Der zweite Brief an die Korinther

Kapitel 8-9

Der zweite Brief an die Korinther

Mit diesen beiden Kapiteln unterbricht der Apostel seinen bisherigen Gegenstand, um die Korinther zu ermuntern, für die Heiligen in Judäa eine Liebesgabe bereit zu machen. Es ist schön zu sehen, welch ein warmes Interesse sein Herz an dieser Sache nimmt, wie er alles sagt, was zur Bereitwilligkeit und Freigebigkeit reizen kann. In einer besondern Zuneigung war er den Heiligen in Judäa verbunden, denn diese waren aus seinem Volk, und mit inniger Liebe hing er an der Versammlung zu Korinth, die er sehnlichst in allen guten Werken reich zu sehen wünschte. Ohnedies aber ist es stets eine köstliche und gesegnete Sache, „an den Bedürfnissen der Heiligen teilzunehmen“ (Römer 12, 13). Der Apostel ermahnt an einer andern Stelle die Gläubigen: „Des Wohltuns aber und Mitteilens vergesst nicht, denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen“ (Heb 13, 16). Und deshalb verdienen sicher die Ermahnungen und Ermunterungen des Apostels in den beiden vorliegenden Kapiteln zu jeder Zeit Beherzigung.

Zuerst teilt er nun den Korinthern mit, dass die Gnade Gottes die Versammlungen in Mazedonien zu einer großen Mildtätigkeit bereit gemacht habe (Vers 1), um sie selbst dadurch zur Nachahmung zu reizen. In der Tat waren diese Versammlungen ein würdiges Vorbild in diesem Werk; denn sie befanden sich weder in äußerer Ruhe, noch konnten sie von ihrem Überfluss geben; sondern „bei großer Drangsalsprüfung“, sagt der Apostel, „ist die Überströmung ihrer Freude“, die inmitten jener Drangsale ihr Herz erfüllte, „und ihre tiefe Armut übergeströmt in den Reichtum ihrer Freigebigkeit. Denn nach Vermögen, ich bezeuge es, und über Vermögen waren sie aus eigenem Antrieb willig, indem sie mit vielem Zureden uns um die Gnade und die Gemeinschaft des Dienstes für die Heiligen baten“ (Verse 2–4). Nichts fehlte, um diese Gabe als ein angenehmes und Gott wohlgefälliges Opfer zu stempeln. Jene Versammlungen erkannten die Verwendung der irdischen Gaben für die Bedürfnisse der Heiligen als deren schönsten und höchsten Zweck, und sie taten es aus eigenem Antrieb und zugleich mit der größten Bereitwilligkeit und Aufopferung, und sie erkannten es sogar als eine Gnade, wenn ihre Gabe der Annahme gewürdigt wurde. Noch mehr! Der Apostel fügt hinzu: „Und nicht, wie wir hofften, sondern sie gaben sich selbst zuerst dem Herrn und uns durch Gottes Willen“ (Vers 5), und darnach hatten sie ihre Gabe gespendet. Ihre völlige Übergabe an den Herrn und Seine Apostel machte sie wahrhaft fähig, darnach auch alles, was sie besaßen, für den Herrn und Seinen Dienst zu verwenden. Dieselbe Bereitwilligkeit hoffte Paulus jetzt auch bei den Korinthern zu finden; zu solcher Hoffnung ermutigte ihn ihre Rückkehr zum Herrn und ihre Demütigung und Unterwürfigkeit unter das Wort des Apostels. Deshalb spricht er dem Titus zu, der schon früher angefangen hatte, jetzt, bei Überbringung dieses Briefes, auch unter ihnen diese Gabe bereit zu machen (Vers 6). Sehr gern erkennt der Apostel alles an, was die Gnade Gottes schon unter den Korinthern gewirkt hatte, und benutzt die Erinnerung daran, auch diese Gnade, der armen Heiligen in Judäa zu gedenken, unter ihnen zu verwirklichen. „Aber so wie ihr in allem überströmend seid: in Glauben und Wort und Erkenntnis und allem Fleiß, und in eurer Liebe zu uns, dass ihr auch in dieser Gnade überströmend sein mögt“ (Vers 7). Es ist das Wohlgefallen des Herrn und das stete Bemühen des Geistes, die Heiligen in allen guten Werken „überströmend“ zu machen.

Der Apostel handelte aber nicht in befehlender Weise in dieser Sache, sondern angetrieben wegen des Fleißes der andern, und indem er die Echtheit ihrer Liebe prüfte (Vers 8). Zugleich weist er auf Christus selbst hin, auf die höchste und herrlichste aller Gaben, die uns je gegeben worden ist und je gegeben werden kann. „Denn ihr kennt“, sagt er, „die Gnade unsers Herrn Jesus Christus, dass Er, da Er reich war, um euretwillen arm wurde, damit ihr durch Seine Armut reich würdet“ (Vers 9). Er gab sich selbst und alles, was Sein war, dahin, damit wir, die nichts hatten, Seines Reichtums teilhaftig würden. Er kam auf diese arme Erde, wurde ein Knecht in Knechtsgestalt und machte sich selbst zu nichts, damit wir in Seine himmlische Herrlichkeit eingeführt werden konnten (Phil 2). Welch eine Liebe! Wie sehr sind wir, die Teilhaber dieser Liebe, deren Schuldner geworden! Was wir mitzuteilen haben, haben wir zuvor selbst von Ihm empfangen, und doch ist jede Gabe, die wir in Seinem Namen den Heiligen spenden, ein angenehmes Opfer vor Ihm und soll nicht unbelohnt bleiben. Könnten wir nun wohl je einen würdigeren und nützlicheren Gebrauch von den irdischen Gütern machen?

Die Korinther waren schon früher nicht allein bereit gewesen, etwas für die bedürftigen Heiligen in Jerusalem zusammenzulegen, sondern hatten mit der Sammlung schon begonnen; und jetzt ermuntert sie der Apostel, ihre Bereitwilligkeit durch die Tat zu vollenden, damit es offenbar werde, dass nicht nur das Wollen, sondern auch das Vollbringen bei ihnen sei (Verse 10–11). „Denn wenn die Geneigtheit da ist, so ist einer annehmlich“, sagt er, „nach dem er hat, und nicht nach dem er nicht hat“ (Vers 12). Dies ist wohl zu beachten; denn mancher versäumt über dem Seufzen seiner Unfähigkeit, viel geben zu können, die kleine Gabe darzureichen! Gott sieht nicht die Größe der Gabe, sondern das Herz des Gebers an. Auch dachte der Apostel nicht daran, dass andere im Besitz reicher Gaben Ruhe haben, und die Korinther Mangel leiden sollten, indem sie alles hingegeben hatten, sondern es sollte auf dem Grundsatz der Gleichheit sein, dass „in der jetzigen Zeit euer Überfluss diene für den Mangel jener, damit auch jener Überfluss für euern Mangel diene, damit Gleichheit werde“ (Vers 14). Auf diese Weise wurde die gesegnete Einheit der Familie Gottes ans Licht gestellt, wo der Überfluss des einen den Mangel des andern deckt, und also die Bedürfnisse aller gestillt werden; wie geschrieben steht: „Wer viel sammelte, hatte nicht Überfluss, und der wenig sammelte, hatte nicht Mangel“ (Vers 15). So hatte es der Herr bei Israel in der Wüste geordnet, und so soll es jetzt grundsätzlich in der Familie Gottes sein. Dann wird sich die lieblichste Harmonie unter den Kindern Gottes offenbaren, und Gott wird verherrlicht und gepriesen werden.

Paulus dankt nun Gott, dass er so großen Eifer für die Korinther in das Herz des Titus gelegt habe. Dieser, durch seinen ersten Besuch in Korinth befriedigt und ermuntert, nahm mit großer Bereitwilligkeit das Zureden des Apostels an, zum zweiten Male zu ihnen zu gehen, um diese Sache aufs neue unter ihnen anzuregen und völlig in Ordnung zu bringen (Verse 16–17). Er sollte aber nicht allein kommen; zwei andere Brüder sollten ihm zugesellt werden, die beide ein gutes Zeugnis hatten, was der Apostel hier mit besonderem Nachdruck hervorhebt. Von erstem sagt er: „dessen Lob im Evangelium durch alle Versammlungen verbreitet ist.“ Sein treuer Dienst am Evangelium war vor allen offenbar geworden. „Und nicht allein das“, fügt er hinzu, „sondern er ist auch von den Versammlungen gewählt worden zu unserm Reisegefährten mit dieser Gnade, die von uns bedient wird zur Herrlichkeit des Herrn selbst und als Beweis unserer Geneigtheit“ (Verse 18–19). Sowohl die Ehre des Herrn, als auch die bereitwillige Teilnahme der Heiligen an den Bedürfnissen ihrer Mitbrüder wurde dadurch an den Tag gelegt. Wir sehen aber zugleich, wie sehr der Apostel bemüht war, jeden Anstoß in Betreff dieser Sache zu vermeiden. Er wollte nicht allein nach Jerusalem reisen; er wollte, dass auch andere an der Besorgung dieser reichen Gabe teilnehmen sollten, und zwar solche, die vielen bekannt waren und ein gutes Zeugnis hatten, damit in keinem Herzen Anlass zu irgend einem Argwohn gegeben würde. „Denn wir sind vorsorglich für das“, sagt er, „was ehrbar ist, nicht allein vor dem Herrn, sondern auch vor den Menschen“ (Vers 21). Eine wichtige Belehrung für uns! Es gibt viele Dinge, bei denen es nicht genug ist, vor dem Herrn überzeugt zu sein, treu und gewissenhaft gehandelt zu haben, sondern auch mit Eifer Sorge zu tragen, vor den Menschen ehrbar dazustehen, allen bösen Schein zu vermeiden, damit nicht der Name des Herrn verlästert werde.

Der andere Bruder, der Titus begleiten sollte, war oft in vielen Stücken als fleißig erprobt und durch große Zuversicht zu den Korinthern zu noch größerem Fleiß angespornt worden (Vers 22). „Sei es was Titus betrifft, er ist mein Genosse und Mitarbeiter bei euch, seien es unsere Brüder, sie sind Gesandte der Versammlungen, die Herrlichkeit des Christus“ (Vers 23). Der Gedanke an den köstlichen Dienst jener Arbeiter im Werk des Herrn, sowie an die herrliche und erhabene Stellung der Versammlung als der Herrlichkeit des Christus, sollte die Korinther leiten, diese Brüder mit Ehrerbietung zu empfangen und vor den Versammlungen, durch große Bereitwilligkeit zur Mitteilung, den Beweis ihrer Liebe zu geben und das Rühmen des Apostels über sie zu bewahrheiten.

Es könnte hier noch bemerkt werden, dass die Besorgung dieser Kollekte die Veranlassung zu alledem wurde, was dem Apostel später in Jerusalem begegnen sollte. Sie machte seinem äußern Dienst ein Ende, verhinderte seinen Weg nach Spanien und vielleicht auch nach andern Orten; aber auf der andern Seite gab sie Gelegenheit, den Brief an die Epheser, Philipper, Kolosser, an Philemon und vielleicht auch an die Hebräer zu schreiben. O, wie wenig erkennen wir die Tragweite der Führungen, durch welche wir hienieden zu gehen haben. Doch wie glücklich ist es, zu wissen, dass wir durch Den geleitet werden, Der den Ausgang jedes Weges kennt, und welcher macht, dass alle Dinge den Gott Liebenden zum Guten mitwirken (Röm 8, 28).

Kapitel 9

Noch einmal gibt hier der Apostel von der Bereitwilligkeit der Korinther Zeugnis und benutzt dasselbe, sie jetzt zu einer umso größeren Freigebigkeit zu ermuntern. Er hatte dieselbe schon früher bei den Mazedoniern gerühmt und dadurch viele zur eifrigen Nachahmung gereizt (Verse 1–2). Jetzt sendet er die Brüder voraus, um alles vorzubereiten, damit nicht, wenn er mit den Mazedoniern zu ihnen komme, sein Ruhm über sie zunichte gemacht würde, oder sie selbst in Betreff der an ihnen gepriesenen Freigebigkeit beschämt daständen. Der von ihnen im Voraus angekündigte Segen konnte dann wirklich als ein Segen zum Lob und zur Verherrlichung Gottes ausschlagen, und nicht als ein Zeugnis ihres Geizes (Verse 3–5). Zudem steht es aber auch unumstößlich fest: „Wer sparsam sät, wird auch sparsam ernten, und wer segensreich sät, wird auch segensreich ernten“ (Vers 6). So ist es im Natürlichen, so ist es auch im Geistlichen. Hier ist die Zeit der Aussaat, dort die Ernte, und wir haben das gesegnete Vorrecht, das Irdische so verwenden zu können, dass wir droben das Himmlische dafür ernten. Was werden aber jene ernten, welche die irdischen Güter für sich benutzt haben, um sich die Wüste zu versüßen, das Leben hienieden bequem und angenehm zu machen und die Fremdlingschaft zu vergessen? Ach, das Wort selbst gibt eine ernste und feierliche Antwort: „Wer für sein eigenes Fleisch sät, wird von dem Fleisch Verderben ernten“ (Gal 6, 8). „Ein jeder“, fährt der Apostel in Betreff des Mitteilens fort, „wie er sich in seinem Herzen vorsetzt, nicht mit Verdruss oder aus Zwang“, nicht weil er dazu genötigt wird, oder mit einem unzufriedenen, murrenden Herzen, nicht um dem Urteil der Menschen zu entgehen, oder aus bloßem Pflichtgefühl, um sein Gewissen zu beruhigen, sondern in glücklicher Freiheit des Herzens; „denn einen fröhlichen Geber bat Gott lieb“ (Vers 7).

Zum Schluss empfiehlt der Apostel die Korinther der reichen Güte Gottes: „Gott aber ist mächtig, jede Gnade gegen euch überströmen zu lassen, damit ihr in allem, allezeit alle Genüge habend, überströmend seid zu jedem guten Werk“ (Vers 8). Gott gibt nicht kärglich; auch fehlt es Ihm weder an Liebe, noch an Macht, um die Seinigen mit der Fülle Seiner Segnungen zu überschütten. Er kann sie in Umstände versetzen, um ihre guten Werke zu vervielfältigen und sie selbst zu aller Freigebigkeit reich zu machen. Nur da, wo der Unglaube im Herzen wirkt, blickt man auf sich, berechnet den Verlust und befürchtet den eigenen Mangel; aber der Glaube ruht auf Gott und nimmt aus Seiner reichen, nie sich vermindernden Schatzkammer allerlei Gaben und teilt aus mit fröhlichem und dankbarem Herzen. Wandelnd in den Fußstapfen des Christus, handelt der Glaubende gottgemäß; denn von Ihm steht geschrieben: „Er hat ausgestreut, Er hat den Armen gegeben. Seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit“ (Vers 9, Psalm 112, 9). Er, der den Samen darreicht dem Sämann und das Gedeihen der Frucht, d. h. Brot zur Speise gibt, gewährt auch den Samen für jene, die im Glauben säen, vermehrt ihn sogar und vervielfältigt den Ertrag ihrer Gerechtigkeit, die Frucht ihrer praktischen Gerechtigkeit oder ihrer guten Werke, indem sie von Ihm auf alle Weise zu aller Freigebigkeit reich gemacht worden sind (Verse 10–11). Ach, wie arm und eng erscheint das menschliche Herz im Blick auf die unerschöpfliche Quelle, diese Fülle der Reichtümer Gottes, die der Apostel hier dem Auge des Glaubens eröffnet! Und Gott will uns zu Spendern Seiner Segnungen machen. Seine Liebe ladet uns ein, zu nehmen und auszuteilen; und je mehr wir zu empfangen und mitzuteilen verstehen, desto mehr will Er darreichen! Welch ein gesegnetes Vorrecht! O, möchten wir es doch besser zu würdigen verstehen!

Durch jene Bereitwilligkeit und Freigebigkeit betreffs der irdischen Güter wurden aber noch andere gesegnete Früchte hervorgebracht: „welche durch uns“, d. h. durch das Mittel des apostolischen Dienstes in dieser Sache, „Gott Danksagung bewirkt. Denn die Bedienung dieses Dienstes ist nicht nur eine Erfüllung des Mangels der Heiligen, sondern ist auch überströmend durch viele Danksagungen gegen Gott“ (Verse11–12). Die gesegnete Wirkung ihrer praktischen Liebe, ausgeübt im Namen Jesu, ersetzte nicht nur den Mangel der Heiligen in Judäa, sondern erfüllte auch deren Herzen mit Lob und Dank gegen Gott, indem sie sahen, dass ihre Wohltäter dahin gebracht waren, den Namen des Christus zu bekennen und ihr Bekenntnis mit Unterwürfigkeit des Herzens unter Sein Evangelium in einer tätigen Liebe und Freigebigkeit an den Tag zu legen (Vers 13). Und dieser Gedanke erweckte zugleich in ihnen das herzliche Verlangen, jene zu sehen und für sie zu beten, jene, die mit so aufopfernder Liebe für ihre Bedürfnisse Fürsorge trugen und an denen sich die überschwängliche Gnade Gottes so reichlich erwiesen hatte (Vers 14). Auf diese Weise wurde das Band der innigen Liebe auf beiden Seiten befestigt und Gott alle Ehre gegeben. Die, welche mitteilten, taten es um des Herrn willen und verherrlichten Seinen Namen, und die, welche empfingen, erkannten darin des Herrn Güte und Gnadenwirkungen und strömten gegen Ihn über in Lob und Dank. Welch eine Fülle von Segnungen entspringt aus den an und für sich so wertlosen, vergänglichen Dingen, wenn sie als Gottes Gaben betrachtet und zu Seiner Verherrlichung benutzt werden! Und es handelt sich dabei, wie wir gesehen haben, nicht um die Größe der Gaben, sondern um das Herz des Gebers. Gesegnet alle, die Glauben und Liebe genug haben, hierin gottgemäß zu handeln! Was aber auch immer die ganze Frucht der Gnade sein mag, wir finden ihren Beweis und ihre Macht in dem, was Gott gegeben hat, und haben deshalb alle Ursache, mit dem Apostel auf die Quelle aller Gnade zurückzublicken und auszurufen: „Gott aber sei Dank für Seine unaussprechliche Gabe!“

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