Betrachtungen über das zweite Buch Mose

Die Geburt Moses

Betrachtungen über das zweite Buch Mose

Die Aktivität desjenigen, „der die Macht des Todes hat“

Dieser Abschnitt ist reich an wichtigen Grundsätzen göttlicher Wahrheit, die sich in drei Hauptteile zusammenfassen lassen: die Macht Satans, die Macht Gottes und die Macht des Glaubens.

In dem letzten Vers des vorhergehenden Kapitels lesen wir: „Da gebot der Pharao all seinem Volk und sprach: Jeden Sohn, der geboren wird, sollt ihr in den Strom werfen“. Hier tritt uns die Macht Satans entgegen. Der Fluss war die Stätte des Todes; und durch den Tod trachtete der Feind, den Vorsatz Gottes zu vereiteln. Zu allen Zeiten hat die Schlange mit boshaftem Auge den Dienern aufgelauert, die Gott zur Erfüllung seiner Gnadenabsichten gebrauchen wollte. War es nicht die Schlange, die ihre Blicke auf den von Gott auserwählten Abel richtete und ihn durch den Tod aus dem Weg zu räumen suchte (1. Mo 4,7)? Erkennen wir in der Geschichte Josephs (1. Mo 37) nicht den Feind, der den Mann der Vorsätze Gottes dem Tod überliefern wollte? Überzeugt uns nicht ein Blick auf die Ausrottung der „königlichen Nachkommen“ (2. Chr 22), auf den Kindermord zu Bethlehem (Mt 2) und endlich auf den Tod Christi selbst, dass es immer der Feind war, der sich anstrengte, durch den Tod das Handeln Gottes zu unterbrechen?

Aber, Gott sei gepriesen! Es gibt etwas jenseits des Todes. Der ganze Bereich des Wirkens Gottes liegt, soweit es mit der Erlösung in Verbindung steht, außerhalb der Grenzen des Reiches des Todes. Wenn Satan seine Macht erschöpft hat, beginnt Gott sich zu zeigen. Die Anstrengungen Satans reichen nur bis zum Grab; aber gerade hier beginnt das Wirken Gottes. Das ist eine herrliche Tatsache! Satan hat die Macht des Todes; aber Gott ist der Gott der Lebendigen, und Er gibt ein Leben, das außerhalb der Reichweite und der Macht des Todes liegt und das Satan nicht antasten kann. Eine solche Wahrheit gibt dem Gläubigen Trost an einem Ort, wo der Tod herrscht. Der Gläubige kann Satan entgegenschauen, wenn dieser die Fülle seiner Macht entfaltet; er kann sich mit Zuversicht auf die göttliche Macht der Auferstehung stützen. Er kann am Grab eines Geliebten stehen und von ihm, der „die Auferstehung und das Leben“ ist, die Versicherung der Unsterblichkeit in sich aufnehmen; ja, er kann in dem Bewusstsein, dass Gott stärker ist als Satan, mit Ruhe die völlige Offenbarung dieser höchsten Macht erwarten und so Sieg und dauernden Frieden finden.

Der Glaube, der den Tod besiegt

Die Eingangsverse unseres Kapitels enthalten ein treffendes Beispiel von dieser Kraft des Glaubens.

„Und ein Mann vom Haus Levi ging hin und nahm eine Tochter Levis. Und die Frau wurde schwanger und gebar einen Sohn. Und sie sah, dass er schön war, und verbarg ihn drei Monate. Und als sie ihn nicht länger verbergen konnte, nahm sie für ihn ein Kästchen aus Schilfrohr und verpichte es mit Erdharz und mit Pech und legte das Kind hinein und legte es in das Schilf am Ufer des Stromes. Und seine Schwester stellte sich von fern, um zu erfahren, was ihm geschehen würde“ (V. 1–4). Hier entwickelt sich vor unseren Augen ein interessantes Schauspiel, von welcher Seite wir es auch betrachten. Der Glaube triumphiert hier über die Einflüsse der Natur und des Todes und bietet dem Gott der Auferstehung eine Gelegenheit, in dem ihm angemessenen Bereich und nach seinem Charakter zu handeln. Zwar war es eigentlich die Stellung des Todes, in die das Kind gebracht werden musste, und insofern trat hier die Macht des Feindes ans Licht. Überdies drang ein Schwert durch das Herz der Mutter, als sie ihr geliebtes Kind gleichsam dem Tod überliefert sehen musste. Aber obwohl Satan seine Macht offenbart und die Natur Tränen vergoss, stand Er, der Tote lebendig macht, dennoch hinter der dunklen Wolke; und dorthin sah der Glaube. „Durch Glauben wurde Mose, als er geboren war, drei Monate von seinen Eltern verborgen, weil sie sahen, dass das Kind schön war; und sie fürchteten das Gebot des Königs nicht“ (Heb 11,23).

So gibt uns diese edle Tochter Levis eine tiefe Belehrung. Ihr mit „Erdharz und Pech verpichtes Kästchen“ gibt Zeugnis von ihrem Vertrauen zu der geheimnisvollen Kraft, die wie einst Noah, den Prediger der Gerechtigkeit, so auch dieses „schöne Kind“ gegen die Wasser des Todes schützen konnte. War dieses „Kästchen“ nur eine Erfindung der Natur, eine Schöpfung menschlicher Vorsorge und Klugheit? War es nur der Einfall einer Mutter, die hoffte, auf diesem Weg ihren Schatz vor den grausamen Händen des Todes bewahren zu können? Müssten wir diese Frage bejahen, so würden wir die schöne Belehrung dieser ganzen Szene verlieren. Wie könnten wir dem Gedanken Raum geben, dass das „Kästchen“ nichts weiter gewesen sei als die Erfindung einer Frau, die kein anderes Schicksal für ihr Kind sah, als das Ertrinken? Unmöglich! Es war die Hand des Glaubens, die das „Kästchen“ als ein Gefäß des Erbarmens baute, um ein „schönes Kind“ wohlbehalten über die Wasser des Todes bis zu der Stätte zu führen, die ihm nach dem unerforschlichen Ratschluss Gottes bestimmt war. Wenn wir diese Tochter Levis beobachten, wie sie sich über das im Glauben gebaute „Kästchen aus Schilfrohr“ beugt und ihren Säugling hineinlegt, so sehen wir sie in den Fußstapfen des Glaubens ihres Vaters Abraham wandeln, der einst von seiner Toten sich erhob, um von den Kindern Heth die Höhle Machpela zu kaufen (1. Mo 23). Wir sehen in ihr nicht die Energie der bloßen Natur, die den Gegenstand ihrer Zuneigung in schreckliche Gefahren fallen sieht, sondern wir entdecken in ihr die Kraft eines Glaubens, der sie fähig machte, angesichts der Todesflut den auserwählten Diener des HERRN in dem Kind zu erblicken.

Der Glaube darf immer einen so kühnen und erhabenen Flug in die Regionen wagen, die fern von dieser Stätte des Todes und der Verwüstung liegen. Sein Blick kann das finstere Gewölk durchdringen, das über dem Grab hängt, und mitten in einem Bereich, den kein Todespfeil erreichen kann, den Gott der Auferstehung schauen, wie Er seine ewigen Ratschlüsse entfaltet; und auf dem „Felsen der Zeitalter“ stehend, dessen Fuß die Wogen des Todes umspülen, hört er Worte ewiger Wahrheit und Liebe.

Was galt der Befehl des Königs für jemanden, der sich dieses göttlichen Grundsatzes bewusst war? Welchen Einfluss konnte er auf jemanden ausüben, der ruhig neben dem „Kästchen aus Schilfrohr“ stehen und dem Tod ins Angesicht schauen konnte? Der Heilige Geist gibt die Antwort: „Sie fürchteten das Gebot des Königs nicht“ (Heb 11,23). Wer die Gemeinschaft mit dem kennt, der Tote lebendig macht, fürchtet sich vor nichts. Er kann mit dem Apostel in die triumphierenden Worte einstimmen: „Wo ist, o Tod, dein Sieg? Wo ist, o Tod, dein Stachel? Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde aber das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus!“ (1. Kor 15,55–57). Ja, er kann diese Siegesbotschaft verkünden, sowohl im Blick auf den Märtyrer Abel, auf Joseph in der Grube, auf Mose in dem Kästchen von Rohr, als auch im Blick auf die durch die Hand Athaljas ausgerotteten königlichen Nachkommen und die durch Herodes ermordeten Kinder zu Bethlehem; er kann sie vor allem ausrufen angesichts des Grabes des Anführers unserer Errettung.

Manche mögen sich außerstande fühlen, in der Einrichtung des Kästchen von Rohr eine Tat des Glaubens zu sehen; und viele mögen nicht weiter gehen können als die Schwester Moses, die „sich von fern stellte, um zu erfahren, was ihm geschehen würde“ (V. 4). Was das Maß des Glaubens betrifft stand offenbar die Schwester nicht mit der Mutter auf gleicher Höhe. Ohne Zweifel hatte sie ein tiefes Interesse und wahre Zuneigung, wie die am Grab Jesu sitzenden Frauen Maria Magdalene und die andere Maria (Mt 27,61); aber in dem Herzen der Mutter, die das Kästchen gebaut hatte, gab es etwas, das dieses Interesse und diese Zuneigung weit übertraf. Sie stand nicht wie die Tochter von fern, um das Schicksal ihres Kindes zu erfahren; und ihr großes Vertrauen mochte, wie es ja oft der Fall ist, wie Gleichgültigkeit erscheinen. Aber es war nicht Gleichgültigkeit, sondern wahre Glaubensgröße. Wenn die natürliche Zuneigung sie nicht drängte, am Ort des Todes zu bleiben, so lag der Grund nur darin, dass sie durch die Macht des Glaubens in der Gegenwart des Gottes der Auferstehung, zur Erfüllung eines vortrefflichen Werkes ausgerüstet worden war. Ihr Glaube hatte für ihn die Szene geräumt, und Er offenbarte sich dort in herrlicher Weise.

Gottes weise Voraussicht

„Und die Tochter des Pharaos ging hinab, um an dem Strom zu baden, und ihre Dienerinnen gingen an dem Ufer des Stromes entlang. Und sie sah das Kästchen mitten im Schilf, und sandte ihre Magd hin und ließ es holen. Und sie öffnete es und sah das Kind, und siehe, der Knabe weinte. Und sie hatte Mitleid mit ihm, und sie sprach: Von den Kindern der Hebräer ist dieses“ (V. 5.6). Hier beginnt die göttliche Antwort sich anzubahnen. Gott war in diesen Umständen. Der Rationalist, der Zweifler, der Gottesleugner – sie alle mögen diese Vorstellung belächeln. Aber auch der Glaube lacht; und sein Lachen ist ganz anders. Die einen gefallen sich in einem kalten, verächtlichen Lächeln bei dem Gedanken, dass Gott sich um eine so geringfügige Sache wie den Spaziergang einer Königstochter am Ufer eines Flusses kümmern sollte. Aber der Gläubige lacht mit wahrer Herzensfreude bei dem Bewusstsein, dass Gott in allem ist. Und in der Tat, wenn Gott jemals seine Hand in irgendeiner Sache hatte, so war es in diesem Spaziergang der Tochter des Pharaos, obwohl sie selbst nichts davon ahnte.

Es ist eine der liebsten Beschäftigungen des Gläubigen, die Spuren des göttlichen Wirkens in Ereignissen zu verfolgen, in denen ein leichtfertiges Gemüt nur blinden Zufall oder unabwendbares Verhängnis entdeckt. Eine belanglose Sache erweist sich manchmal als wichtiges Glied in einer Kette von Ereignissen, die der allmächtige Gott zur Entwicklung seiner großen Absichten mitwirken lässt. Werfen wir z. B. einen Blick auf Esther 6,1. Wir finden dort einen heidnischen Monarchen, der eine Nacht schlaflos zubringt. Das war doch wohl nichts Ungewöhnliches; und doch bildete gerade dieser Umstand ein höchst wichtiges Glied in der langen Vorsehungskette, deren Ende die wunderbare Befreiung des unterdrückten Volkes Israel bildet. Genauso war es mit dem Spaziergang der Tochter des Pharaos. Sie dachte sicher nicht im Geringsten daran, dass sie zur Förderung der Vorsätze des „Gottes der Hebräer“ mitwirken sollte, und dass das weinende Kind in dem Kästchen aus Rohr das vom HERRN bestimmte Werkzeug wäre, durch das Ägypten bis in sein Innerstes erschüttert werden sollte. Und doch war es so. Wahrlich, der Ewige kann es bewirken, dass „der Grimm des Menschen ihn preist“, und dass Er „mit dem Rest des Grimms sich gürtet“ (Ps 76,11). Wie klar tritt uns diese Weisheit in der folgenden Stelle vor Augen:

„Und seine Schwester sprach zu der Tochter des Pharaos: Soll ich hingehen und dir eine stillende Frau von den Hebräerinnen rufen, dass sie dir das Kind stille? Und die Tochter des Pharaos sprach zu ihr: Geh hin. Da ging die Jungfrau hin und rief die Mutter des Kindes. Und die Tochter des Pharaoss sprach zu ihr: Nimm dieses Kind mit und stille es mir, und ich werde dir deinen Lohn geben. Und die Frau nahm das Kind und stillte es. Und als das Kind groß wurde, brachte sie es der Tochter des Pharaoss, und es wurde ihr zum Sohn; und sie gab ihm den Namen Mose und sprach: Denn aus dem Wasser habe ich ihn gezogen“ (V. 7–10). Der Glaube der Mutter findet hier seine Belohnung. Satan ist geschlagen, und die wunderbare Weisheit Gottes tritt ans Licht. Wer hätte ahnen können, dass derselbe Mann, der einst gesagt hatte: „Wenn es ein Sohn ist, so tötet ihn“ (Kap. 1,16), und: „Jeden Sohn, der geboren wird, sollt ihr in den Strom werfen“ (Kap. 1,22) – einen dieser Söhne an seinem Hof aufnehmen würde? Der Teufel war durch seine eigenen Waffen geschlagen, indem der Pharao, den er zur Vereitelung des göttlichen Vorsatzes benutzen wollte, von Gott gebraucht wurde, jenen Mose zu ernähren und zu erziehen, der als ein Werkzeug in der Hand Gottes die Macht Satans brechen sollte. Wirklich, „der HERR der Heerscharen; er ist wunderbar in seinem Rat, groß an Verstand“ (Jes 28,29). Möchten wir doch lernen, mit mehr Einfalt unser Vertrauen auf ihn zu setzen! Unser Leben würde glücklicher und unser Zeugnis wirksamer sein.

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