werde, zeigt hinreichend, dass weder sein Herz, noch sein Gewissen erreicht worden waren. Wären sein Herz und sein Gewissen am Werk gewesen, hätten sie dem König klargemacht, was vor Gott angemessen wäre. Doch wenn das Gewissen auch nicht erreicht wurde, so ist zumindest der Verstand des Königs davon überzeugt worden, dass Gott erhaben und allwissend ist.

„Darauf machte der König Daniel groß und gab ihm viele große Geschenke, und er setzte ihn als Herrscher ein über die ganze Landschaft Babel und zum Obervorsteher über alle Weisen von Babel. Und Daniel bat den König, und er bestellte Sadrach, Mesach und Abednego über die Verwaltung der Landschaft Babel. Und Daniel war am Hof des Königs“ (2,48.49).

Schließlich wird Daniel zu großer Ehre erhöht. Dieser treue Mann hat ein Zeugnis für Gott vor dem König abgelegt und wird ein Gegenstand des Segens sowohl für die Welt als auch für seine eigenen Freunde. Obwohl er nie irgendetwas für sich selbst gesucht oder verlangt hat, hat er die Freiheit, die Vorteile seiner erhöhten Position zu nutzen, um für seine Freunde zu bitten.

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