Elia, der Tisbiter

Prophet und Volk

Elia, der Tisbiter

So wurde also das große Treffen vorbereitet: „Da sandte Ahab unter allen Kindern Israel umher und versammelte die Propheten an den Berg Karmel“ (1. Kön 18,20). Es ist beachtlich, dass in diesen entscheidenden Augenblicken der Name Isebel nicht einmal erwähnt wird.

In diesem Zusammenhang liegt der Gedanke an eine andere Versammlung im Heiligen Land nahe, die in ihren Folgen von weit größerer Tragweite war als die auf dem Berg Karmel. Alle vier Evangelien berichten von einer Volksmenge, die sich vor dem Palast von Pilatus in Jerusalem versammelt hatte – angeführt von den höchsten religiösen Führern des Volkes (Mt 27,20; Mk 15,11; Lk 23,18; Joh 18,40). Eine große Entscheidung musste getroffen werden. Ein Gefangener sollte freigelassen werden. Barabbas, der Mörder, und der gepriesene Sohn Gottes, der Messias Israels, wurden dem Volk zur Wahl gestellt. Übereinstimmend schrien alle: „Nicht diesen, sondern Barabbas!“ (Joh 18,40). Und dabei bestand diese Volksmenge nicht aus Anbetern des Baal, wie zu Zeiten des Elia. Es handelte sich um bekennende Anbeter des Herrn, die den Götzendienst ihrer Vorväter mit Abscheu betrachteten. Aber sie wollten den Gesalbten des Herrn nicht haben – ein Mörder war mehr nach ihrem Geschmack. Eine verhängnisvolle Entscheidung, unter deren Folgen diese verblendete Nation bis heute noch zu leiden hat! „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ (Mt 27,25), hatten sie gesagt, und der Gott der Gerechtigkeit hat sie beim Wort genommen.

Wir führen hier die Worte eines anderen Schreibers bezüglich des Zusammenkommens auf dem Berg Karmel an: „Es gibt nur wenig erhabenere Begebenheiten in der Geschichte als diese. Auf der einen Seite der einsame Knecht des Herrn, sich selbst sein einziger Begleiter, der mit seinem wild gewachsenen Haar, seinem ärmlichen Gewand und seinem Mantel aus Schaffell, aber mit ruhiger Würde in seinem Auftreten und einer geordneten Vorgehensweise den Altar des Herrn wieder aufbaute. Auf der anderen Seite die 850 Propheten des Baal und der Aschera, alle zweifellos in ihren prächtigsten Gewändern, in dem unbändigen Lärm ihrer vergeblichen Bemühungen und dem wütenden Zorn ihrer enttäuschten Hoffnungen – und alle umgeben von dem schweigenden Volk.“ (Dr. W. Smith). Es ist nicht ganz sicher, ob die Propheten der Aschera auch zugegen waren. Möglicherweise war es Isebel gelungen, ihre Schützlinge davor zu bewahren, wenn auch die Stimmung unter dem Volk so stark war, dass es ihr nicht möglich gewesen wäre, das ganze Zusammenkommen zu untersagen. Der Wunsch Elias war es, dass beide Gruppen der Verführer zugegen sein sollten, aber es werden nur die 450 Propheten des Baal erwähnt (1. Kön 18,19.22.40).

Elia wandte sich direkt an das Volk. Wenn Herrscher gegen Gott sündigen und dadurch seine züchtigende Hand herabrufen, leiden die Armen immer am meisten darunter. Ahab und Isebel werden während der Hungersnot wohl kaum Mangel an Wein und Brot gehabt haben und die falschen Propheten konnten auch sicher sein, dass man sie gut versorgen würde. So „trat Elia zum ganzen Volk hin und sprach: Wie lange hinkt ihr auf beiden Seiten? Wenn der HERR der Gott ist, so wandelt ihm nach; wenn aber der Baal, so wandelt ihm nach!“ (1. Kön 18,21). Dieser Tag musste eine Entscheidung bringen und das Volk fühlte zweifellos die Berechtigung der Worte Elias. Zu diesem Zeitpunkt war die Nation in drei Klassen geteilt: Es gab große Mengen von schlechten religiösen Führern; es gab wenigstens ein paar Tausend Menschen, die in ihren Herzen dem Herrn treu geblieben waren, obwohl ihr Vorhandensein anscheinend nicht bemerkt wurde; und es gab die große Masse des Volkes, die offensichtlich unschlüssig war, zu welchem Gott sie sich wenden sollte, aber die sich nach Regen sehnte.

Diese drei Gruppen sind auch heute in den christlichen Ländern vertreten. Es gibt religiöse Verführer, von denen manche wichtigtuerisch von „Höherer Kritik“ reden und allen Glauben an Gott und sein Wort zerstören wollen. Andere von ihnen, die mehr den Zeremonien zugeneigt sind, wollen die Menschenmengen dem Vatikan versklaven. Im Gegensatz zu diesen hat Gott in jedem Land einen frommen Überrest, der sein Wort liebt, obwohl sie vielleicht nicht ein so freimütiges Zeugnis davon ablegen, wie sie es tun sollten. Dann gibt es da noch die große Masse, die sich keine Gedanken um „Religion“ macht. Christentum, Judentum, Islam usw. sind für sie alle dasselbe – sie wollen in diesem Glauben nicht gestört werden und können auch nicht verstehen, warum Gott die Völker für diese Zustände strafen sollte. Diese Menschen müssen an einen Punkt gebracht werden, wo sie sich entscheiden müssen. Gibt es einen Gott – warum Ihm nicht gehorchen? Gibt es einen Retter – warum Ihm nicht vertrauen? Nur der Gott des Himmels ist der einzig wahre Gott und der Herr Jesus, sein geliebter Sohn, ist der einzig mögliche Retter. Sein kostbares Blut allein kann von Sünden reinwaschen und einen Anspruch auf ewige Glückseligkeit verleihen.

Ein zweites Mal redete Elia zu dem Volk und ließ dabei wieder den König und die Propheten und jeden Beamten, der den König begleitet haben mochte, unbeachtet. Sein Vorschlag war ganz einfach: Zwei Stiere sollten bereitgestellt werden – einer für die 450 Propheten des Baal und einer für ihn selbst, den einsamen Zeugen für den Herrn an diesem Tag – wo war wohl Obadja? Jeder Stier sollte zerstückelt und auf das Holz gelegt werden, aber es sollte kein Feuer gemacht werden. Die Propheten des Baal sollten den Namen ihres Gottes anrufen und Elia würde den Namen des Herrn anrufen. Der Gott, der mit Feuer antworten würde, sollte Israels Gott sein. Das Volk, das wusste, dass Baal in dem Ruf stand, ein Gott des Feuers zu sein, antwortete: „Das Wort ist gut“ (1. Kön 18,24). Auf den Aufruf Elias: „Wie lange hinkt ihr auf beiden Seiten?“ (1. Kön 18,21), hatten sie nichts geantwortet, aber der Vorschlag, diese große Frage einer Feuerprobe zu unterziehen, erschien ihnen so angemessen, dass das ganze Volk antwortete und sprach: „Das Wort ist gut.“

Jetzt erst wandte sich Elia an die Propheten des Baal und sprach: „Wählt euch einen Stier aus und richtet ihn zuerst zu, denn ihr seid die Vielen, und ruft den Namen eures Gottes an; aber ihr sollt kein Feuer daran legen“ (1. Kön 18,25). Es war wichtig, diesen letzten Satz zu betonen, da Elia es mit skrupellosen Übeltätern zu tun hatte. Die „Wunder“ heidnischer Priester haben den üblen Ruf der Hochstapelei. Mit der Ruhe des Glaubens konnte Elia es sich leisten, den Abgesandten Satans zu erlauben, als Erste zu handeln – er wusste ganz genau, dass der Gott, dem sie dienten, keine Kraft besaß.

Was war das für ein Tag! Vom Morgen bis zum Mittag schrien die Propheten: „Baal, antworte uns!“ (1. Kön 18,26), es war ihnen klar, dass davon alles abhing. Durch das Schweigen ihrer Gottheit steigerten sie sich in eine Raserei und hüpften um ihren Altar. „Die Götzen der Nationen sind Silber und Gold, ein Werk von Menschenhänden. Einen Mund haben sie und reden nicht; Augen haben sie und sehen nicht; Ohren haben sie und hören nicht; auch ist kein Odem in ihrem Mund. Ihnen gleich sind die, die sie machen, jeder, der auf sie vertraut“ (Ps 135,15–18).

Die Blicke der Volksmenge waren auf Elia gerichtet, als er am Mittag kam, um die erfolglosen Propheten zu verspotten. Er deutete an, dass sie nicht laut genug riefen; vielleicht war ihr Gott mit anderen Dingen beschäftigt und konnte sich nicht um sie kümmern. Möglicherweise war er auch gar nicht zu Hause oder er schlief sogar! Durch diese spöttischen Bemerkungen aufgereizt fügten sich die falschen Propheten mit ihren Schwertern und Lanzen Wunden zu, bis ihre Körper mit Blut überströmt waren. Diese unheilige und alberne Szene von Menschen, die im Bild Gottes erschaffen worden waren, dauerte noch weitere drei Stunden an.

„Zur Zeit, da man das Speisopfer opfert“ (1. Kön 18,29) urteilte Elia, dass seine Gelegenheit nun gekommen sei. Das Lamm mit den begleitenden Speis- und Trankopfern wurde um drei Uhr nachmittags auf dem Altar des Herrn in Jerusalem zum Abendopfer zugerichtet. Das erinnert an Christus, dessen Leiden und Sterben am Kreuz von Golgatha zu dieser Stunde stattfand (2. Mo 29,41; Mt 27,46). Es war auch die Stunde göttlichen Segens (vgl. Esra 9,5; Dan 9,21). Es hatte nun die Stunde geschlagen, in welcher das Opfer Elias dargebracht werden sollte, um Segen daraus hervorkommen zu lassen.

„Tretet her zu mir“, sagte Elia zu dem Volk (1. Kön 18,30), das so lange Zeit wie törichte Schafe in die Irre geführt worden war. In den Worten des Propheten klingt ein Zartgefühl durch, das an die Aufforderung Josephs an seine schuldigen und zitternden Brüder erinnert (1. Mo 45,4). Elia würde das arme, irregeleitete Volk schon bald zurück zu ihrem geduldig wartenden, treuen Gott führen. Vor ihren Augen stellte er den lange Jahre missachteten Altar des Herrn wieder her. Er würde sie den wahren Weg lehren, auf dem man Gott nahen kann. Wenn man sich in Israel jemals wieder der Segnungen Gottes erfreuen wollte, konnte dies nur aufgrund eines für Gott wohlangenehmen Opfers geschehen. Als unter Serubbabel der Überrest aus Babylon zurückkehrte, richteten sie „den Altar auf an seiner Stätte, denn Furcht war auf ihnen vor den Völkern der Länder; und sie opferten auf ihm Brandopfer dem HERRN, die Morgen- und Abend-Brandopfer“ (Esra 3,3). In ihrer Schwachheit fühlten sie, dass der Altar des Herrn ein besserer Schutz sein würde als Mauern und Waffen. Sie urteilten richtig, denn der Altar und die Opfer reden zu Gott von Christus. Gott bekennt sich immer zu so einem Glauben.

Elia baute seinen Altar aus zwölf Steinen „nach der Zahl der Stämme der Söhne Jakobs, an den das Wort des HERRN ergangen war, indem er sprach: Israel soll dein Name sein!“ (1. Kön 18,31). Diese Handlung beweist die geistliche Einsicht und Erkenntnis des Propheten. Die zwölf Stämme gingen längst nicht mehr in Einheit ihren Weg – ihre Einheit ist bis zum heutigen Tag nicht wiederhergestellt worden und wird auch bis zu dem tausendjährigen Friedensreich des Herrn Jesus nicht wiederhergestellt werden (Hes 37,21–23). Elia befand sich auf dem Gebiet der zehn Stämme. Aber seine zwölf Steine machten deutlich, dass er die Gedanken Gottes über sein Volk kannte. Aus seiner Sicht war das Volk Gottes immer noch eins. Obwohl der Tempel in Jerusalem nur noch von zwei Stämmen anerkannt wurde, trug doch der Hohepriester noch immer die Namen aller Kinder Israel auf seinem Brustschild vor dem Herrn, und noch immer hatten die zwölf Schaubrote ihren Platz auf dem Schaubrottisch im Heiligtum (2. Mo 28,29; 3. Mo 24,5–8).

Zwei Jahrhunderte nach dieser großen Versammlung auf dem Berg Karmel gebot Hiskia, der König von Juda, während des Passahfestes in Jerusalem, dass für ganz Israel Sühnung getan werden sollte (2. Chr 29,24). Und doch unterwarfen sich nur zwei Stämme seinem Willen und die Wegführung der nördlichen Stämme hatte bereits begonnen. Nach der Rückkehr aus Babylon brachten „die aus der Gefangenschaft Gekommenen, die Kinder der Wegführung, ... dem Gott Israels Brandopfer dar: 12 Stiere für ganz Israel, ...“ (Esra 8,35). Noch 600 Jahre später richtete Jakobus einen Brief an die „zwölf Stämme, die in der Zerstreuung sind“ (Jak 1,1). All dies war sehr wertvoll für Gott, denn es zeigte, dass Elia, Hiskia, Esra und Jakobus sich seine Gedanken über sein fehlerhaftes Volk zu eigen gemacht hatten.

Haben wir heute die gleiche geistliche Einsicht? Wenn wir uns umschauen, dann sehen wir die Glieder am Leib Christi nicht nur in zwei Gruppen zerteilt, wie bei Israel in den Tagen der Könige, sondern sie sind in beinahe unzählige Gruppierungen zersplittert. Tragen wir darüber Leid vor unserem Gott? Sind wir bemüht, seine Heiligen (so sehr sie auch versagen mögen) so zu betrachten, wie Er sie betrachtet? Verweigern wir diesem unheiligen Durcheinander unsere Zustimmung? Können wir wirklich im Glauben sagen: „Da ist ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen worden seid in einer Hoffnung eurer Berufung“ (Eph 4,4)?

Nachdem Elia seinen Altar gebaut hatte, machte er ringsherum einen Graben, legte das Brandopfer oben auf das Holz und ließ vier Eimer Wasser darüber ausgießen. Dies wurde noch zweimal wiederholt, bis der Stier und das Holz ganz durchnässt waren und der Graben mit Wasser gefüllt war. Elia wollte dem bevorstehenden Wunder jede mögliche Schwierigkeit in den Weg legen, um es dadurch noch eindrucksvoller und überzeugender werden zu lassen. Die Propheten des Baal hatten es nicht gewagt, das Wasser auf diese Weise zu gebrauchen, aber Elia benutzte es freimütig. Danach trat er herzu und sprach das einfache Gebet: „HERR, Gott Abrahams, Isaaks und Israels! Heute werde kund, dass du Gott in Israel bist und ich dein Knecht, und dass ich nach deinem Wort dies alles getan habe. Antworte mir, HERR, antworte mir, damit dieses Volk wisse, dass du, HERR, der Gott bist, und dass du ihr Herz zurückgewandt hast!“ (1. Kön 18,36.37).

Es ist auffällig, dass der Prophet nicht nach Ehre für sich selbst trachtete (im Gegensatz zu Simon von Samaria, der „von sich selbst sagte, dass er jemand Großes sei“; Apg 8,9). Elia nahm den angemessenen Platz als ein bloßer Diener ein, der nur nach dem Wort seines Gottes handelte. Er hätte mit Paulus sagen können: „Ich bin nichts“ (2. Kor 12,11; 1. Kor 3,7).

Elia stellte die Wahrheit von Jesaja 65,24 unter Beweis: „Und es wird geschehen: Ehe sie rufen, werde ich antworten; während sie noch reden, werde ich hören.“ Auf diese segensreichen Erfahrungen wird Israel bis zu der herrlichen Zeit warten müssen, wo „Wolf und Lamm ... zusammen weiden“ werden (Jes 65,25). Elia konnte dies schon angesichts eines ganzen Rudels von Wölfen mit gefletschten Zähnen erfahren! Es ist gut, wenn wir Gott vor Augen haben. Gott antwortete auf das Gebet des einsamen Mannes unverzüglich und bestimmt: „Da fiel Feuer des HERRN herab und verzehrte das Brandopfer und das Holz und die Steine und die Erde; und das Wasser, das im Graben war, leckte es auf“ (1. Kön 18,38).

Man sollte keins der Worte dieses bemerkenswerten Verses unbeachtet lassen. Das Feuer – das Zeichen des gerechten Gerichts Gottes – hätte auch auf die ungehorsame Nation fallen können oder nur auf Ahab und seine götzendienerischen Propheten, die alle Diener Satans waren. Aber es tat nichts in dieser Art: Das Feuer fiel auf den unschuldigen Stier, den Elia auf den Altar gelegt hatte. Was für ein Bild des großen Opfers von Golgatha! Dort traf das gerechte Gericht Gottes weder die gottlosen Menschenmengen noch die skrupellosen Führer, die in erster Linie für das Aufrichten des Kreuzes verantwortlich waren. Das Gericht Gottes traf in all seiner schrecklichen Schärfe den Einen, Heiligen, der dort hing, so dass Er ausrufen musste: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46).

Dieses wunderbare Opfer, dessen voller Wert nur von Gott ermessen werden kann, ist die Grundlage des Glücks und Segens eines jeden bußfertigen Sünders. Den ersten Verkündigern des Evangeliums wurde sogar aufgetragen, in Jerusalem mit ihrer Predigt von Buße und Vergebung der Sünden im Namen des Herrn zu beginnen (Lk 24,47). Der Glaube sieht Ihn nun auferstanden und verherrlicht zur Rechten Gottes – ein deutlicher Beweis davon, dass für Ihn und für jeden, der an Ihn glaubt, das Gericht für immer vorüber ist.

Die Wirkung des Feuers vom Himmel auf dem Berg Karmel war wunderbar: „Und als das ganze Volk es sah, da fielen sie auf ihr Angesicht und sprachen: Der HERR, er ist Gott!“ (1. Kön 18,39). Die große Entscheidung war gefallen. Und Gott, der Nationen gegenüber genauso mitfühlend ist wie einzelnen Sündern gegenüber, konnte nun Segnungen gewähren – schon bald würde Regen fallen!

Doch was war mit den Propheten des Baal? Sie waren nicht durch das Feuer von Gott vernichtet worden, es gab folglich – für einen kurzen Augenblick – eine geöffnete Tür zur Buße. Ihre erschöpften und blutenden Leiber waren ein hinreichender Beweis für die Wertlosigkeit Baals. Er vermochte für seine leidenschaftlichen Jünger in ihrer Stunde der Gefahr nichts auszurichten. In aller Öffentlichkeit wurden sie überführt und es wurde deutlich, dass sie das Volk betrogen hatten. Warum fielen sie nicht unverzüglich auf ihr Angesicht und bekannten vor Gott und dem Volk ihre große Sünde? Sie taten nichts davon. Missmutig und trotzig standen sie vor dem Volk auf dem Berg. Sie hatten es über viele Jahre hinweg grausam betrogen. Nun konnte sogar die Gunst des Königs sie vor ihrer Vernichtung nicht retten.

Im Gehorsam gegenüber dem Gesetz in 5. Mose 13,1–6 befahl Elia, dass alle Propheten ergriffen werden sollten. Willige Hände gehorchten, und diese abscheulichen 450 Männer wurde an den Bach Kison geführt und dort getötet. Besitzen wir die Klarheit, zwischen den Wegen Gottes in den verschiedenen Zeitaltern zu unterscheiden? Von Mose bis auf Christus währte das Zeitalter des Gesetzes. Neben anderen gerechten Verordnungen war der Tod die Strafe für falsches Lehren. In unseren Tagen der Gnade ist das anders. Wer Menschen in Bezug auf die Grundlagen des Glaubens verführt, soll scharf zurückgewiesen werden – in seinem zweiten Brief ermahnt der Apostel Johannes sogar eine Witwe und ihre Kinder, solchen Personen nicht die gewöhnlichen Freundlichkeiten zu erweisen – aber wir sind nicht befugt, darüber hinauszugehen. Die Kirche hat in ihrer Missachtung der göttlichen Gnade und ihrer verblendeten Geringschätzung des Wortes Gottes in den vergangenen Jahrhunderten anders geurteilt. Viele ausgewählte Knechte Christi wurden unter dem Vorwand, dadurch „gefährliche Ketzer“ zu beseitigen, grausam hingeschlachtet. Als in dem Gleichnis von dem Unkraut unter dem Weizen die Knechte danach fragten, ob sie das Unkraut zusammenlesen sollten, antwortete der Herr: „Nein, damit ihr nicht etwa beim Zusammenlesen des Unkrauts zugleich mit diesem den Weizen ausrauft. Lasst beides zusammen wachsen bis zur Ernte ...“ (Mt 13,29.30).

Diese Worte aus dem Mund unseres Herrn wurden oft missverstanden. Sie sind häufig als Begründung dafür angeführt worden, Personen in der Gemeinschaft der Versammlung zu behalten, die ihr schaden. Aber das Gleichnis von dem Unkraut und dem Weizen hat nicht die Versammlung im Auge, denn im Matthäusevangelium wird die Versammlung in diesem Zusammenhang und auch vorher nicht genannt. Dieses Gleichnis steht in Matthäus 13 und die erste Erwähnung der Versammlung durch den Herrn finden wir in Matthäus 16. „Zusammen wachsen lassen“ bedeutet nicht, Gemeinschaft miteinander zu haben. Unmöglich könnte Er, der der Heilige und der Wahrhaftige ist (Off 3,7), eine solche Unordnung dulden. Der Weizen und das Unkraut sollen zusammen auf dem Feld wachsen, und der Herr selbst sagt uns, dass der Acker die Welt ist (Mt 13,38). Mit anderen Worten: Menschen, die Christus und seiner Wahrheit treu sind, haben keine Befugnis, falsche Lehrer zu töten, selbst wenn sie die Macht dazu besäßen. Eine solch heikle Arbeit, auf dem Acker Gottes Unkraut zu jäten, kann dem fehlbaren Menschen nicht anvertraut werden. Schreckliche Irrtümer wären die unausbleibliche Folge.

Falls sich jemand fragt, was mit dem „Verderben des Fleisches“ in 1. Korinther 5,5 gemeint ist: Es bezieht sich nicht auf den Körper, sondern auf das böse moralische Prinzip, das in uns allen mit unserem Leib verbunden ist. „Dem Satan zu überliefern“ (1. Kor 5,5; 1. Tim 1,20) ist apostolisches Handeln – in der ersten Bibelstelle in Verbindung mit der Versammlung ausgeführt, und in der zweiten völlig getrennt von der Versammlung. Die betreffenden Menschen hatten ihre Lehren nicht in der gnädigen Schule Gottes gelernt. Deshalb mussten sie durch die grausame Wirksamkeit Satans zerbrochen und gedemütigt werden. Die Zucht Gottes ist in jeder Form von tiefer, ernster Bedeutung; aber sie hat immer höchste Segnungen zum Ziel, sie geschieht, „damit der Geist errettet werde am Tag des Herrn Jesus“ (1. Kor 5,5).

Unsere Pflicht ist es, den Bösen aus unserer Mitte hinauszutun. Weiter dürfen wir nicht gehen.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel