Betrachtung über das Buch der Richter (Synopsis)

Kapitel 6

Betrachtung über das Buch der Richter (Synopsis)

Wiederum taten die Kinder Israel, was böse war in den Augen des HERRN, und Er gab sie in die Hand Midians. Und die Kinder Israel schrieen wieder zu dem HERRN. Gott offenbart dem Gewissen des Volkes die Ursache ihrer Bedrängnis. Dies war wahrhaftig eine Antwort, für den Augenblick aber ließ Er sie, wie sie waren. Er wirkte nicht in ihrer Mitte, indem Er sie sofort befreite, sondern Er wirkte für sie in dem Werkzeug, das Er erwählt hatte, um ihre Errettung zu bewirken. Gott verherrlichte sich in Gideon, aber die Zusammenfassung dieses Werkes in einem Mann zeigt, dass sich das Volk in einem niedrigeren Zustand befand als zuvor. Dennoch wählt Gott unter diesen demütigenden Umständen Mittel, die seine Herrlichkeit in jeder Weise entfalten. Da, wo Er wirkt, ist Kraft und auch Glaube, der dieser Kraft gemäß auf seinem eigenen Gebiet handelt.

Wir wollen die Geschichte Gideons ein wenig betrachten und auch die Wesenszüge des Werkes des Geistes in dieser Errettung und in dem Glauben dessen, den Er erweckt hatte. Es ist augenscheinlich, dass viele Gedanken in ihm aufkommen, viele ernste Überlegungen, ehe der Engel zu Gideon redete. Es war aber der Besuch des Engels, der ihn veranlasste, den Gedanken, die sein Herz beschäftigten, Gestalt und Ausdruck zu verleihen. Gideon litt mit den übrigen unter der Bedrängnis durch die Feinde Gottes; das führte ihn aber dazu, an Gott zu denken, anstatt sich dazu zu entschließen, die Knechtschaft als ein notwendiges Übel zu erdulden. Der Engel spricht zu ihm: „Der HERR ist mit dir, du tapferer Held!“

Das, womit sich die Gedanken Gideons befasst hatten, wurde jetzt kundgetan. Es war nicht seine eigene Lage, sondern die Beziehungen zwischen dem HERRN und Israel 1. Er sagte: „Wenn der HERR mit uns ist, warum hat denn dieses alles uns betroffen? Und wo sind alle seine Wunder, die unsere Väter uns erzählt haben, indem sie sprachen: Hat der HERR uns nicht aus Ägypten heraufgeführt? Und nun hat der HERR uns verlassen und uns in die Hand Midians gegeben.“

Der Glaube war wohl die Quelle all dieser Erwägungen und Gedankenübungen. Der HERR hatte alle diese Wunder gewirkt. Er hatte das Volk aus Ägypten heraufgeführt. Wenn der HERR mit Israel war, wenn seine Beziehung zu seinem Volk solcherart war, warum befanden sie sich in solch einem traurigen Zustand? (Wie wäre doch diese Erwägung auf die Versammlung anwendbar!)

Gideon gibt auch zu, dass es der HERR war, der sie in die Hände der Midianiter gegeben hatte. Wie erhebt der Gedanke an Gott die Seele über die Leiden, die man erduldet! Während man an Ihn denkt, erkennt man gerade in diesen Leiden die Hand und den ganzen Charakter Dessen, der sie geschickt hat. Das war es, was diesen armen Israeliten emporhob, der unter dem Gewicht des Bedrängnisses litt. „Der HERR wandte sich zu ihm und sprach: Gehe hin in dieser deiner Kraft und rette Israel aus der Hand Midians!“ Der Besuch und der Befehl des HERRN verliehen dem, was vordem nur eine Herzensübung war, ihre Gestalt und ihre Kraft.

Jedenfalls war es diese Herzensübung, die ihm Kraft gab, denn es war die innere Verbindung des Glaubens mit allem, was der HERR seinem bedrängten Volk war, und zwar im Bewusstsein der zwischen ihnen bestehenden Beziehung.

Jetzt wollen wir die Entwicklung dieses Glaubens betrachten und sehen, wie er für die Errettung des Volkes Gottes gebraucht wurde. Gideon fühlt zuerst, wie gering er ist, welcherart die Beziehung zwischen dem HERRN und dem Volk auch sei (Kap. 6, 15). Die Antwort des HERRN zeigt ihm das einzige einfache Mittel: „ich werde mit dir sein.“ Kostbare Herablassung! Süße und mächtige Ermutigung für die Seele! Der Glaube Gideons war schwach. Der gegenwärtige Zustand des Volkes neigte durch seine Dauer dazu, die Erinnerung an die Wunder auszulöschen, die der HERR vollbracht hatte, als sie aus Ägypten herauskamen, und ihr Bewusstsein von seiner Anwesenheit zu schwächen. Der Engel des HERRN lässt sich herab und bleibt noch, um seinen Glauben zu stärken.

Gideon, der ihn angeredet hatte mit einem heimlichen Ahnen, dass es der HERR war, weiß jetzt tatsächlich, dass er den Engel des HERRN, Elohims, von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Es war eine wirkliche Offenbarung, die genügte, ihn an sich zu vernichten, was auch der Fall war; sie war aber auch dazu angetan, ihn in seinem Wandel unter den anderen mächtig zu stärken, die den HERRN in derselben Weise nicht gekannt hatten. Obwohl nicht mit ähnlichen Gesichten, so geht es doch immer so, wenn Gott ein besonderes Werkzeug für die Errettung seines Volkes erweckt.

Der HERR hatte sich kundgemacht, und jetzt versichert Er Gideon erneut: „Friede dir! Fürchte dich nicht, du wirst nicht sterben.“

Ein Mensch, der durch die Gegenwart Gottes gedemütigt ist, erhält Kraft von Gott, wenn diese Gegenwart zum Segen ist. Gideon erkennt dieses und erfasst es für sich: Der HERR ist mit ihm in Frieden und Segen. Das Wort Schalom, das mit „Friede dir“ verdolmetscht wird, ist dasselbe, das im Namen des Altars gebraucht wird.

Wenn Gott mächtig auf das Herz einwirkt, so zeigt sich die erste Wirkung stets in Verbindung mit Ihm. Die Gedanken Gideons befassen sich mit dem HERRN, sie taten es auch vor dieser Offenbarung. Indem er mit dem HERRN beschäftigt ist, geschieht es durch Anbetung, dass er seine Empfindungen ausdrückt 2, wenn er von dem HERRN eine Antwort auf alle seine Gedanken erhält 3. Er errichtet dem Gott des Friedens einen Altar. Auf diese Weise wird die Beziehung des Friedens zwischen Gott und seinem Knecht festgesetzt; alles dieses vollzieht sich zwischen Gott und Gideon.

Jetzt kommt sein öffentlicher Dienst, der sich auch dadurch erfüllt, dass er zuallererst in seiner eigenen Familie und in seiner eigenen Stadt die Beziehungen zwischen Gott und seinem Volk wiederherstellt. Israel muss den Baal hinwegtun, bevor Gott die Midianiter vertreiben kann.

Wie konnte Er das tun, während die Segnung dem Baal zugeschrieben werden könnte? Deshalb wird Gideon befohlen, ein auffallendes Zeugnis abzugeben, das die Aufmerksamkeit des ganzen Volkes auf die Notwendigkeit, den Baal hinauszutun, lenkt, damit Gott eingreifen kann.

Innere Treue geht äußerer Kraft voraus: das Böse muss aus Israel hinweggetan werden, bevor der Feind vertrieben werden kann. Zuerst Gehorsam, dann Kraft: dies ist die Reihenfolge Gottes. Wenn die Macht Satans im Aberglauben (unter welcher Form er sich äußerlich erweisen mag) verachtet wird, ist er vernichtet, allerdings unter der Voraussetzung, dass Gott mit demjenigen ist, der ihn verschmäht, und dass er auf dem Pfad des Gehorsams wandelt.

Gideon riss den Baal um; und auf den Zorn des durch den Aberglauben furchtsam gewordenen Volkes antwortete sogar der, dem der Altar gehörte: Was kann dieser Gott tun? Er kann nicht für sich selbst rechten. Die Macht Gottes wirkte auf ihre Gedanken, denn es war Glauben vorhanden. Der Widerstand des Feindes hörte aber deswegen nicht auf. Es gibt nichts so Verächtliches wie ein verschmähter Gott. Wenn aber Satan nicht unter den Menschen ein Gott sein kann, so ist er nicht am Ende seiner Hilfsquellen: er wird sie zu offener Feindseligkeit wider die reizen, die seine Altäre umwerfen. Wenn wir aber auf Gottes Seite stehen, so wird das nur bewirken, dass er dadurch in die Gegenwart der Macht Gottes gestellt wird, und dass uns Sieg, Befreiung und Frieden gegeben werden.

Die Midianiter ziehen gegen Israel hinauf. Alles ist für das Eingreifen des Herrn bereit. Der Geist des HERRN kommt über Gideon. Dies ist eine neue Phase in der Geschichte: nicht nur Treue, sondern Kraft. Gideon stößt in die Posaune, und die, die ihn vor kurzem getötet hätten, schließen sich seinem Zug an. Er sendet Boten zu seinem ganzen Stamme. Sebulon, Aser und Naphtali ziehen auch herauf. Die Macht des Geistes, die die Sinne der Menschen lenkt, ist mit dem Glauben, der Gott anerkennt, der Ihn in seinen Beziehungen zu seinem Volk anerkennt, und der treu das Böse hinwegtut, das mit diesen Beziehungen unvereinbar ist.

Gott gibt noch einen Beweis seiner großen Herablassung, indem Er ein Zeichen gewährt, um den schwachen, aber echten und aufrichtigen Glauben Gideons zu stärken, der empfindet, während er seine Bitte wiederholt (V. 39), dass Gott ihn wegen seines Mangels an Glauben wohl züchtigen könnte. Trotzdem gewährt der Herr seine Bitte.

Fußnoten

  • 1 Es war nicht die Höhe der Verheißungen an Abraham, sondern die Erweisung der erlösenden Macht in dem HERRN zugunsten Israels - ähnlich wie Mose, zu dem der HERR gesagt hatte: „dein Volk“, der aber immer sagte: „Dein Volk“. So kann sich Gideon nicht von ganz Israel - vom Volk Gottes - absondern. „Der HERR ist mit dir“, sagte der Engel. Gideon fragt: „Wenn der HERR mit uns ist, warum hat denn alles dieses uns betroffen?“ Dies ist aber ein sehr wichtiger Grundsatz des Glaubens und seiner Betätigung. Merkt euch auch, dass das, was sich im Herzen des Glaubens regte, der Boden war, den der HERR im Zeugnis einnahm (V. 8); nur wurde die Bezichtigung des Ungehorsams hinzugefügt.
  • 2 Wir bemerken ein ähnliches Empfinden bei Elieser (1. Mo 24,27). Es ist sehr interessant, sich die verschiedenen Umstände zu merken, unter denen dem HERRN Altäre errichtet wurden. Ich werde einige Schriftstellen nennen. 1. Mo 8,20; 12,7; vergleiche 1. Mo 13,4; siehe 1. Mo 21,33; 22,9; 26,25; 33,20; 35,7. Wir können uns auch merken: 2. Mo 24,4; Jos 8,30; und hier Richter 6. Es scheint sogar, dass Gideon zwei Altäre errichtet hat: den einen für sich in Anbetung, und den anderen nach Befehl zum Zeugnis. 1. Sam 7,17; 14,35; 1. Kön 18,32. Wir können noch 2. Sam 24,25 und Esra 3,2 hinzufügen.
  • 3 Es ist lehrreich, sich hier den Unterschied zwischen den Herzensübungen zu merken, die das Ergebnis des Glaubens sind, und der Antwort Gottes auf die Nöte und Schwierigkeiten, die diese Herzensübungen verursachen. In Vers 13 haben wir den Ausdruck dieser Herzensübungen in einer Seele, die sich unter dem Druck derselben Bedrängnis befindet wie ihre Brüder, die es aber so sehr empfindet, weil ihr Glaube an den Herrn echt ist. Dann haben wir die Antwort, die Frieden erzeugt, und mit dem Frieden auch Anbetung. Es ist dasselbe, wie, nachdem Er den Tod erlitten hatte, der auferstandene Jesus sich Seinen Jüngern mit denselben Worten offenbarte, die Gott hier gebraucht, und die Grundlagen der in Anbetung versammelten Kirche festlegt. In Lukas 7 finden wir dasselbe Erlebnis bei der Frau, die eine Sünderin war. Sie glaubte an die Person Jesu. Durch seine Gnade war Er ihr ein und alles geworden; sie wusste aber noch nicht, dass so eine wie sie es war, Vergebung empfangen hatte und errettet war und in Frieden gehen durfte. Diese Gewissheit war die auf ihren Glauben gegebene Antwort. Jetzt ist diese Antwort das, was das Evangelium jedem Gläubigen verkündet. Der Heilige Geist verkündigt Jesus. Das erzeugt eine Überführung von der Sünde. Die Erkenntnis Gottes in Christus und die Erkenntnis unser selbst bricht uns zusammen (denn Sünde ist da, und wir sind in Knechtschaft, unter die Sünde verkauft); das erzeugt aber Kampf, vielleicht Pein. Oft kämpft die Seele gegen die Sünde an, kann sie aber nicht überwinden; sie kommt nicht über einen bestimmten Punkt hinaus (der größte Teil der Predigten, von denen sie Licht erwartet, reichen nicht weiter); das Evangelium verkündigt aber Gottes eigene Hilfsquellen, um sie aus diesem Zustand herauszuretten. „Friede dir“, „deine Sünden sind vergeben“. „Dein Glaube“ (denn sie hatte Glauben), sagte Christus zu dieser armen sündigen Frau, „hat dich errettet.“ Das war, was sie noch nicht wusste. Vergleiche Apostelgeschichte 2,37.38.
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel