Das Evangelium nach Lukas

Kapitel 1

Das Evangelium nach Lukas

In den einleitenden Versen legt Lukas den Zweck dar, den er beim Schreiben seines Evangeliums verfolgte. Er wünschte, einen gewissen Theophilus, einen nichtjüdischen Mann, der sich bekehrt hatte, von der Zuverlässigkeit der christlichen Verkündigung zu überzeugen. Gott hatte ihm ein umfangreiches Verständnis all der Ereignisse von Anfang an gegeben, und nun schrieb er sie „der Reihe nach“ oder „mit Methode“ nieder. Wir werden im weiteren Verlauf der Betrachtung sehen, daß er manchmal die historische Aufeinanderfolge ignoriert, um das Geschehen unter moralischen und geistlichen Gesichtspunkten zu ordnen. Einsicht in diese moralische und geistliche Ordnung und die Klarheit der Tatsachen in ihrer schriftlichen Abfassung würde Theophilus Gewißheit bringen, und so auch uns gleicherweise. Wir erkennen hier, daß Gewißheit mit den Heiligen Schriften, dem Wort Gottes, verbunden ist. Wenn wir die Heiligen Schriften nicht hätten, hätten wir über nichts Gewißheit.

Die beiden ersten Kapitel schildern uns die Begebenheiten in Verbindung mit der Geburt Christi. In eindrucksvollen Bildern lernen wir den gottesfürchtigen Überrest in Israel kennen, aus dem Er, dem Fleisch nach, hervorkam. Das erste dieser Bilder (Verse 5–25) betrifft den Priester Zacharias und seine Frau. Sie waren „gerecht vor Gott“, woraus wir schließen können, daß Glaube dieses Ehepaar kennzeichnete und folglich auch Gehorsam gegenüber den Anweisungen des Gesetzes. Doch als ein Engel ihm ankündigte, daß seine älter gewordene und unfruchtbare Frau noch einen Sohn bekommen sollte, erbat er ein Zeichen zur Bestätigung der einfachen göttlichen Ankündigung. So erwies er sich als ein „ungläubiger Gläubiger“, was jedoch sehr typisch war, denn „die Juden fordern Zeichen“ (1. Kor 1,22). In den Regierungswegen Gottes bekam er die Folgen zu spüren, insofern das gewährte Zeichen den Verlust seiner Sprache bedeutete. Es war in dieser Lage ein sehr passendes Zeichen. Der Psalmist sagte: „Ich glaubte, darum redete ich.“ Zacharias glaubte nicht, und darum konnte er nicht sprechen.

Der Engel hatte vorhergesagt, daß der Sohn des Zacharias vor dem Herrn groß sein und mit Heiligem Geist erfüllt werden würde, um in dem Geist und der Kraft des Elias „dem Herrn ein zugerüstetes Volk zu bereiten“. In den Versen 6.9.11.15.16 und 17 ist „Herr“ gleichzusetzen mit dem alttestamentlichen Jehova“, so daß die Ankunft des Messias die Ankunft Jehovas bedeutet. Auf der Erde sollten sich solche vorfinden, die bereit waren, Christus zu empfangen, wenn Er kam. So beginnt denn das Evangelium mit einem gottesfürchtigen Priester, der das Ritual des Gesetzes im Tempel erfüllt, dem aber eine Verheißung zugesprochen wird, die mit einem Volk zu tun hat, das die Erscheinung des Messias auf der Erde erwartet. Wir bitten, diesem Sachverhalt besondere Aufmerksamkeit zu widmen, denn wir hoffen im weiteren Verlauf der Betrachtung deutlich zu sehen, daß dieses Evangelium den Übergang vom Gesetz zur Gnade und von der Erde zum Himmel bildet, so daß es mit der frohen Botschaft der Gnade für alle Völker endet und mit einem Christus, der in den Himmel auffährt, um dort einen hohenpriesterlichen Dienst auszuüben. Im ersten Kapitel finden wir einen stummen Priester. In den letzten Versen des Evangeliums finden wir Menschen im Tempel, und sie waren alles andere als stumm – sie lobten und priesen Gott. Sie waren bestimmt, Priester einer neuen Haushaltung des Heiliges Geistes zu sein.

In den Versen 26–38 haben wir die Verkündigung des Engels an Maria betreffs der Empfängnis und der Geburt ihres Sohnes. Sie war das erwählte Gefäß für dieses große Ereignis. Einige wichtige Einzelheiten sollen kurz erwähnt werden. An erster Stelle Vers 31, der es überwältigend klar macht, daß Er wahrhaftig Mensch war; „geboren von einem Weib“, wie Galater 4,4 sagt.

Zweitens stellen die Verse 32 und 33 deutlich fest, daß Er weit mehr als nur ein Mensch war. Er war „groß“ in einer Weise, wie kein anderer Mensch jemals vor Ihm, indem Er der Sohn des Höchsten ist; und Er ist dazu bestimmt, der erwartete König über das Haus Jakob zu sein und ein Königreich zu übernehmen, das für immer andauert. Es fällt uns auf, daß es bis jetzt keinerlei Anspielung gibt auf etwas, das über jene Hoffnungen hinausginge, die hinsichtlich des Messias auf den alttestamentlichen Prophezeiungen beruhten. Der Sohn des Höchsten kam, um zu herrschen, und, soweit es sich um diese Botschaft handelte, konnte diese Herrschaft unmittelbar aufgerichtet werden.

Im Verständnis Marias tauchte eine Schwierigkeit auf, die sie in Vers 34 ausdrückt. Das kommende Kind sollte David zum Vorfahren haben und doch Sohn des Höchsten sein! Sie erbat kein Zeichen, denn sie nahm die Worte des Engels an, sondern bat um eine Erklärung. Wie konnte das sein? Die Frage der Maria und die Antwort des Engels in den Versen 35–37 machen nun als drittes die Realität der jungfräulichen Geburt und den völlig übernatürlichen Charakter der Menschwerdung Jesu klar.

Es bedurfte einer Einwirkung des Heiligen Geistes, um „das Heilige“ hervorzubringen, und einer Überschattung der Kraft des Höchsten. Er ist wirklich der Sohn Davids, wie es der Schluß von Vers 32 anzeigt, doch Römer 1,3 läßt erkennen, daß der Sohn Gottes dem Fleische nach Sohn Davids war. Es war ein Wunder von höchstem Rang, aber – wie der Engel sagte – „bei Gott wird kein Ding unmöglich sein“.

Der Glaube der Maria und ihre Unterwerfung unter den wohlgefälligen Willen Gottes, soweit er sie betraf, bekunden sich sehr schön in Vers 38. Die Verse 39 bis 45 zeigen die Frömmigkeit und den prophetischen Geist, der Elisabeth auszeichnete, denn als sie Maria sah, erkannte sie sie sogleich als die Mutter „meines Herrn“. Sie wurde mit dem Heiligen Geist erfüllt und anerkannte Jesus bereits als ihren Herrn, noch bevor Er geboren war. Dies ist eine lehrreiche Illustration von 1. Korinther 12,3.

Darauf folgt in den Versen 46–55 Marias prophetischer Ausspruch. Er wurde hervorgerufen durch ihre Empfindung für die außergewöhnliche Barmherzigkeit, die ihr in ihren geringen Umständen erwiesen worden war. Obwohl sie von David abstammte,  war sie die Verlobte des einfachen Zimmermanns von Nazareth. In der Barmherzigkeit, die sie empfangen hatte, erkannte sie das Unterpfand der letztendlichen Erhöhung derer, die Gott fürchten, und die Zerstreuung der Hochmütigen und Mächtigen dieser Welt. Darüberhinaus sah sie, daß die Ankunft ihres Kindes die Erfüllung jener Verheißung sein sollte, die Abraham gegeben worden war – eine bedingungslose Verheißung Gottes. Sie hatte ihr Volk Israel nicht in dem Sinn vor Augen, als ob es sich unter dem Bund des Gesetzes irgendwelche Verdienste erworben hätte. Alles hing ab von dem Bund der Verheißung. Hungrige wurden mit Gütern erfüllt, und Reiche leer fortgeschickt. Das ist immer die Weise Gottes.

Wir dürfen nicht übersehen, daß Maria von „Gott, meinem Heiland“ sprach. Obwohl sie die Mutter unseres Heilandes war, fand sie für sich selbst ihren Heiland in Gott.

Zur gegebenen Zeit wurde der Sohn Zacharias' und Elisabeths geboren, und um die Zeit seiner Beschneidung erlangte sein Vater die Sprache zurück. Er schrieb: „Sein Name ist, Johannes“ und bekundete damit, daß er nun das Wort des Engels völlig annahm, und von daher war der Name seines Sohnes eine klare Sache. Er glaubte schließlich, doch war es Glaube, der auf das Sehen folgt, eben von der Art des jüdischen Typs. Die Folge war, daß sein Mund aufgetan wurde. Er pries Gott, und mit Heiligem Geist erfüllt, weissagte er.

Obwohl diese Weissagung durch die Geburt seines Sohnes Johannes angeregt wurde, zeigt sie das auffallende Merkmal, daß dieses Kind nur in einer weniger bedeutsamen und zweitrangigen Weise vor seinem Geist stand. Das große Thema seiner Ausführung war der noch ungeborene Christus Gottes. Er bewahrte die Dinge in ihrem rechten Verhältnis zueinander. Das war die Frucht dessen, daß er erfüllt war mit dem Heiligen Geist, der allezeit Christus verherrlicht. Hätte er nur aus der Begeisterung über die Geburt seines – vorher nicht mehr erwarteten – Sohnes gesprochen, würde er hauptsächlich oder ausschließlich über ihn und den hohen prophetischen Dienst, zu dem dieser berufen war, gesprochen haben.

Er sprach von der Ankunft Christi, als habe sie schon stattgefunden, und pries die Ergebnisse Seines Kommens, als seien sie bereits erfüllt. Dies ist ein allgemeines Merkmal der Prophezeiung: sie spricht über Ereignisse als erfüllt, die historisch noch in der Zukunft liegen. Für den Augenblick wird der Prophet in seinem Geist über alle zeitlichen Betrachtungen hinausgetragen. Zacharias sah in der bevorstehenden Erscheinung Christi, daß Gott Sein Volk besuchte, um ihm Erlösung zu schaffen. Die Rettung, die Er brachte, würde sie von all ihren Feinden befreien und sie befähigen, Ihm alle Tage ihres Lebens in Frieden, Heiligkeit und Gerechtigkeit zu dienen. All das würde die Erfüllung der Verheißung und des Eides an Abraham sein. Beachten wir, wie der Heilige Geist ihn inspiriert, sich auf die bedingungslose Verheißung an Abraham zu beziehen, genau so wie es Maria getan hatte. Auf dieser Grundlage wird der Segen Israels ruhen, und nicht auf der Grundlage des Bundes des Gesetzes.

Dabei stellen wir noch keine klare Unterscheidung zwischen dem ersten und zweiten Kommen Christi fest. In den Versen 68–75 werden Ereignisse erwähnt, die im vollen Sinn erst bei dem zweiten Kommen Christi erfüllt werden. Gewiß, die Erlösung wurde durch Christus bei Seinem ersten Kommen bewirkt, aber es war eine Erlösung durch Blut, nicht durch Macht; und es ist natürlich wahr, daß die Heiligkeit und die Gerechtigkeit, in der ein wiederhergestelltes und befreites Israel Gott während der glanzvollen Zeit des Tausendjährigen Reiches dienen wird, auf das Werk am Kreuz gegründet sein werden. Doch auch in diesen Versen werden die beiden Kommen Christi als eines gesehen.

Die Verse 76 und 77 beziehen sich direkt auf Johannes, der gerade geboren worden war. Er sollte vor dem Angesicht des Herrn hergehen und Seine Wege bereiten. Er sollte Seinem Volk Erkenntnis des Heils geben in Vergebung ihrer Sünden. Er tat das, wie Kapitel 3,3 berichtet, in Verbindung mit seiner Taufe. Beachten wir, daß hier „Sein Volk“ in einem neuen Sinn zu verstehen ist – es ist nicht mehr Israel als Volk, sondern es sind jene, die den gläubigen Überrest in dessen Mitte bilden.

Alles hat die Barmherzigkeit zur Grundlage, selbst bei Johannes und seinem Dienst, der dem des Elia ähnelte. Es geht um „Vergebung ihrer Sünden durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes“.

In den Versen 78 und 79 kehrt Zacharias zu dem Kommen Christi zurück, und alles gründet hier auf dem Boden derselben Barmherzigkeit, denn das Wort „durch“ verbindet das, was folgt, mit der soeben erwähnten Barmherzigkeit. „Der Aufgang aus der Höhe“ ist eine besonders liebliche Umschreibung Christi. Andere mögliche Wörter für „Aufgang“ wären „Morgendämmerung“ oder „Sonnenaufgang“. Sein Kommen war wirklich die Dämmerung eines neuen Tages. Jeder irdische Sonnenaufgang ist für menschliche Augen ein Aufsteigen von unten her aufwärts. Dieser eine war „aus der Höhe“, das heißt von oben her abwärts. Der Geist Gottes trieb Zacharias durch Inspiration, das Dämmern eines Tages anzukündigen, der neu sein würde, obwohl das ganze Wunder dieses Tages bis jetzt vor seinen Augen verborgen war.

Er sah jedoch, daß dieser Tag den Menschen sowohl Licht als Frieden brachte. Und hier beginnt er über Dinge zu sprechen, die beim ersten Kommen Christi in herrlicher Weise erfüllt wurden. Als Er Seinen öffentlichen Dienst begann, begann das Licht zu leuchten, und der Weg des Friedens wurde durch Seinen Tod und Seine Auferstehung wirklich und wahrhaftig bereitet, so daß die Füße Seiner Jünger ihn bald danach beschreiten konnten. Die Weissagung des Zacharias schließt mit diesen ausnehmend schönen Worten. Der erste flüchtige Eindruck, den wir von ihm hatten, war der eines verstörten, furchtsamen Menschen. Sein letztes Wort, das die Schrift berichtet, ist „Frieden“. Er hatte durch den Glauben das Kommen des Heilandes geschaut, gleich dem Dämmern eines neuen Tages voller Segen, und das machte den Unterschied aus.

Vers 80 faßt das ganze Leben des Johannes bis zum Beginn seines Dienstes zusammen. Gott beschäftigte sich mit ihm in der Stille der Wüsteneien, um ihn für die ernste Bußpredigt zuzubereiten, die in kommenden Tagen sein Auftrag war.

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