Betrachtungen über das zweite Buch Mose

Gott ermutigt Mose

Betrachtungen über das zweite Buch Mose

Man könnte sich im Blick auf die oben angeführte Stelle fragen, ob und inwieweit das von Mose ausgesprochene „Warum“ ein Zeichen echten Glaubens oder eines gebrochenen Willens war. Doch wie dem auch sein mag, nie tadelt der Herr einen Einwand, der durch den harten Druck des Augenblicks hervorgerufen wird. Er antwortete Mose in bewundernswerter Güte: „Nun sollst du sehen, was ich dem Pharao tun werde; denn durch eine starke Hand gezwungen soll er sie ziehen lassen, und durch eine starke Hand gezwungen soll er sie aus seinem Land wegtreiben“ (Kap. 6,1). Diese Antwort zeigt eine besondere Gnade. Anstatt es zu rügen, dass Mose es sich herausnimmt, die unerforschlichen Wege des „Ich bin“ in Zweifel zu ziehen, sucht Gott vielmehr seinen erschöpften Diener dadurch zu ermutigen, dass Er ihm seine Absichten enthüllt. Diese Handlungsweise war Gott, dem Geber jeder guten und vollkommenen Gabe, angemessen. „Denn er kennt unser Gebilde, ist eingedenk, dass wir Staub sind“, Er, dessen Güte ist von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten (vgl. Ps 103,14.17).

Der HERR tut seinen Namen kund.

Jedoch möchte Gott das Herz dahin führen, dass es nicht nur in seinen Handlungen, sondern in ihm selbst, in seinem Namen und Charakter, Trost und Freude findet; und darin gibt es in der Tat eine vollkommene, ewige Glückseligkeit. Wenn das Herz Gott selbst als seinen Zufluchtsort kennt, wenn es sich in den „starken Turm“, den sein Name darstellt, zurückziehen und im Wesen Gottes eine vollkommene Antwort auf alle seine Bedürfnisse finden kann, dann steht es wirklich hoch über dem Bereich alles Geschaffenen; dann kann es sich von allem abwenden, was die Erde Schönes verspricht, und erkennt die Anmaßung des Menschen in ihrem wahren Wert. Ein Christ, der Gott aus Erfahrung kennt, kann nicht nur im Blick auf die Erde sagen: „Alles ist Eitelkeit!“ (Pred 1,2), sondern kann auch zu Gott emporschauen und ausrufen: „Alle meine Quellen sind in dir!“ (Ps 87,7).

„Und Gott redete zu Mose und sprach zu ihm: Ich bin der HERR. Und ich bin Abraham, Isaak und Jakob erschienen als Gott, der Allmächtige; aber mit meinem Namen HERR habe ich mich ihnen nicht kundgegeben. Und auch habe ich meinen Bund mit ihnen errichtet, ihnen das Land Kanaan zu geben, das Land ihrer Fremdlingschaft, in dem sie als Fremde geweilt haben. Und auch habe ich das Wehklagen der Kinder Israel gehört, die die Ägypter zum Dienst zwingen, und habe meines Bundes gedacht“ (Kap. 6,2–5). „Der HERR“ ist der Titel, den Gott in Verbindung mit seinem Gnadenbund und als Befreier seines Volkes annimmt. Er stellt sich darin als die unversiegbare Quelle der erlösenden Liebe vor, indem Er seine Ratschlüsse bestätigt, seine Verheißungen erfüllt und sein auserwähltes Volk von jedem Feind und jedem Übel erlöst. Es war das Vorrecht Israels, stets unter dem Schutz dieses bedeutungsvollen Titels zu wohnen, eines Titels, in dem sich Gott offenbart, wie Er für seine eigene Herrlichkeit wirkt und sich seines unterdrückten Volkes annimmt, um in ihm diese Herrlichkeit zu offenbaren (vgl. Jes 43,11.12; 2. Mo 15,21).

„Darum sprich zu den Kindern Israel: Ich bin der HERR, und ich werde euch herausführen unter den Lastarbeiten der Ägypter hinweg und werde euch erretten aus ihrem Dienst und euch erlösen mit ausgestrecktem Arm und durch große Gerichte. Und ich will euch annehmen mir zum Volk und will euer Gott sein; und ihr sollt erkennen, dass ich der HERR, euer Gott, bin, der euch herausführt unter den Lastarbeiten der Ägypter weg. Und ich werde euch in das Land bringen, das Abraham, Isaak und Jakob zu geben ich meine Hand erhoben habe, und werde es euch zum Besitztum geben, ich, der HERR“ (Kap. 6,6–8). Hier offenbart Gott den Seinen seine Gnade, dass Er in ihnen, für sie und mit ihnen zur Entfaltung seiner eigenen Herrlichkeit wirken wollte. Wie schwach und elend sie auch sein mochten, Er war gekommen, um seine Herrlichkeit zu zeigen, seine Gnade zu offenbaren und in ihrer völligen Befreiung ein Beispiel seiner Macht zu geben. Seine Herrlichkeit und ihre Erlösung waren untrennbar miteinander verbunden. Alles dieses wurde später in ihre Erinnerung zurückgerufen, wie wir in 5. Mose 7,7.8 lesen: „Nicht weil ihr mehr wäret als alle Völker, hat der HERR sich euch zugeneigt und euch erwählt; denn ihr seid das geringste unter allen Völkern; sondern wegen der Liebe des HERRN zu euch und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen hat, hat der HERR euch mit starker Hand herausgeführt und dich erlöst aus dem Haus der Knechtschaft, aus der Hand des Pharaos, des Königs von Ägypten.“

Gott liebt uns so, wie wir sind.

Nichts ist mehr geeignet, ein zweifelndes Herz auf einen sicheren Boden zu stellen, als das Bewusstsein, dass Gott sich unser angenommen hat, gerade so wie wir sind und in der völligen Erkenntnis dessen, was wir sind und dass Er niemals irgendeine neue Entdeckung in uns machen kann, die den Charakter oder das Maß seiner Liebe zu uns verändern könnte. „Da er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende“ (Joh 13,1). Seine Liebe ist unveränderlich; wen Er liebt und wie Er liebt – Er liebt bis ans Ende. Das ist ein unaussprechlicher Trost. Gott kannte uns durch und durch. Als Er seine Liebe zu uns in der Hingabe seines Sohnes offenbarte, da war ihm das Allerschlechteste von uns bekannt. Er wusste, was notwendig war, und Er traf Vorsorge dafür. Er kannte unsere Schuld, und Er beglich sie. Er wusste, was getan werden musste, und Er vollbrachte es. Seinen eigenen Anforderungen musste entsprochen werden, und Er entsprach ihnen. Alles ist sein eigenes Werk. Darum hören wir ihn, wie in der oben angeführten Stelle, zu Israel sagen: „Ich werde euch herausführen“ – „ich werde euch bringen“ – „ich werde euch annehmen“ – „ich werde euch geben“ – „ich bin der HERR“. Das alles wollte Er tun, und zwar aufgrund dessen, was Er war. Solange diese große Wahrheit nicht begriffen und solange sie nicht in der Kraft des Heiligen Geistes in der Seele aufgenommen worden ist, kann von keinem dauernden Frieden die Rede sein. Weder kann das Herz glücklich noch das Gewissen ruhig sein, bevor man weiß und glaubt, dass alle göttlichen Forderungen ihre göttliche Befriedigung gefunden haben.

Familienregister Israels

Der Schluss unseres Kapitels enthält ein Verzeichnis der Häupter der Vaterhäuser Israels. Es ist interessant, hier zu sehen, wie Gott die Zählung derer vornimmt, die, obwohl noch in der Gewalt des Feindes, sein Eigentum waren. Israel war das Volk Gottes, und Gott zählt hier diejenigen auf, auf die Er ein unumschränktes Recht besaß. Welch eine Gnade, dass Gott Interesse an denen hatte, die sich in der tiefen Erniedrigung der ägyptischen Knechtschaft befanden! Er, der die Welten gemacht hat und der von unzähligen Heerscharen nicht gefallener Engel, den „Tätern seines Wohlgefallens“ (Ps 103,21), umgeben ist, kommt herab, um sich einer Anzahl von Sklaven anzunehmen, mit denen Er in unbegreiflicher Herablassung seinen Namen verbinden will. Inmitten der Ziegelhütten Ägyptens sieht Er ein unter der Geißel der Fronvögte seufzendes Volk und spricht die denkwürdigen Worte: „Lass mein Volk ziehen!“, und dann beginnt Er die Zählung dieses Volkes, als wollte Er sagen: „Diese sind mein; lass mich sehen, wie viele es sind, damit niemand von ihnen zurückbleibe.“ „Er hebt aus dem Staub empor den Geringen, aus dem Kot erhöht er den Armen, um sie sitzen zu lassen bei den Edlen; und den Thron der Ehre gibt er ihnen als Erbteil“ (1. Sam 2,8).

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