Betrachtung über 1. Korinther (Synopsis)

Kapitel 14

Betrachtung über 1. Korinther (Synopsis)

Die Gläubigen sollten daher der Liebe nachjagen, nach ihr streben und zugleich um die Gaben eifern, besonders dass sie weissagten; denn dann würden sie die Versammlung erbauen, und das war es, wonach sie trachten sollten. Das war es, was die Liebe begehrte und suchte, und was auch die Einsicht forderte – die beiden Kennzeichen eines Mannes in Christus eines Menschen, für den Christus alles ist.

Zwei Verse in diesem Kapitel, der dritte und sechste, erfordern einige Aufmerksamkeit. Der erstere gibt uns nicht eine Auslegung darüber, was unter Weissagung zu verstehen ist, sondern bezeichnet die Wirkung oder besser die Eigenschaften dessen, was ein Prophet sagt. Der Prophet erbaut, ermuntert, tröstet durch sein Sprechen. Jedoch beschreiben diese Ausdrücke den Charakter dessen, was er sagte. Das Weissagen ist keineswegs nur die Offenbarung zukünftiger Ereignisse, obwohl Propheten als solche derartige Ereignisse offenbart haben. Ein Prophet ist jemand, der so in Gemeinschaft mit Gott ist, dass er fähig ist, die Gedanken Gottes mitzuteilen. Ein Lehrer unterweist nach dem, was schon geschrieben ist und erklärt die Tragweite desselben. Aber indem der Prophet die Gedanken Gottes den Seelen, die unter der Gnade waren, mitteilte, ermunterte und erbaute er sie.

Was den sechsten Vers anlangt, so ist es klar, dass, wenn jemand mit Sprachen kam (durch deren Anwendung die Korinther Kindern gleich in der Versammlung zu glänzen suchten), der Redende niemand erbaute, denn man verstand ihn nicht. Vielleicht verstand er sich auch selbst nicht, sondern war nur das aus eigener Einsicht entbehrende Werkzeug des Geistes; wohl hatte er den mächtigen Eindruck von der Tatsache, dass Gott durch ihn redete, so dass er durch den Geist fühlte, dass er mit Gott in Gemeinschaft war, aber sein Verständnis blieb fruchtleer. Jedenfalls konnte niemand zur Erbauung der Versammlung reden, es sei denn, dass er die Gedanken Gottes mitteilte.

Der Apostel unterscheidet zwei Arten solcher Mitteilungen: Offenbarung und Erkenntnis. Die letztere setzt eine bereits gegebene Offenbarung voraus, deren sich jemand durch den Heiligen Geist zum Wohle der Herde bediente. Hierauf bezeichnet der Apostel die Gaben, welche die bezüglichen Mittel bildeten, um auf jene beiden Arten die Versammlung zu erbauen. Nicht als ob die beiden letzten Ausdrücke in Vers 6 gleichbedeutend wären mit den beiden ersten; aber die beiden Dinge, von denen hier als zur Auferbauung der Kirche dienend gesprochen wird, wurden vermittels dieser beiden Gaben ausgeübt. Es konnte „Weissagung“ da sein, ohne dass es unbedingt eine neue Offenbarung sein musste, obwohl mehr in ihr vorhanden war als Erkenntnis. Sie konnte eine Anwendung der Gedanken Gottes enthalten – Gott konnte sich dadurch an die Seele, an das Gewissen wenden, was mehr als Erkenntnis, aber dennoch keine neue Offenbarung war. Gott war darin wirksam, ohne eine neue Wahrheit oder eine neue Tatsache zu offenbaren. „Erkenntnis“ oder „Lehre“ unterweisen in den Wahrheiten oder erklären das Wort – eine für die Versammlung sehr nützliche Sache; aber die unmittelbare Tätigkeit des Geistes kommt nicht dabei in Anwendung, und daher fehlt auch die unmittelbare Offenbarung der Gegenwart Gottes für die Menschen in ihrem eigenen Gewissen und Herzen. Wenn jemand lehrt, so hat der geistliche Christ Nutzen davon; wenn jemand weissagt, wird selbst der ungeistliche es fühlen, er wird erreicht und beurteilt, und so ist es auch mit dem Gewissen des Christen. „Offenbarung und Erkenntnis“ stellen einen vollkommenen Abschnitt dar und umfassen alles, „Weissagung und Lehre“ stehen in inniger Beziehung zu jenen beiden, aber die Weissagung schließt andere Vorstellungen ein, so dass dieser Abschnitt (Weissagung und Lehre) nicht genau den beiden ersten Ausdrücken entspricht.

Der Apostel spricht ausführlich von der Notwendigkeit, sich verständlich zu machen, ob man nun rede oder singe oder bete. Er will – und diese Bemerkung ist von großer Wichtigkeit für die Beurteilung der anmaßenden Behauptungen mancher, dass sie durch den Geist reden –, dass der Verstand in Tätigkeit sei. Er leugnet nicht, dass sie in Sprachen reden konnten, ohne dass irgendein Verständnis dabei vorhanden war – ein augenscheinlicher Beweis von Kraft und eine nützliche Sache, wenn Personen anwesend waren, die keine andere Sprache verstanden oder in deren Muttersprache das Geredete gesprochen wurde. Aber im Allgemeinen war es eine untergeordnete Sache, es sei denn, dass der Heilige Geist auf das Verständnis des Redenden und so durch dieses Verständnis wirkte. Eine Gemeinschaft der Seelen betreffs eines gemeinsamen Gegenstandes, bewirkt durch die Einheit des Geistes, war nicht vorhanden, wenn der Redende nicht verstand, was er sagte. Der Redende genoss das, was er anderen mitteilte, selbst nicht als von Gott kommend; wenn nun die anderen es auch nicht verstanden, so war es ein kindisches Spiel, Worte auszusprechen, die ohne Bedeutung für die Zuhörer waren. Aber der Apostel wünschte selbst zu verstehen, was er sagte, obwohl er viel in Sprachen redete, so dass es nicht Eifersucht seinerseits war, wenn er so sprach. Er redete durch die Gabe des Heiligen Geistes mehr in fremden Sprachen als sie alle, aber sein Herz liebte die Dinge Gottes, er empfing gern die Wahrheit von Ihm in einsichtsvoller Weise, und er wünschte auch mit anderen eine verständliche Sprache zu reden; ja, er wollte lieber fünf Worte mit seinem Verstand reden, als zehntausend in einer fremden Sprache.

Welch eine wunderbare Kraft zeigt sich hier, welch eine Offenbarung der Gegenwart Gottes – eine Sache, die unsere tiefste Aufmerksamkeit verdient; und zugleich welch eine Erhabenheit über alle fleischliche Eitelkeit und über den Glanz, der durch die Gaben auf den Menschen zurückfiel! Welch eine moralische Kraft des Geistes Gottes, indem die Liebe in diesen Offenbarungen der Macht in den Gaben nur Mittel erblickte, die zum Wohl der Versammlung und der Seelen benutzt werden sollten! Es war die praktische Kraft jener Liebe, zu deren Ausübung, als über den Gaben stehend, der Apostel die Gläubigen ermahnte. Es war die Liebe und die Weisheit Gottes, welche die Ausübung seiner Macht zum Wohle derer, die Er liebte, leitete. Welch eine Stellung für einen Menschen! Welche Einfalt wird durch die Gnade Gottes einem Mann mitgeteilt, der sich selbst in Demut und Liebe vergisst, und welche Kraft liegt in dieser Demut! Der Apostel bekräftigt seine Beweisführung durch einen Hinweis auf die Wirkung, die auf Fremde, die in die Versammlung kamen, oder auf nicht erleuchtete Christen ausgeübt werden würde, wenn sie Sprachen reden hörten, die niemand verstand; sie würden denken, die Versammelten seien von Sinnen. Hingegen würde die Weissagung, die ihr Gewissen erreichte, sie fühlen lassen, dass Gott da war, dass Er in der Versammlung Gottes gegenwärtig war.

Gaben waren in Korinth reichlich vorhanden. Nachdem der Apostel das auf sittliche Fragen Bezügliche geordnet hat, regelt er in zweiter Linie die Ausübung dieser Gaben. Ein jeder kam mit irgendeiner Offenbarung der Macht des Heiligen Geistes, von der sie augenscheinlich höher dachten als von der Gleichförmigkeit mit Christus. Nichtsdestoweniger erkennt der Apostel die Macht des Geistes Gottes darin an und gibt Regeln für ihre Ausübung. Zwei oder drei mochten in Sprachen reden, vorausgesetzt, dass ein Ausleger da war, damit die Versammlung erbaut würde, und zwar sollte dies einzeln geschehen, denn es scheinen sogar mehrere zu gleicher Zeit gesprochen zu haben. Das Gleiche galt für die Propheten: zwei oder drei mochten reden, und die anderen sollten urteilen, ob das, was gesagt wurde, wirklich von Gott kam. Denn wenn Gott ihnen die Fähigkeit dazu gab, konnten alle weissagen, doch immer nur nacheinander, damit alle lernen möchten – eine Abhängigkeit, die auch für die begabtesten Propheten immer gut ist – und damit alle getröstet würden. Die Geister der Propheten (d. h. der Antrieb der Kraft in der Ausübung der Gaben) waren der Leitung des Verständnisses unterworfen, das der Geist den Propheten gab. Diese waren von Seiten Gottes Herren ihrer selbst bei dem Gebrauch jener Gaben, bei der Ausübung der wunderbaren Kraft, die in ihnen wirkte. Es war nicht eine göttliche Begeisterung (wie die Heiden ihre teuflische Inspiration nannten), die sie mit sich fortriss; denn Gott konnte nicht der Urheber von Verwirrung in der Versammlung sein, sondern nur von Frieden. Mit einem Wort, wir sehen, dass diese Kraft dem Menschen in seiner Verantwortlichkeit anvertraut war – ein wichtiger Grundsatz, der in den Wegen Gottes unveränderlich ist. Gott errettete den Menschen aus Gnaden, als dieser seiner Verantwortlichkeit nicht entsprochen hatte; aber der Mensch ist verantwortlich, alles das, was Gott ihm anvertraut hat, wie groß oder klein die göttliche Kraft der Gabe auch sein mag, zur Verherrlichung Gottes und folglich zum Wohle anderer, und besonders der Versammlung, zu gebrauchen.

Die Frauen sollten in der Versammlung schweigen, es war ihnen nicht erlaubt zu reden. Sie sollten in Unterwürfigkeit bleiben und nicht andere leiten. Das Gesetz führte übrigens dieselbe Sprache. Es wäre schändlich, eine Frau öffentlich reden zu hören. Wenn sie Fragen zu stellen hatten, so mochten sie daheim ihre Männer fragen.

So zahlreich die Gaben der Korinther waren, – das Wort war doch nicht von ihnen ausgegangen noch zu ihnen allein gekommen; sie hatten sich der allgemeinen Ordnung des Geistes in der Versammlung zu unterwerfen. Wenn sie vorgaben, vom Geist geleitet zu werden, so sollten sie erkennen (und dadurch würden sie die Richtigkeit ihrer Behauptung beweisen), dass das, was der Apostel ihnen schrieb, Gebote des Herrn waren. Diese Versicherung des Apostels ist von der höchsten Wichtigkeit und bringt diesen bewunderungswürdigen Diener Gottes in eine sehr verantwortungsvolle und ernste Stellung.

Welch einer Mischung von Zärtlichkeit, Geduld und Autorität begegnen wir hier! Der Apostel wünscht, dass die Gläubigen, durch ihre eigenen Gefühle geleitet, zur Wahrheit und Ordnung kommen möchten; wenn es zu ihrem Besten notwendig ist, fürchtet er sich nicht, eine Autorität geltend zu machen, gegen die es keine Berufung gab, da er unmittelbar von Gott aus redete – eine Autorität, die der Rechtfertigung von Seiten Gottes sicher war, wenn der Apostel gezwungen wurde, sie gegen seinen Willen zu gebrauchen. Wenn jemand nicht wusste, dass Paulus durch den Geist und mit der Autorität Gottes schrieb, so war das eben Unwissenheit; ein solcher mochte seiner Unwissenheit überlassen bleiben. Geistliche und einfältige Menschen würden von den Behauptungen eines solchen Unwissenden befreit werden, und diejenigen, die wahrhaft mit dem Geist erfüllt waren, würden erkennen, dass das, was der Apostel schrieb, unmittelbar von Gott kam und der Ausdruck seiner Weisheit war, der Ausdruck dessen, was seinem Charakter entsprach; denn es mag oft geschehen, dass man göttliche oder selbst menschliche Weisheit (wenn sie sich findet) anerkennt, während man selbst nicht vermocht hat, diese Weisheit zu entdecken noch auch, falls man sie teilweise erfasst hatte, die Kraft besaß, sie mit Autorität zu offenbaren. Der anmaßende, von seiner Unwissenheit überführte Mensch aber würde den Platz, an den er so gebracht wurde, nützlich finden und gerade das empfangen, was ihm Not tat.

Beachten wir hier auch die Wichtigkeit dieser Behauptung des Apostels hinsichtlich der göttlichen Eingebung seiner Briefe. Seine Unterweisungen, sogar bezüglich der Einzelheiten der Ordnung in der Versammlung, waren so wirklich von Gott gegeben, kamen so völlig von Gott, dass sie Gebote des Herrn waren. Was die Lehre betrifft, so finden wir am Schluss des Römerbriefes dieselbe Erklärung, dass nämlich das Evangelium vermittels prophetischer Schriften unter den Nationen verbreitet worden war.

Der Apostel fasst seine Unterweisungen dahin zusammen, dass er sagt, sie sollten danach eifern zu weissagen, nicht wehren in Sprachen zu reden, und alles solle anständig und in Ordnung geschehen.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel