Der 1. Brief an die Korinther

Kapitel 14

Der 1. Brief an die Korinther

Während Kapitel 13 eingeschaltet ist, um uns die überragende Vortrefflichkeit der göttlichen Liebe zu zeigen, knüpft der erste Vers von Kapitel 14 an den letzten Vers von Kapitel 12 an. Vor allem anderen sollte nach der Liebe gestrebt werden, und wo sie vorhanden ist, kann auch ohne Gefahr nach geistlichen Gaben gestrebt werden. Wo die Liebe regiert, da wird man geistliche Gaben zum Nutzen und Segen aller suchen, und nicht, um persönlich emporzukommen und sich auszuzeichnen. Darum wird der Gabe der Weissagung oder Prophezeiung der erste Platz gegeben. Sie gehört zu den besten Gaben, nach denen man ernstlich trachten darf.

Der Apostel stellt der Gabe der Weissagung sogleich die Gabe der Sprachenrede gegenüber, die augenscheinlich in der Wertschätzung der Gläubigen in Korinth obenan stand, da sie so offensichtlich übernatürlichen Ursprungs war. Er stellt diese besondere geistliche Erscheinung nicht in Frage. Die „Sprachen“, auf die er anspielt, waren damals in Korinth noch eine echte Offenbarung der Macht des Heiligen Geistes und standen unter der Kontrolle des Redenden. Der Apostel selbst redete weit mehr als irgendjemand unter den Korinthern in einer Sprache, aber er tat es beherrscht und mit Zurückhaltung. Die Verse 6, 15, 18 und 19 zeigen dies. Der Punkt ist jedoch, dass die Gabe der Sprachenrede auch im besten Fall von geringerem Nutzen war als die Gabe der Weissagung.

Wenn die Gläubigen in Korinth als Versammlung vor dem Herrn zusammenkamen, dann lag die Leitung in allen Dingen bei ihm, und alle ihre Tätigkeiten hatten in der Kraft des Geistes Gottes zu geschehen. Dieses Kapitel liefert uns viele Anweisungen des Herrn - Anweisungen allgemeiner Art, die für alle Zeiten bindend sind. Ob bei einer bestimmten Gelegenheit dieser oder jener Bruder sich überhaupt hören lässt, und wenn, in welcher Weise, das ist eine Frage, die nach dem Willen des Herrn beantwortet werden muss, wenn die Gelegenheit da ist. Wenn Brüder aber aktiv teilnehmen, müssen sie das tun in Unterwerfung unter die allgemeinen Anweisungen, die der Herr in diesem Kapitel gegeben hat, und als Männer mit einem besonnenen, durch Gottes Wort erleuchteten Geist. Es sei an die Worte erinnert, die Paulus an Timotheus schrieb, dass Gott uns einen Geist „der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ gegeben hat. Letzteres wird in diesem Kapitel durch Beispiele erläutert. Kapitel 12 zeigt uns den Geist der Kraft in der Versammlung, Kapitel 13 den Geist der Liebe, Kapitel 14 den Geist der Besonnenheit.

Geistliche Tätigkeiten in der Versammlung wenden sich entweder an Gott oder an den Menschen. Auf Gott gerichtete Tätigkeiten sind in den Versen 14-17 beschrieben: Beten, Lobsingen, Danksagen. Doch in der Hauptsache befasst sich das Kapitel mit dem, was den Menschen gilt: Weissagung, Sprache, Lehre, Auslegung. Diese Gaben sollten zum Nutzen anderer ausgeübt werden, und der Prüfstein, den der Apostel anlegt, ist die allgemeine Erbauung. Die Ausübung einer Gabe ist dann nützlich, wenn sie erbaut. Wenn sie nicht erbaut, ist sie unnütz.

Nach Vers 3 ist der erstrebte Zweck ein dreifacher. Die einfache Bedeutung von Erbauung ist Auferbauung. Der Grund wird gelegt mit der Annahme des Evangeliums. Doch auf dieser Grundlage ist viel aufzubauen, so dass Erbauung mit Recht für den Christen ein Leben lang weitergeht. Es folgt Ermahnung oder Ermunterung. Wir durchschreiten eine feindselige Welt und sind manchen Widerwärtigkeiten ausgesetzt. Deshalb brauchen wir beständig etwas, was uns zu geistlicher Energie anspornt. Drittens Tröstungen, deren die Versammlung allezeit bedarf, denn immer werden Geschwister anwesend sein, die durch Nöte, Beschwerden und Enttäuschungen gehen. Sie benötigen etwas, was sie in ihrem Kummer aufrichten kann. Wir könnten diesen dreifachen Zweck in die Worte fassen: aufbauen, anspornen, aufrichten. Die Weissagung bereitet den Weg zu diesen drei Zielen.

Weissagen ist nicht nur ein Vorhersagen zukünftiger Ereignisse. Es schließt das Aussprechen der Gedanken und der Botschaft Gottes ein. In den Tagen der Apostel, bevor das Neue Testament geschrieben und in Umlauf war, gab es Weissagung einer inspirierten Art, wie sie der Apostel Paulus selbst und andere hatten (siehe Kap. 2,13). Die haben wir heute nicht, noch brauchen wir sie, da wir die inspirierten Schriften in Händen haben. Weissagung einer nicht inspirierten Art mögen wir wohl noch haben, denn wir finden immer noch Menschen, die von Gott begabt sind, uns aus den inspirierten Schriften die Gedanken Gottes und Seine Botschaft für eine bestimmte Zeit und Situation mitzuteilen. Wenn wir das vorfinden, tun wir gut, dafür sehr dankbar zu ein. Ein solcher Dienst durch das Wort Gottes baut fürwahr auf, regt an und richtet auf.

Was die Gabe der Sprachenrede angeht, so wurde ihre Ausübung in diesem Kapitel nicht untersagt aber eindeutig und genau geregelt. Die niedergelegten Regeln sind sehr wichtig. Sie machen völlig klar, dass diese Gabe, wenn sie vorhanden war und ausgeübt wurde, zum Nutzen gebraucht werden sollte. (Und es war damals in Korinth ja noch eine echte, von Gott gegebene Gabe.) Wir zögern jedoch nicht, zu sagen: Wann immer und wo immer man heute vorgibt, diese Gabe zu besitzen, sie aber in systematischer Missachtung der von Gott gegebenen Regeln ausübt, wird jedes gesunde Empfinden allein schon aus diesem Grund sofort Zweifel hinsichtlich der Echtheit der angeblichen Gabe anmelden.

Doch abgesehen davon sind diese Anweisungen für uns sehr nützlich, weil sie offensichtlich auch in anderer Hinsicht Anwendung finden. Ein Beispiel dafür lässt sich den Versen 6-9 entnehmen. Der eigentliche Sinn dieser Verse ist, dass Laute allein keinen Wert haben. Was Stimmen äußern, muss für die Zuhörer einen Sinn haben. Es muss verständlich sein. Trifft das nur auf die Sprachenrede zu? Keineswegs. Das gilt ganz allgemein. In unseren Zusammenkünften genügt es nicht, dass ein Redner unsere Sprache spricht, denn er könnte der Versuchung erliegen, seine Beredsamkeit mit einem Schwall langer und ungewöhnlicher Worte vorzuführen, die die Zuhörer über sein Anliegen völlig im Unklaren lassen. Oder er spricht vielleicht viel zu schnell oder mystisch verschwommen, so dass die Ausführungen unverständlich bleiben. In derartigen Fällen wird „in den Wind geredet“, ohne Nutzen.

Wir könnten uns über das wundern, was Paulus in den Versen 14 und 15 schreibt, wüssten wir nicht, was sich manchmal auch in unseren Tagen zuträgt. Es ist nicht Gottes Weise, dass der Redner selbst nicht die Bedeutung der Worte kennt, die er gerade geäußert hat. Er soll Worte äußern, ob beim Sprechen zu anderen oder im Gebet oder in Liedern, die er selbst versteht und die für andere verständlich sind.

Wenn ein Bruder sich in der Versammlung an Gott wendet, ob im Gebet oder in einer Danksagung, muss er bedenken, dass er es tut, um den Bitten oder dem Lobpreis der Versammlung Ausdruck zu geben. Er spricht nicht bloß in eigener Sache, sondern für die ganze Versammlung. Wenn die Versammlung seine Äußerungen versteht und ihnen folgen kann, wird sie das, was er ausgedrückt hat, vor Gott bestätigen und sich damit eins machen, indem sie am Schluss „Amen“ (“So sei es!“) sagt. Die Gläubigen können nicht einsichtig und ehrlich „Amen“ sagen, wenn sie nicht mitbekommen, worum es geht. Es ist weit besser, fünf Worte zu sprechen, die zur Belehrung nützlich sind, als zehntausend Worte, die den Hörern nichts bedeuten.

Beachte, dass Vers 16 voraussetzt, dass jeder in der Versammlung, sogar ungelehrte und unbedeutende Geschwister, „das Amen sprechen“. Sie denken es nicht nur, sie sagen es. Erfahrungsgemäß müssen wir leider sagen, dass es nur ein kleiner Prozentsatz ist, der in der Versammlung heute „Amen“ sagt. Achte einmal in einer gewöhnlichen Gebetstunde darauf, wie viele laut „Amen“ sagen. Wenn ein Bruder im Gebet unserem Verlangen wirklich Ausdruck gibt, dann lasst uns das, was er gesagt hat, mit einem guten deutlichen „Amen“ bestätigen. Wenn es anders war, nötigt uns die Ehrlichkeit, das zu unterlassen. Wenn Brüder bemerken, dass ein ernstes, brennendes Ausschütten unserer Begehren von uns allen mit einem aufrichtigen „Amen“ bekräftigt würde, während ihre eigene ermüdende Wortparade über bekannte Wahrheiten und lehrhafte Erörterungen, die uns manchmal bei großer Länge als Gebetsersatz zugemutet werden, kaum ein Echo findet, käme ihnen vielleicht zum Bewusstsein, was sie tun. Wenn allerdings jedes Gebet mit Schweigen endet, außer dass sich ein paar schwache „Amen“ vernehmen lassen, dann wird eine solche Unterscheidung nicht spürbar, und es ist zu befürchten, dass alles zu einem Formalismus wird, mit nur geringer oder keiner Bedeutung und Tiefe. Lasst uns darüber nachdenken und entsprechend handeln.

Lasst uns auch unser Verständnis in den göttlichen Dingen ausbilden, während wir in anderer Beziehung einen kindlichen Geist bewahren, wie Vers 20 uns sagt. Wenn die Sprachenrede missbraucht wurde, worauf Vers 23 hinweist, zeigte sich darin nur ein völliger Mangel an geistlicher Reife. Kinder mögen sich in so törichter Weise verhalten, genauso wie sie es lieben, ihre neuen Kleider vorzuzeigen. Aber ein Gläubiger sollte sich entsprechend der Einsicht eines Erwachsenen und nicht eines Kindes verhalten. Der prophetische Dienst des Wortes Gottes bringt den Gläubigen in die Gegenwart Gottes. Und die Kraft eines solchen Dienstes kann selbst von einem Ungläubigen verspürt werden, der zufällig anwesend ist.

Dass Weissagung da ist, genügt allein nicht. Die Gabe muss gemäß der göttlichen Ordnung, die in den Versen 29-33 niedergelegt ist, ausgeübt werden. Die Korinther verfügten über hohe Gaben und neigten offensichtlich zu übermäßigem Reden in ihren Zusammenkünften. Vers 26 lässt das erkennen. Jeder war begierig, seine Gabe auszuüben und hervorzutreten. Die Folge waren Durcheinander, Unordnung und Lärm. Gott war nicht der Urheber dieser Dinge.

Deshalb erfolgten genaue Anweisungen. Sprachenrede war nicht verboten, aber nach den Versen 27 und 28 war sie streng geregelt, und wenn kein Ausleger da war, durfte sie nicht geschehen. Auch der prophetische Dienst unterliegt einer Ordnung. Zwei oder drei Sprecher bei einem Zusammenkommen sind genug. Wie weise ist diese Regelung! Der Herr kennt die Aufnahmefähigkeit des durchschnittlichen Gläubigen. Wenn zwei Brüder ziemlich lange sprechen, ist es genug. Wenn sie sich kürzer fassen, können drei zu Wort kommen. Dann ist es genug. Wenn jemand, ungeachtet dieser Anordnung, doch noch das Wort ergreift, und wir sind müde, dann behalten wir schließlich weniger, als wenn wir nur drei gehört hätten.

Beachte, dass die anderen, die zuhören, „urteilen“ sollen. Das heißt, dass selbst in den Tagen, als in der Versammlung durch direkte Offenbarung inspirierte Aussprüche gegeben wurden, die Zuhörer mit Einsicht und Unterscheidungsvermögen hören sollten. Sie sollten nicht einfach annehmen, was sie hörten, sondern sollten es prüfen. Niemals sollten sie eine Haltung von der Art annehmen: „Oh, alles, was der teure Bruder A sagt, muss ja richtig sein.“ Eine solche Haltung ist geradezu ein Ansporn für den Teufel, die Gedanken von Bruder A zu verdrehen und auf diese Weise viele zu Fall zu bringen. Sie ist zum Unheil für Bruder A und auch für seine Bewunderer. Es besteht für alle Propheten Freiheit zu weissagen, aber das natürlich nicht bei nur einer Gelegenheit. Wenn ein Prophet bei irgendeinem Anlass vielleicht etwas zu sagen hat, aber keine Gelegenheit findet, muss er sich zurückhalten und auf Gott warten, bis sich eine Gelegenheit bietet. Er selbst hat seinen eigenen Geist zu meistern und sich nicht von ihm beherrschen zu lassen.

Die Verse 34 und 35 befassen sich mit dem Schweigen der Frauen in der Versammlung. Die Anordnung ist sehr klar, und das für „sprechen“ gebrauchte Wort ist das übliche und bedeutet nicht etwa „plaudern“, wie einige behauptet haben. Diese Vorschrift stellt sich zweifellos quer zum Zeitgeist. Aber wenn das ein Grund ist, die Schrift nicht zu beachten, wird bald nicht viel in der Schrift übrig bleiben, was noch beachtet wird.

Der Geist Gottes wusste im Voraus, wie diese Anweisungen missachtet und angegriffen werden würden. Diese Neigung zeigte sich bereits bei einigen in Korinth. Die Verse 36 und 37 lassen darauf schließen. Das Wort Gottes war vom Herrn selbst und Seinen Aposteln und nicht von den Korinthern ausgegangen. Es kam zu ihnen. Sie selbst mochten sich einbilden, geistliche Leute zu sein. Wenn sie wirklich geistlich waren, dann würden sie es dadurch beweisen, dass sie erkannten, dass die von Paulus aufgestellten Ordnungsprinzipien eben nicht seine eigenen Ideen waren, sondern Gebote des Herrn, die er übermittelte. Der Prüfstein für geistliche Einsicht heute ist derselbe.

Beachten wir wohl, dass Gottes Wort nicht von der Kirche ausgeht. Es kommt zu der Kirche. Der Gipfel der Anmaßung des großen römischen Systems ist der, dass „die Kirche“ - und damit meinen sie die römischen Autoritäten - die lehrende Körperschaft sei. Wir brauchen uns hier mit ihrem Anspruch, „die Kirche“ zu sein, nicht zu befassen, denn aus dieser Stelle geht deutlich hervor, dass die Apostel die Quellen sind, aus denen sich die klaren Wasser des Wortes Gottes ergossen haben, und heute haben wir sie in ihren inspirierten neutestamentlichen Schriften. Die Kirche ist nicht „die lehrende Körperschaft“, sie ist die belehrte Körperschaft. Das Wort Gottes kommt zu ihr, und es ist ihre Pflicht, sich unter Gottes Wort zu beugen.

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