Betrachtung über den Brief an die Römer

Kapitel 8

Diese Befreiung steht in der engsten Verbindung mit der Erlösung, nicht sowohl hinsichtlich der Vergebung, als vielmehr hinsichtlich unsres Gestorbenseins mit Christo. Wir haben schon gesehen, daß es zwei Hauptpunkte in dieser Erlösung gibt, nämlich die Vergebung der Sünden oder die Rechtfertigung, und die Befreiung:

Freiheit vor Gott, und Freiheit vom Joche der Sünde im Fleische. Wenn wir aber mit Christo gestorben sind, so sind wir der Sünde gestorben und sind nicht mehr im Fleische vor Gott. Das fleischliche Leben ist nicht mehr unsre Stellung, weil Christus, nachdem Er gestorben, unser Leben geworden ist. Die Sünde im Fleische ist verurteilt, verdammt - nicht vergeben - und zwar im Tode Christi auf dem Kreuze. Die Kraft des Lebens Christi ist in mir, ist mein Leben. Doch nicht allein das. Die Sünde im Fleische, die meine Qual war, ist schon verurteilt, aber in einem Andern, so daß es für mich wegen des Fleisches keine Verdammnis mehr gibt. Da wo diese Verdammnis, das Gericht des Fleisches, ausgeübt worden ist, ist der Tod eingetreten, und diejenigen, die in Christo Jesu sind, sind mit Ihm gestorben, so daß es für sie keine Verdammnis mehr gibt. Was an Ihm geschehen ist, ist an uns geschehen: Er ist der Sünde gestorben, und die Verdammnis ist vorbei. Das ist unser Zustand, betreffs der Sünde im Fleische. So klar wie im ersten Teile des Briefes von dem Wegtun der Sünden gesprochen wird, eben so klar wird hier das Wegtun der Sünde im Fleische und der Verdammnis vorgestellt; ja, für den Glauben ist das Fleisch selbst beseitigt, da wir gestorben sind.

Dieser Zustand wird in den drei ersten Versen des achten Kapitels beschrieben. Der Christ befindet sich in einer ganz neuen Stellung: er ist in Christo. Nicht allein hat sich die Gnade Gottes darin geoffenbart, daß die Sünden des alten Menschen vergeben sind, sondern auch seine Stellung ist eine ganz neue geworden: wir sind erlöst. Es heißt nicht: „Also ist jetzt keine Verdammnis mehr für die, welchen die Sünden vergeben sind,“ sondern: „für die, welche in Christo Jesu sind.“ Diese Stellung ist das Resultat des Werkes Christi, der Erlösung. Der Christ ist mit Christo aus der Stellung des Fleisches befreit, weil er mitgestorben ist und teil hat an dem Leben des auferstandenen und verherrlichten Christus. So steht er vor Gott nicht mehr als ein Kind Adams, verantwortlich im Fleische, sondern als einer, der diese Stellung wirklich verlassen hat durch den Tod, und der lebendig ist in Christo. Das Fleisch wird betrachtet als tot, als verdammt, als nicht mehr vorhanden, sondern als verschwunden im Tode Christi. Der Christ ist lebendig in Christo, er ist nicht mehr im Fleische (vgl. Gal 2,19+20).

Der Ausdruck: „das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu“ im zweiten Verse unseres Kapitels mag manchem Leser auffallend erscheinen. Es soll dadurch, wie ich glaube, angedeutet werden, daß der Geist des Lebens in Christo Jesu beständig und ununterbrochen nach ein und demselben Grundsatz wirkt, damit das Fleisch tot sei in dem Gläubigen, indem es in einem Anderen verurteilt wurde. Durch das Leben Christi und den Heiligen Geist ist der Gläubige in Christo. Wie könnte es da noch Verdammnis geben? Gott hat sich schon mit der Sünde im Fleische am Kreuze beschäftigt und ist jetzt, wenn man so sagen darf, fertig damit. Das neue Leben und der Heilige Geist geben dem lebendig gemachten Gläubigen seinen Platz in Christo; er ist erlöst und vor Gott lebendig in Christo. Es handelt sich hier nicht, wie schon gesagt, um die Vergebung der Sünden des alten Menschen, sondern um eine neue, lebendige Stellung in Christo. Das ist es, was in den drei ersten Versen des achten Kapitels dargestellt wird.

Nachdem im siebenten Kapitel die Erfahrung der ersten Stellung, sowie die Befreiung durch die Erlösung in Christo und die Fortdauer der zwei Naturen, als wirkliche Tatsache, beschrieben worden, wird in den drei ersten Versen des achten Kapitels die neue Stellung in Christo, im Gegensatz zu der Stellung im Fleische oder der Stellung im ersten Adam, dargestellt. Im ersten Verse - keine Verdammnis; im zweiten - die Kraft des Lebens; im dritten - die Verurteilung der Sünde im Fleische in Christo auf dem Kreuz. Was den zweiten Vers charakterisiert, ist das Leben in Christo nach der Kraft des Heiligen Geistes, und zwar als ein unaufhörlich wirkender Grundsatz. Den dritten kennzeichnet die Verurteilung der Sünde im Fleische im Sündopfer Christi. Die Sünde ist zwar noch da, und wenn wir nicht treu sind, wenn wir nicht praktisch das Sterben des Herrn Jesu umher tragen, so ist sie wirksam in uns; wir verlieren die Gemeinschaft mit Gott und entehren den Herrn durch unseren Wandel, indem wir nicht nach dem Geiste des Lebens wandeln, würdig des Herrn. Aber wir stehen nicht mehr unter dem Gesetz der Sünde, sondern, mit Christo gestorben und eines neuen Lebens in Ihm und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden, sind wir von diesem Gesetz befreit; wir befinden uns in einer neuen Stellung, sind in dem zweiten Adam vor Gott, und unser naturgemäßer Wandel ist nach dem Geiste - nicht nach dem Fleische. So wird das Gesetz Gottes und sein Recht in uns erfüllt. Darüber hinaus geht die Lehre hier nicht, weil man das Gesetz wollte. Das Gesetz aber ist nicht der Maßstab des christlichen Wandels; es wird nur gesagt, daß der, welcher nach dem Geiste wandelt, es erfüllt. Als ich im Fleische war, konnte ich es nicht erfüllen, weil das Fleisch sich dem Gesetz nicht unterwirft, es auch nicht vermag, sondern nur seinem eigenen Willen folgt. Der Geist aber wird uns sicher nicht in das leiten, was gegen das Gesetz Gottes ist. Das Gesetz wird praktisch erfüllt, indem wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Leitung des Geistes stehen. Wir stehen unter dem Einfluss des Geistes, und es handelt sich nicht um ein Gesetz außer uns, sondern um eine Natur in uns, die den für sie passenden Gegenstand besitzt. Die, welche nach dem Geiste leben, dem neuen Menschen gemäß, begehren die Dinge, die des Geistes sind; die aber, welche nach dem Fleische sind, sinnen auf die Gegenstände der fleischlichen Gelüste. Es handelt sich nicht um ein auferlegtes Gesetz, sondern um eine neue Gesinnung, die Gesinnung einer Natur, welche vom Geiste geboren ist und das sucht, was geistlich ist - eine heilige Freiheit, indem der Mensch, als gestorben mit Christo, vom Joche der Sünde befreit ist, eine aus Gott geborene heilige Natur besitzt, heilige Gegenstände vor Augen hat und eine Wohnung des Heiligen Geistes ist, der im Herzen heilige Gedanken hervorbringt und die Dinge offenbart, welche droben sind. Die Gesinnung des Fleisches ist der Tod der Seele, hat keine Frucht und trennt die Seele von Gott, sowohl jetzt, als in der Ewigkeit. Die Gesinnung des Geistes aber ist Leben, eine Quelle in uns, die in das ewige Leben quillt und die Seele mit Frieden erfüllt. Die Gesinnung des Fleisches lehnt sich gegen die Autorität Gottes auf. Weil sie die Tätigkeit des natürlichen Menschen ausmacht, so hat sie es mit dem Gesetz zu tun, welches der Ausdruck dieser Autorität Gottes über den Menschen und die Richtschnur seiner Verantwortlichkeit als Geschöpf Gottes ist. Aber sie unterwirft sich dem Gesetz nicht und vermag es auch nicht, weil der eigene Wille seinen eigenen Weg gehen will; auch liebt sie durchaus nicht das, was Gott wohlgefällt. So können also die, welche im Fleische sind, welche sich vor Gott in der Stellung des ersten Adam befinden und nach dem Leben des ersten Adam wandeln, Gott nicht gefallen.

In Vers 9 begegnen wir einem sehr wichtigen Grundsatz. Wann kann jemand sagen: ich bin nicht im Fleische? Antwort: wenn der Heilige Geist in ihm wohnt. Es kann jemand bekehrt sein, sich aber noch in dem im siebenten Kapitel beschriebenen Zustand befinden, wie z.B. der verlorene Sohn, bevor er seinem Vater begegnet war. Er war bekehrt und auf dem rechten Weg; doch wollte er nur ein Tagelöhner seines Vaters werden. Sobald er aber mit dem Vater zusammengetroffen war, hören wir nichts mehr davon, sondern nur von dem, was sein Vater war und was derselbe für ihn tat. Die Befreiung findet statt durch das persönliche Bewusstsein dessen, was der Vater ist, gekannt in Christo Jesu, durch das Bewusstsein der Erlösung. Und dieses Bewusstsein findet sich nur in einer Seele, in welcher der Heilige Geist wohnt. Ein bekehrter Mensch ist als solcher erst dann in der christlichen Stellung, wenn er gesalbt worden ist. Gewissen und Herz waren bei dem verlorenen Sohn, als er sich auf dem Wege zum Vaterhaus befand, durch die Gnade erreicht und richtig geleitet; aber er war noch nicht mit dem vornehmsten Kleid bekleidet und kannte auch das Vaterherz noch nicht. Er trat erst dann in die christliche Stellung ein, als er den Vater erreicht hatte, und von diesem Augenblick an hören wir nichts mehr von ihm, sondern nur von dem Vater. Vorher war sein Zustand nicht passend für das Haus.

In Vers 10 sehen wir die andere Seite des christlichen Verhältnisses. Im Anfang des Kapitels heißt es: „welche in Christo Jesu sind,“ und hier: „wenn Christus in euch ist.“ Der Christ ist also einerseits „in Christo,“ und andererseits ist „Christus in ihm.“ In Christo sind wir nach Seiner Vollkommenheit vor Gott; Christus in uns ist der Grund und Maßstab unserer Verantwortlichkeit, wobei Er aber die Quelle unserer Kraft ist, und zwar nach dem, was im Anfang des Kapitels gesagt worden ist. Ein Christ ist ein Mensch, der nicht allein neu geboren ist - was durchaus notwendig ist - sondern in welchem auch der Heilige Geist wohnt. Dieser lenkt den Blick des Gläubigen auf das Werk Christi und lehrt ihn den Wert desselben würdigen; Er gibt ihm das Bewusstsein, daß er in Christo ist und Christus in ihm (Joh 14), und erfüllt sein Herz mit der Hoffnung der Herrlichkeit, mit der Gewissheit, daß er gleich Christo und bei Christo sein wird für immer und ewig. Wenn der Bekehrte weiß, daß seine Sünden vergeben sind, wenn er „Abba, Vater!“ rufen kann, wenn er das Bewusstsein hat, daß es für ihn keine Verdammnis mehr gibt, so ist er befreit; er steht in der Freiheit vor Gott und ist befreit von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Aber er ist erst dann ein vollendeter Christ, vollkommen, wenn er durch den Heiligen Geist versteht, daß er die Stellung Christi einnimmt, daß Gott in derselben Weise sein Vater und sein Gott ist, wie Er der Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi ist - wenn er versteht, daß er aus der Stellung Adams in die Stellung Christi hinüber gegangen, daß er mit Christo gestorben ist und also selbst nicht mehr lebt, sondern Christus in ihm (Galater 2,20).

Diese Freiheit wird im Römerbrief ganz klar vorgestellt und entwickelt, doch nur insofern, als der Gläubige darin betrachtet wird, als mit Christo gestorben und Christum als sein Leben besitzend, wodurch er befreit worden ist von dem Gesetz der Sünde sowohl, als auch von dem mosaischen Gesetz, weil dieses über einen Menschen herrscht, so lange er lebt, und nicht weiter gehen kann. Der Brief behandelt jedoch nicht die Ratschlüsse Gottes und die Herrlichkeit unserer neuen Stellung. Wohl geben die Verse 29 und 30 des achten Kapitels einen Anknüpfungspunkt für diese Lehre; im allgemeinen aber behandelt der Brief die Verantwortlichkeit des Menschen, sowie das, was Gott getan hat, um uns von unserer Schuld zu reinigen und zu rechtfertigen, und er lehrt zugleich, wie wir durch unser Gestorbensein mit Christo vom Gesetz der Sünde und des Todes befreit sind. Jene beiden Verse eröffnen einen etwas weiteren Blick, doch wird die neue Stellung nicht näher entwickelt. Der Brief geht nicht über die Wahrheit hinaus, daß wir durch Christum lebendig gemacht sind; er redet nicht von unserer Auferweckung mit Ihm. Diese - den Ausgangspunkt unserer neuen Stellung - müssen wir im Kolosserbrief suchen. Der Epheserbrief entwickelt diese Lehre dann noch weiter, jedoch von einem anderen Gesichtspunkt aus. Dort hören wir nicht, daß ein Kind Adams sterben und auferstehen muß, und daß der Gläubige gestorben ist, obwohl er als auferstanden mit Christo dargestellt wird. Der unbekehrte Mensch wird vielmehr in dem Epheserbrief betrachtet als tot in den Sünden, und alles ist eine neue Schöpfung. Wir finden darin alle die Ratschlüsse Gottes, sowohl in Bezug auf die mit Christo auferstandenen Gläubigen, als auch in Bezug auf Christum selbst, auf die Kinder Gottes und unsere Einheit mit Christo, als Sein Leib.

Es wird gut sein, zu bemerken, daß, wie in den ersten drei Versen des achten Kapitels die Grundsätze der Befreiung dargestellt sind, so in den acht folgenden Versen der praktische Charakter und das Resultat der Befreiung beschrieben wird. Der Heilige Geist ist wirksam in dem neuen Leben, anstatt eines außerhalb stehenden Gesetzes, dem selbst das Fleisch einen unüberwindlichen Widerstand entgegen setzte. Der Geist versieht das neue Leben mit himmlischen Gegenständen, in welchen dasselbe seine Freude und Ernährung findet. „Die Gesinnung des Geistes ist Leben und Frieden.“ Dies alles ist abhängig von dem Wohnen des Heiligen Geistes in uns. „Wenn jemand den Geist Christi nicht hat, der ist nicht Sein.“ Wir haben schon gesagt, daß der Zustand eines solchen demjenigen des verlorenen Sohnes gleich sei, bevor derselbe seinen Vater gefunden hatte. Wenn dagegen der Geist des Christus in dem Bekehrten wohnt, so ist der Leib für ihn tot, der Sünde wegen, der Geist aber Leben, der Gerechtigkeit wegen. Wenn der Leib lebt kraft seines eigenen Lebens, so bringt er nichts als Sünde hervor; der geistliche Mensch hält ihn nach Kapitel 6 für tot.

Der Geist ist von dem neuen Leben nicht zu trennen. Er ist die Quelle des Lebens und charakterisiert dasselbe. Weil nun der Geist Dessen, der Jesum auferweckt hat, in uns wohnt, so wird Der, welcher Christum aus den Toten auferweckt hat, auch unsere sterblichen Leiber auferwecken wegen Seines in uns wohnenden Geistes. Das ist das gesegnete Ende des Lebens des Geistes in Christo Jesu, oder vielmehr der Anfang desselben in seiner wahren Vollkommenheit. Der Geist ist Gottes Geist. Gott hat Jesum, die menschliche Person, auferweckt; Jesus ist Sein persönlicher Name. Er lag aber nicht für sich unter den Toten; Christus ist Sein Name, als für andere gekommen. Wenn deshalb der Geist Gottes in uns wohnt, so wird Der, welcher Ihn, den Erstgeborenen, auferweckt hat, auch die erlösten Schafe auferwecken.

Dem Heiligen Geist werden hier drei charakteristische Namen beigelegt: Geist Gottes (V.9) im Gegensatz zum Fleische; Geist Christi, als die Bildungskraft des neuen Menschen, und Geist Dessen, der Christum aus den Toten auferweckt hat, weil Er das Unterpfand der Auferstehung in uns ist.

Der herrliche Zweck der befreienden Gnade ist erreicht. Die Umstände, welche uns umgeben, bleiben freilich dieselben, und unsere Stellung vor Gott in Verbindung mit diesen Umständen wird in den folgenden Versen des achten Kapitels dargestellt.

„So sind wir denn nicht Schuldner dem Fleische, um nach dem Fleische zu leben.“ (Vers 12) Dasselbe hat uns in einen üblen Zustand und in eine üble Stellung gebracht; auch sind wir nicht mehr im Fleische, sondern von demselben befreit durch die Erlösung; wir sind durch des Erlösers Tod in eine neue Stellung gebracht, wovon wir durch die Kraft des in uns wohnenden Heiligen Geistes auch das Bewusstsein haben. Die zwei Leben, die zwei Grundsätze stehen zu einander in schroffem Gegensatz, und es ist wichtig zu beachten (was schon im zweiten Kapitel als Grundsatz aufgestellt wurde), daß diese Naturen da, wo sie wirksam sind, ihre naturgemäßen Folgen hervorbringen. Ich kann das Fleisch durch den Geist überwinden. Ich habe das Recht und die Pflicht, es für tot zu halten. Aber wenn das Fleisch lebt, so bringt es den Tod hervor, und wenn ich nach dem Fleische lebe, so ist der Tod mein Los. Die Natur und die Wirkung dieser Natur - ihre Folge - ist immer dieselbe: Gott kann mir eine neue Natur geben, und - Sein Name sei dafür gepriesen! - Er gibt sie mir in Christo, und zwar in einer Weise, daß ich dadurch teil habe an der Errettung, und daß ich durch die Kraft des Geistes die alte Natur überwinden und nach dem Geiste wandeln kann. Aber die Natur des Fleisches ist nicht verändert, noch auch an und für sich die Folge derselben: wenn ich nach dem Fleische lebe, so muß ich sterben. Die Gnade erlöst, gibt mir ein neues Leben, worin ich nach dem Geiste wandle und das Fleisch für tot halte, und gibt mir endlich die Herrlichkeit. Dieses neue Leben aber lebt nicht nach dem Fleische, ja es kann nicht danach leben. Wenn ich nach dem Fleische lebe, so sterbe ich, entfernt von Gott; denn die Frucht und der Lohn des Lebens des Fleisches ist der Tod. Wenn ich aber durch den Geist die Handlungen des Leibes töte, so lebe ich und werde für immer leben mit Gott, von dem dieses Leben meiner Seele zufließt, und dessen Geist die Kraft und der Leiter dieses Lebens ist.

Dies gibt dem Apostel Anlass, von der Stellung derer zu reden, die durch den Geist Gottes geleitet werden, und zwar zunächst von ihrem Verhältnis zu Gott. Der Geist, den sie empfangen haben, ist der Geist der Kindschaft; sie besitzen Ihn, weil sie Kinder sind. Aus diesem Verhältnis aber entspringen ausgedehnte Segnungen: „wenn sie Kinder sind, so sind sie auch Erben - Erben Gottes und Miterben Christi.“ Indessen ist der Zustand der Kreatur, die uns hienieden umgibt, und in Sonderheit der Zustand unseres eigenen Leibes, noch nicht wiederhergestellt. Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott; gleicherweise ist auch die Freundschaft der Welt Feindschaft gegen Ihn. Die Grundsätze des Fleisches wie der Welt leisten uns Widerstand; beide sind der Knechtschaft des Verderbnisses unterworfen. Weil die Welt, welche wir zu durchpilgern haben, von Gott entfernt und unter der Herrschaft Satans ist, so gibt sie uns zahllose Quellen der Trauer und des Schmerzes. Der Herr war in dieser Welt „ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut.“ Eine Welt der Sünde, gegenüber Seiner Heiligkeit - eine Welt der Trauer und der Leiden, gegenüber Seiner Liebe - konnte für Sein Herz nur eine Quelle der Trauer und der Leiden sein. Er stand vereinzelt und allein in einer solchen Welt und wurde nicht einmal von Seinen Jüngern verstanden. Während Er voll von Mitgefühl war für alle, fand Er für sich nirgendwo Mitgefühl. Wenn ein solches je einmal die Finsternis des menschlichen Herzens durchbrach, so war dies etwas so Wunderbares, daß der Herr sagt: „Wo immer das Evangelium gepredigt werden wird in der ganzen Welt, da wird auch gesagt werden, was diese getan hat, zu ihrem Gedächtnis“ (Mk 14,9). Können wir, wenn wir den Geist Christi haben, durch dieselbe Welt gehen, ohne ihren Zustand zu fühlen? Sollten unsere Herzen nicht traurig sein, wenn wir auf Schritt und Tritt die Herrschaft der Sünde erblicken und täglich die Leiden des sündhaften Menschen vor Augen haben? Wenn wir sehen, daß alles der Knechtschaft des Verderbnisses unterworfen ist? Die Zeit wird kommen, wo unsere Augen die allgemeine Segnung der Welt sehen und wo wir uns mit Gott selbst darin erfreuen werden. Jetzt aber können wir, als solche, die im Herzen erneuert und befreit sind, nur leiden inmitten einer unbefreiten Schöpfung.

Beachten wir jedoch, daß dies ein Leiden ist mit Christo, nicht für Ihn. Die Leiden für Christum sind ein Vorrecht, eine besondere Gabe Gottes (Phil 1,29). Man kann kein Christ sein, ohne mit Christo zu leiden; denn wie könnte der Geist Christi eine Gesinnung in uns hervorrufen, verschieden von derjenigen, welche in Christo war, als Er diese arme Welt durchpilgerte? Die Herrlichkeit der Kinder Gottes ist ein Gegenstand der Hoffnung; jetzt werden die Leiden Christi in Schwachheit wieder hervorgebracht in einem Herzen, in welchem Christus wohnt. Wir leiden da, wo Christus gelitten hat, als Miterben des Reiches der Liebe, worin alles Freude und Wonne sein wird. Obwohl wir jetzt schon Kinder, oder vielmehr Söhne, und deshalb auch Erben sind, so besitzen wir doch die Erbschaft noch nicht, ja, wir können sie noch nicht besitzen, da dieselbe jetzt noch verdorben und verunreinigt und in diesem Zustand nicht passend ist für uns. Christus sitzt zur Rechten Gottes, bis Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt sind. Dann werden wir mit Ihm herrschen und Ihm gleich sein.

Deshalb konnte der Apostel, der wohl wusste, was Leiden sind, sagen: „Ich halte dafür, daß die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden wird.“ Wir besitzen das Verhältnis der Sohnschaft und haben auch das Bewusstsein dieses Verhältnisses und deshalb keine Furcht mehr. Wo Furcht ist, da ist die Kenntnis dieser Stellung nicht im Herzen. Der Geist in uns ruft: „Abba, Vater!“ und kann nichts anderes rufen, denn Er ist erst gekommen, nachdem alles das vollbracht war, was uns in dieses Verhältnis versetzt hat. Christus hat uns Seine eigene Stellung vor Gott gegeben. Nachdem Er alles vollbracht hatte, was erforderlich war, sowohl für die Herrlichkeit Gottes, als auch für unsere Erlösung, und zwar da, wo es für beides geschehen musste, nämlich in der Stellung der Sünde - „zur Sünde gemacht“ - ist Er als Mensch in den Himmel hinaufgestiegen. Ein Mensch ist in Ihm eingegangen in die Herrlichkeit Gottes, jenseits der Sünde, jenseits des Todes, jenseits der Macht Satans, jenseits des Gerichts Gottes über die Sünde, so daß Er den Jüngern durch Maria Magdalena die Botschaft senden konnte: „Sage meinen Brüdern: ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Darauf sandte Er den Heiligen Geist hernieder, als die gesegnete Folge dieses Hinaufsteigens des Menschen in den Himmel, nachdem Er alles zu unserer Erlösung vollbracht hatte. Dieser Geist wohnt in den Gläubigen, die dem Werte Seines Blutes vertrauen, so daß ihr Leib ein Tempel Gottes ist (1. Kor 6). Sie sind durch den Geist versiegelt und haben das Unterpfand des Erbteils, das Bewusstsein, Kinder Gottes zu sein. Er vergegenwärtigt Christum, der im Himmel ist, und läßt uns die unsichtbaren Dinge genießen. Er kann deshalb unmöglich ein Geist der Furcht oder der Knechtschaft sein.

Der Geist aber wirkt zweierlei in uns: Er lehrt uns die Herrlichkeit, die vor uns steht, würdigen, und gibt uns das Gefühl, daß die Leiden, in welche wir durch das Streben, diese Herrlichkeit zu erlangen, und durch die Treue für Christum gebracht werden - nicht wert sind, verglichen zu werden mit der Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll, so daß wir mit Ausdauer und getrostem Mut den Weg Gottes gehen können. Desgleichen nimmt Er sich auch unserer Schwachheit an, auf daß wir Gott gemäß teil nehmen an diesen Leiden und unser Herz durch den Geist das Gefäß des Mitgefühls ist, dem Herzen Christi entsprechend, indem wir durch unser Seufzen dem Seufzen der leidenden Kreatur zu Gott einen Ausdruck geben. Welch ein köstliche Stellung, auf diese Weise die Herrlichkeit und die Liebe Dessen, der in die Mitte der leidenden Schöpfung hernieder kam, verwirklichen zu können, so daß unsere Herzen, indem wir dem Leibe nach teil haben an der gefallenen Schöpfung, durch den Geist der Mund der ganzen Schöpfung sein und ihrem Seufzen zu Gott einen gottgemäßen Ausdruck geben können! Mit diesem Gefühl war das Herz Christi in völliger Liebe und in Vollkommenheit erfüllt. Weil Er, obgleich wahrhaftiger Mensch, persönlich durchaus frei war von der Sünde, die diese Leiden über die Schöpfung gebracht hatte, so war Sein Mitgefühl mit den Folgen der Sünde für uns umso vollkommener. „Er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat Er auf sich geladen“ (vgl. Mt 8,17). Als Er an der Gruft des Lazarus die Maria und alle die Juden weinen sah, seufzte Er tief im Geiste und erschütterte sich. [Die beiden an dieser Stelle in dem griechischen Urtext gebrauchten Wörter sind sehr starke Ausdrücke für eine innere Bewegung.] So ist es auch uns, obgleich wir als gefallene Menschen in Schwachheit und Unvollkommenheit sind, durch den in uns wohnenden Geist gegeben, teil zu nehmen an den Leiden der Kreatur, und zwar nicht in der Ungeduld der Selbstsucht, weil wir selbst leiden, sondern Gott gemäß. Die Darstellung, die uns der Apostel von dem Zustande der uns umgebenden Schöpfung gibt, wird diese Erfahrung klarer machen. Obgleich wir in dem Vorhergehenden schon verschiedene Punkte betrachtet haben, so können wir doch noch einmal mit dem 19.Verse beginnen.

Es ist schon gesagt worden, daß wir in der Welt zu leiden haben, weil alles in der Sünde liegt und in Unordnung ist, während wir zu Gott zurückgebracht sind; und ferner, daß wir auch im Herzen zu leiden haben, weil wir inmitten einer unbefreiten Schöpfung wohnen. Die Augen des Glaubens aber sind auf die vor uns liegende Herrlichkeit gerichtet, und sowohl diese erfreuliche Aussicht, als auch unsere Gemeinschaft mit Gott, die wir schon hienieden genießen, läßt uns fühlen, daß alles um uns her unversöhnt ist.

Diese Schöpfung erwartet ihre Erlösung; aber sie kann nicht eher befreit und wiederhergestellt werden, bis die Kinder Gottes in der Herrlichkeit des Reiches bereit sein werden, sie als Miterben Christi in Besitz zu nehmen. Christus sitzt zur Rechten Gottes, bis diese Miterben gesammelt sind. Es ist ein köstlicher Gedanke, daß, wie wir die irdische Schöpfung unter die Knechtschaft des Verderbnisses gebracht haben, sie auch jetzt auf unsere Verherrlichung warten muß, um wiederhergestellt und von dieser Knechtschaft befreit zu werden (V. 19).

Nicht der Wille der Kreatur hat sie dieser Knechtschaft unterworfen; wir haben es getan - aber auf Hoffnung; denn dieser Zustand wird nicht immer bleiben; die Schöpfung wird wiederhergestellt werden. Gott beginnt jedoch in den Ratschlüssen Seiner Gnade mit den Schuldigen, mit den am weitesten Entfernten - mit denen, an welchen Er in den kommenden Zeitaltern den überschwänglichen Reichtum Seiner Gnade in Güte gegen uns in Christo Jesu erweisen will (Eph 2,7; vergl. Kol 1,20+21). Die Kreatur könnte, weil sie nur physisch ist, nicht in die Freiheit der Gnade eintreten; sie muß die Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes erwarten. Wenn diese befreit sind und ihre Leiber, die zu der Kreatur gehören, umgewandelt und verherrlicht sein werden und wenn Satan gebunden ist, dann wird auch die Kreatur freigemacht werden von der Knechtschaft des Verderbnisses, in welcher sie gefangen liegt.

Denn wir wissen - wir, die wir in der christlichen Lehre unterrichtet sind - daß die ganze Kreatur zusammen seufzt und zusammen in Geburtswehen liegt bis jetzt. Wir wissen dies aber noch viel mehr, weil wir die Erstlinge des Geistes haben, und - „wir seufzen in uns selbst, erwartend die Sohnschaft: die Erlösung unseres Leibes.“ So harren wir darauf, das zu besitzen, was errettet ist in Hoffnung; nicht allein das ewige Leben, als Leben, zu besitzen - dieses haben wir schon - sondern verherrlicht zu werden, indem unser Leib, der zu der Kreatur gehört, umgewandelt wird und wir Christo, dem Herrn, gleich gestaltet werden, nach der Kraft, womit Er alle Dinge sich zu unterwerfen vermag (Phil 3,21).

Der Friede ist also gemacht, unsere Sünden sind hinweggetan, wir haben ein neues Leben, besitzen das Unterpfand des Geistes, die Herrlichkeit liegt vor uns in Hoffnung, und wir werden dem Herrn gleich sein. So lange wir jedoch diese Herrlichkeit noch nicht erreicht haben, seufzen wir mit der Kreatur. Denn indem wir unsere herrliche Hoffnung verwirklichen, fühlen wir, da wir durch unseren Leib mit der gefallenen Schöpfung verbunden sind, den traurigen Zustand der ganzen Schöpfung. Frei vor Gott, frei vom Gesetz der Sünde und des Todes, erfüllt mit der Hoffnung der Herrlichkeit, werden wir durch die Kenntnis dieser Herrlichkeit und der vollkommenen Befreiung der Kreatur zu einem Seufzen gebracht, welches die Stimme ihres Seufzens zu Gott ist. Unser Seufzen aber ist nicht eine Klage, eine Frucht der Unzufriedenheit, sondern die Wirkung des Heiligen Geistes im Herzen. Dieser Geist richtet unsere Blicke auf die Herrlichkeit, wo wir keinen Anlaß mehr zum Seufzen haben werden, und läßt uns nach der Liebe Gottes das Leid einer geknechteten Schöpfung fühlen; wir fühlen es mit, da wir mit unserem Leibe noch zu ihr gehören. Der Geist Gottes, der in uns wohnt, bildet diese Gefühle Gott gemäß. Gott erforscht das menschliche Herz, und in dem Herzen des befreiten Christen findet Er diese Wirkung des Geistes. Der Geist selbst ist da die Quelle des göttlichen Mitgefühls mit einer seufzenden Schöpfung (V.27).

Die Blicke des Christen werden durch den Heiligen Geist, der in ihnen wohnt, nach oben gerichtet, auf die Herrlichkeit und die Ruhe Gottes, wo alles Segnung ist. Er verwirklicht das, was vor ihm liegt, mit Freude. Da er aber noch im Leibe ist, so fühlt er um so mehr den Zustand der gefallenen Schöpfung, nimmt teil an ihrem Seufzen und macht sich dadurch zur Stimme der seufzenden Schöpfung vor Gott. Doch geschieht sein Seufzen im Geiste der Liebe, Gott gemäß, weil er in seinem Verhältnis zu Gott vollkommen frei ist. Hinsichtlich seines Zustandes ist er errettet in Hoffnung; vor Gott aber ist sein Herz frei, im Bewusstsein Seiner Liebe. Er kann sich freuen in Hoffnung, in der Hoffnung der Herrlichkeit; sein Gewissen ist vollkommen; die Liebe Gottes ist ausgegossen in sein Herz durch den Heiligen Geist. Und so kann er nach dieser Liebe an dem allgemeinen Elend, das ihn umgibt, teilnehmen. Er weiß zwar nicht, um was für ein Heilmittel er bitten soll; vielleicht gibt es keins. Aber die Liebe kann die Bedürfnisse ausdrücken und tut es nach der Wirkung des Geistes; und obgleich der Christ nicht weiß, um was er bitten soll, so findet doch Der, welcher die Herzen erforscht, in seinem Seufzen die Gesinnung des Geistes; denn der Geist ist es, der im Grunde des Herzens den Gefühlen des Bedürfnisses Ausdruck gibt. Dies ist umso mehr Mitgefühl, da wir selbst noch im Leibe sind und also in unserem eigenen Zustand einen Teil der seufzenden Schöpfung ausmachen und auf die Erlösung unseres Leibes warten.

Doch obgleich wir oft nicht wissen, um was wir bitten sollen, so gibt es doch etwas, was wir vollkommen gewiss wissen, nämlich, daß Gott alles zusammen wirken läßt zum Besten derer, die Ihn lieben, die Er nach Seinem Vorsatz berufen hat.

Welch ein Vorrecht ist uns durch die Gnade zu teil geworden, ein Vorrecht, das wir durch den Heiligen Geist genießen! Wir sind Kinder Gottes, kennen unser Verhältnis zu Gott und können es durch den Heiligen Geist verwirklichen; wir rufen „Abba, Vater!“, sind Kinder und deshalb Erben, „Erben Gottes und Miterben Christi.“ Der Geist offenbart uns unser Erbteil und läßt uns verstehen, was es ist: wir werden Christo gleich sein in der Ruhe Gottes und in Seiner eigenen Ruhe, vollkommen zur Ehre Christi, und werden mit Ihm herrschen über alles. Als Menschen auf der Erde richten wir unsere Blicke auf die Herrlichkeit Gottes, die unsere Hoffnung ist, und die wir mit Christo teilen werden, da, wo alles rein ist, der Reinheit Gottes gemäß. Im Blick auf diese niedrige Welt sind unsere Herzen von der Liebe Gottes erfüllt, in welcher wir an den Leiden der unbefreiten Schöpfung teilnehmen, und zwar Gott gemäß, so daß Der, welcher die Herzen erforscht, die Gesinnung des Geistes darin findet, welcher dieses Mitgefühl mit den Leiden der gefallenen Schöpfung in uns hervorbringt, auf daß wir durch unser Seufzen der Mund der Schöpfung vor Gott werden. Und weil wir aus Mangel an Erkenntnis nicht immer wissen, um was wir bitten sollen, so tröstet uns das Wort Gottes, indem es uns versichert, daß Gott nach Seinem eigenen Willen und nach Seiner eigenen Liebe alles zusammen wirken läßt zu unserem Besten.

Dieses führt den Apostel dahin, einige Worte über den Ratschluß Gottes zu sagen, obwohl dies nicht der Gegenstand des Briefes ist. Er spricht hier nur davon, um die Grundlage aller Segnungen zu zeigen. Sonst handelt der Brief, wie schon früher bemerkt, von der Verantwortlichkeit des Menschen, sowie von der Gnade und dem Werke Gottes, um uns von den Folgen dieser Verantwortlichkeit zu erretten.

Für die Berufenen ist Gott immer wirksam; denn Er hat sie zuvorerkannt, und die Er zuvorerkannt hat, die hat Er zuvor bestimmt, Seinem eigenen Sohn gleichförmig zu sein. „Welche Er aber zuvor bestimmt hat, diese hat Er auch berufen; und welche Er berufen hat, diese hat Er auch gerechtfertigt; welche Er aber gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht.“ Alles ist Gnade, und daher ist alles sicher. Deshalb beendigt Gott auch die Reihenfolge Seiner Gnadenerweisungen nicht eher, bis der Zweck erreicht ist: die Wirksamkeit der Gnade Gottes hört nicht eher auf, bis die Berufenen verherrlicht sind. Die ganze Lehre des Evangeliums führt uns auf Gott zurück und auf Seine Gedanken, die nicht fehlen und nicht verhindert werden können. Und da finden wir - Sein Name sei dafür gepriesen! - daß Gott für uns ist. Diese Lehre entwickelt hier der Apostel in Vers 31 - 39. Wir sehen den Beweis dafür, daß Gott für uns ist, zunächst in dem, was Er gibt, dann darin, daß Er uns rechtfertigt, und endlich darin, daß nichts uns von Seiner Liebe trennen kann. Dies ist die gesegnete Folgerung aus der ganzen Lehre des Briefes: „Gott ist für uns“, es ist die Quelle der Segnung; es ist die Folgerung des Herzens aus allem, was uns hier von Ihm geoffenbart wird. Nicht allein ist die Gerechtigkeit Gottes verherrlicht und befriedigt worden durch das Werk Christi, sondern wir sehen auch, daß die Liebe Gottes die Quelle von allem ist, und das verändert alle unsere Gedanken in Bezug auf Gott. Gerade in diesem Punkte war die Lehre der Reformatoren des sechzehnten Jahrhunderts mangelhaft. Ferne sei es von mir, den Wert dieser Männer herabsetzen zu wollen! Niemand könnte dankbarer sein für die Befreiung von dem Aberglauben, die uns durch die Reformation zu teil wurde, niemand den Glauben derer, die selbst ihr Leben um der Wahrheit willen aufgeopfert haben, höher schätzen, als ich es tue. Ich würde heute ja unmöglich über den Mangel ihrer Lehre ruhig schreiben können, wenn sie ihr Leben nicht freudig hingegeben hätten, um die Wahrheit aufrecht zu halten. Aber dennoch bleibt die Wahrheit in dem Worte Gottes immer dieselbe. Die Reformatoren lehrten zwar, daß Christus alles getan habe, was nötig war, um die Gerechtigkeit Gottes zu befriedigen, nicht aber, daß die Liebe Gottes das Lamm, Seinen eigenen Sohn, dahin gab, um das Werk zu vollbringen. Nach ihnen war Gott immer der Richter, wohl versöhnt mit uns durch das Werk Christi, nicht aber gekannt als Der, welcher uns lieb hatte, als wir noch Sünder waren. In Johannes 3,14 sagt der Herr: „Des Menschen Sohn muß erhöht werden;“ denn Gott ist ein heiliger und gerechter Gott. Dann aber folgt im 16.Verse die Ursache von allem: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn gegeben.“ Die praktische Folgerung aus der Lehre der Reformatoren war - ohne daß sie dies vielleicht gedacht oder gewollt haben - daß die Liebe in Christo ist und Gott auf dem Richterstuhl sitzt als ein kalter Richter.

Aber „die Gnade herrscht durch die Gerechtigkeit.“ (Römer 5,21) Am Tage des Gerichts wird die Gerechtigkeit herrschen. Die Liebe hat die Gerechtigkeit Gottes zu unsern Gunsten in Christo festgestellt. Die Gerechtigkeit war nötig - die Liebe hat sie verschafft.

Wir wissen also, daß Gott für uns ist nach Seiner unendlichen Liebe und nach Seiner ewigen und unveränderlichen Gerechtigkeit. Der erste Beweis dafür ist, daß Er Seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns hingegeben hat; „wie wird Er uns mit Ihm nicht auch alles schenken?“ Ja, wir können auf Ihn rechnen, daß Er uns alles Gute geben wird. Aber wie kann Er, der Heilige, für uns sein im Blick auf unsere Sünden? Gerade da haben wir gesehen, wie vollkommen Er für uns ist; denn Er hat ja eben für unsere Sünden Seinen Sohn gegeben. Wer wird wider die Auserwählten Gottes Anklage erheben? Gott selbst rechtfertigt uns - wer wird uns verdammen? Beachten wir, daß hier alles Gott zugeschrieben wird. Es heißt nicht: wir sind vor Gott gerechtfertigt, sondern: „Gott rechtfertigt;“ so daß der Apostel wohl ausrufen kann: wer wird verdammen, wer es auch sei?

Dann verändert er in etwa die Form des Satzes. Er muß an Christum denken, und da sieht er durch Ihn auch alle Schwierigkeiten des Weges verschwinden. Nicht als ob sie nicht vorhanden wären; sie sind da, aber sie verschwinden, weil Er selbst alle Schwierigkeiten durchgemacht hat. Mensch geworden in Seiner Liebe, hat Er alle die Prüfungen des Weges, alle menschlichen Schmerzen, alles, wodurch der Feind dem treuen Diener Gottes auf dem Wege der Heiligkeit, selbst bis zum Tode, Widerstand leistet, erfahren. Nicht allein also überwinden wir durch Seine bewährte Kraft, sondern wir machen auch die Erfahrung Seiner Liebe in besonderer Weise. Die Leiden sind das Unterpfand einer besseren Herrlichkeit. Und weil Er als Mensch alles erfahren hat, so hat Er dadurch Seine unendliche Liebe als Gott erwiesen, und wir wissen, daß von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, uns nichts trennen kann.

In jeder Beziehung ist Gott für uns. Köstliche Wahrheit! Er hat Seinen eigenen Sohn gegeben - Er wird alles geben. Er selbst rechtfertigt uns - wer wird verdammen? Und von der Liebe, die sich also erwiesen hat, kann nichts uns trennen. Alles, was auf dem Wege zur Herrlichkeit wider uns ist, kann, als Kreatur, nicht größer sein, als Er, der Herr über alles ist. Gott ist für uns in Christo, in Dem, welcher alles überwunden hat. Nicht allein ist der Weg, auf dem Er gewandelt hat - als Mensch, um leiden zu können, und als Gott, um alle Liebe in den Leiden zu offenbaren - der Beweis Seiner Liebe, sondern, indem wir Ihm auf diesem Wege folgen, machen wir auch die Erfahrung Seiner Liebe. Nichts kann uns von dieser Liebe trennen.

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