Franz Kaupp – Biographie

Franz Kaupp wurde am 6. November 1866 in Freudenstadt geboren. Seine Eltern waren gläubige Protestanten. Sein Vater starb, als Franz erst drei Monate alt war. Die Mutter kehrte deshalb in das Haus ihrer Eltern zurück und arbeitete als Tagelöhnerin im Wald. Ihr karges Mittagsmahl bestand nur aus einem Stück Schwarzbrot; dazu trank sie einen Becher frischen Quellwassers. In dieser schlichten Art wurde Franz erzogen. Schon mit fünf Jahren kam er zur Schule und war bis zur Entlassung der beste Schüler in seiner Klasse. Da er sehr lernbegierig war, durfte er die „Mittelschule“ besuchen. In frühen Kinderjahren litt er einmal an Scharlach und Schleimfieber. Diese Krankheit zog sich auf seine Augen und Ohren, so dass er zeitlebens schlecht sah und in jener Zeit ganz taub war, was sich aber später besserte. Mit vierzehn Jahren kam er zu einem Bäckermeister in die Lehre, der jedoch nach einem Jahr starb. Franz schnallte seinen vom Onkel geerbten Ranzen aus ungegerbtem Kalbsfell um und zog auf Schusters Rappen - kaum fünfzehnjährig - in die Fremde. Er fand Arbeit in Straßburg, wo er sechzehn Stunden arbeiten musste und dafür in einer Woche nur fünf Mark Lohn erhielt. Mit achtzehn Jahren finden wir ihn in Mülhausen, wo auch ein älterer Vetter von ihm arbeitete, der eine christliche Gemeinschaft besuchte und Franz öfter zu den Versammlungen abholte. In Mülhausen war es auch, wo er mit Bruder Charles Vodoz zusammentraf, der mit dem Zeigefinger aufs Herz deutete und zu ihm sagte: „Franz, du bist ein verlorener Sünder!“ Diese offenen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Er kannte das göttliche Urteil an, und im Blute des geschlachteten Lammes fand er bald darauf Vergebung der Sünden und Frieden mit Gott. Fortan kannte er nichts anderes, als Jesum zu loben und Seinen Namen zu bekennen.

Sein Eifer im Besuch der Zusammenkünfte war groß. Trotz durcharbeiteter Nächte lieg er sich nicht abhalten, mehr von Gott und Seinem Wort zu hören. An einem Sonntagmorgen war er erst kurz vor Versammlungsbeginn mit der Arbeit fertig; aber sein Eifer ermöglichte es ihm, sich in fünf Minuten zu waschen und in die Sonntagskleider zu schlüpfen. Nur für das Anziehen der Strümpfe und das Umbinden der Krawatte blieb keine Zeit mehr. Im Eiltempo ging es durch mehrere Straßen, und zu Beginn der Stunde saß er auf seinem Platz.

Als Zwanzigjähriger kam Bruder Kaupp wieder nach Freudenstadt zurück, da er sich zur militärischen Musterung stellen musste. In Gottlob Stufft, der durch ihn bekehrt wurde, fand er einen treuen Freund, durch den wieder andere zu Jesu geführt wurden, und so entstand in Freudenstadt eine kleine Versammlung. Seine Mutter las nun im Verborgenen seine Schriften und Traktate und fand ebenfalls Vergebung der Sünden, Frieden mit Gott und besucht die Zusammenkünfte In Freudenstadt. In dieser Zeit fing Bruder Kaupp auch an, Französisch zu lernen, um dann als Wanderbursche in die französische Schweiz zu ziehen.

Da er selbst alles auf seine Richtigkeit hin prüfen wollte - er fand beim Lesen der Bibel und Auslegungen immer wieder Hinweise auf das Griechische oder Hebräische -, fing er an, auch diese Sprachen zu lernen. Er studierte ohne Lehrer, immer als Bäckergeselle: Griechisch, Lateinisch, Englisch und später noch Hebräisch. Hier ein Beispiel seiner Beharrlichkeit: in der französischen Schweiz besaß sein Meister ein Lehrbuch der Stenographie, der er sich aus Liebhaberei widmete. Kaupp bat ihn verschiedene Male, es ihm zu leihen, aber der Meister erwiderte ihm, dass das nichts für ihn sei. Als er im Begriff war, bei einem anderen Meister Arbeit anzunehmen, bat er ihn, ihm das geheimnisvolle Buch für fünf Minuten zu leihen. Franz merkte sich Titel und Verleger und ließ sich das Buch kommen. Jeden Tag studierte und übte er eine halbe Stunde, und nach vierzehn Tagen schrieb er seinem früheren Meister stenographisch, dass er ihn mit seinem neuen Meister zu besuchen beabsichtige.

Nach zwölf Jahren Wanderschaft in der Schweiz und im Elsaß machte er sich in Gebweiler als Bäckermeister selbständig. Im September 1893 heiratete er Sophie Schweizer. In jeder freien Minute widmete er sich weiterhin seinen Studien. Seine Bücher lagen stets offen auf seinem Schreibtisch; niemand durfte sie berühren. War die Suppe zu heiß oder das Gemüse noch nicht auf dem Tisch, warf er schnell einige Blicke in die Bücher. Aus Liebe zum Studium vermietete er 1906 die Bäckerei und wurde Büroangestellter in einer Mehlhandlung. Er hatte nur die Ein- und Ausgänge im Magazin zu überwachen und deshalb viel Zeit für seine persönliche Lektüre. Im April 1911 verlor er seine geliebte Gattin, so dass er seine einzige Tochter schweren Herzens für zwei Jahre in Pension geben musste. In dieser Zeit fand er großen Trost im Worte Gottes, dem er sich noch mehr als früher widmete. Er schrieb für seinen eigenen Gebrauch Betrachtungen und Studien bis in die späte Nacht. Als Bäcker konnte er zu jeder Stunde wachen und zu jeder Zeit schlafen. Seiner Tochter schrieb er einmal: „Sonntagmorgen, vier Uhr ... Du schläfst wohl den Schlaf des Gerechten, aber Papa hat vergessen, ins Bett zu gehen und merkt gerade, dass es Tag wird. Will schnell noch zwei bis drei Stunden ins Bett...“.

Im April 1914 kaufte Bruder Kaupp ein kleines Heim außerhalb der Stadt, das er vom Keller bis zum Dach instand setzen ließ. Über der Haustür wünschte er, dass das Wort „Linquenda“ (= „Zu Verlassendes“) angebracht würde, das ihn stets daran erinnern sollte, dass er hier keine bleibende Stätte habe, ein Wort, das er noch in seiner vollsten Bedeutung erleben sollte.

1914 kam der erste Weltkrieg, 1918 der erste Waffenstillstand. Am 1. April 1919 wurde Bruder Kaupp als Deutscher aus dem Elsaß ausgewiesen, Niemand konnte begreifen, wie dies möglich war, denn Bruder Kaupp hatte sich getreu dem göttlichen Wort jeder Politik ferngehalten. Nur was er mit beiden Händen tragen konnte, durfte er mitnehmen; Bruder Kaupp sah in diesem Schweren Gottes Hand. Obwohl er um all sein Hab und Gut kam, hat er doch nie Mangel gelitten. Wohl waren die ersten Jahre der Ausweisung für den Dreiundfünfzigjährigen sehr schwer. Er stand vor dem völligen Nichts; aber der Herr war mit ihm.


In Freudenstadt im Schwarzwald kam er als Angestellter auf das Verkehrsbüro der Kurverwaltung, wo er bis 1944 tätig blieb. Im April 1925 verheiratete er sich zum zweiten Mal mit der Handarbeitslehrerin Fanny Wirth. So erhielt er wieder ein freundliches Zuhause.

Seine freien Augenblicke benutzte er zu schriftstellerischen Arbeiten. Viele Frage-Beantwortungen und manche Kalenderzettel sind aus seiner Feder hervorgegangen; auch übersetzte er das Werk von J. N. Darby: „Wegzehrung für den Pilger“ sowie die Betrachtung über den Kolosserbrief von W. Kelly. Er hatte aber auch auf viele persönliche Anfragen Antwort zu geben. Diese Anfragen mehrten sich besonders nach 1928, als die „Essener Stündchenbrüder“ fremde Ideen brachten. Sie gaben sich viel Mühe, Bruder Kaupp für ihre neuen Ideologien zu gewinnen, aber er durchschaute von Anfang an die Gefahr des Abweichens vom göttlichen Wort.

Viele wandten sich an Bruder Kaupp um Aufklärung; seine Antworten wurden vervielfältigt und weit über Deutschland hinaus verbreitet. In dieser Zeit haben viele verstanden, warum Gott es zuließ, dass er aus dem Elsaß ausgewiesen worden war. Der Herr hatte ihm hier eine große Arbeit anvertraut; denn eine Reihe der „Stündchenbrüder“ waren Akademiker, die mit Griechisch und Latein operierten, und um mit ihnen disputieren zu können, musste man diese Sprachen schon kennen.

1937 wurden die „Christlichen Versammlungen“ von der Gestapo (= Geheime Staatspolizei) verboten. Es wirkte wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Lokale wurden geschlossen, Bibeln und Liederbücher beschlagnahmt. Bruder Kaupp, gehorsam dem göttlichen Wort, versammelte sich mit den Geschwistern nach wie vor, so dass er von der Gestapo verhaftet und vor Gericht gestellt wurde. Der Präsident des gefürchteten Sondergerichtes 1  versuchte durch heftige Ausfälle den Angeklagten einzuschüchtern. Bruder Kaupp stellte in schlichten Worten den Tatbestand fest, indem er ausführte, dass „es sich um ein klares Bekenntnis zu der Person des Sohnes Gottes, Jesu Christo, handle; einen weiteren Zweck hätten die „Christlichen Versammlungen“ nie verfolgt. Politische Dinge seien in ihrer Mitte nicht erörtert worden, so dass das, dessen er und die „Versammlungen“ angeschuldigt würden, nicht zutreffe.“ Nach den einfachen, aber eindrucksvollen Ausführungen herrschte im dicht gefüllten Gerichtssaal und beim Gericht selber peinliches, verlegenes Schweigen. Schließlich verlangte der Gerichtspräsident unter heftigen Gestikulationen, dass die Fenster geöffnet würden - es war am 8.Februar 1938! - er könne es „in dieser Schwüle“ nicht mehr aushalten! Dann ergriff der Staatsanwalt das Wort und erklärte, dass es heute genau so sei wie zur Zeit des Römischen Reiches, da die christliche Religion die Staatsautorität unterminiert habe. so sei auch jetzt die gleiche Gefahr für das Deutsche Reich gegeben, dass Ansichten wie die des Angeklagten eine Untergrabung des deutschen Staatsgebildes zur Folge haben könnten! Bruder Kaupp wurde jegliche religiöse Tätigkeit - sowohl mündlich als auch schriftlich - verboten.

Seit dieser Zeit haben die öffentlichen Zusammenkünfte, die im Urteil erneut verboten wurden, nicht mehr stattgefunden. Wohl hat Bruder Kaupp weiterhin Freunde und Bekannte besucht, sie getröstet und zum Ausharren in Christo ermuntert. Öfter an ihn ergangene Anfragen bezüglich der Auslegung des göttlichen Wortes hat er schließlich auch brieflich beantwortet.

Diese von ihm geübte Gepflogenheit, die ja mit politischen Dingen auch wirklich gar nichts zu tun hatte, wurde als Verstoß gegen das im April 1937 erlassene Versammlungsverbot betrachtet. So sind in Deutschland viele, die den gleichen Weg wie Bruder Kaupp gingen, unschuldig zu schweren Strafen und Gefängnis verurteilt worden. Mehrere von ihnen sind nach den erlittenen Gefängnisstrafen heimgegangen.

In ganz Deutschland wurde bei Personen, die mit Bruder Kaupp in Verbindung standen - die Gestapo fand bei ihm ein Verzeichnis der Brüder, mit denen er korrespondierte - Hausdurchsuchungen veranstaltet, nach Briefen und Schriften geforscht und die hin und wieder gefundenen „Dokumente“ benutzt, um anzuzeigen, dass die verbotenen Versammlungen weiterhin stattfinden. Glücklicherweise sind vielen durch diese Geschehnisse die Augen über den christusfeindlichen Nationalsozialismus aufgegangen.

1942 regte sich die Gestapo, nachdem sie sich längere Zeit ziemlich passiv verhalten hatte, erneut. In vielen Orten kam es wieder zu Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Auch Bruder Kaupp wurde im November 1942 wieder verhaftet. Er kam in das Gefängnis von Freudenstadt, wurde aber vom bürgerlichen Amtsrichter nach fünf Tagen auf freien Fuß gesetzt. Als die Gestapo dies erfuhr, wurde er wiederum in Haft gesetzt, und es wurde Hausdurchsuchung gehalten.

Zum zweiten Mal beraubten sie ihn seiner Schreibmaschine und beschlagnahmten aus seiner Bibliothek 181 Bücher und Broschüren, vor allem auch seine wertvollen Manuskripte, die Frucht einer Arbeit von über dreißig Jahren. Am Sylvesterabend wurde er entlassen. Bei der Gerichtsverhandlung wurde ihm zur Last gelegt, die verbotenen christlichen Versammlungen auf schriftlichem Wege weitergeführt zu haben. Es wurde ihm gedroht, man würde in Zukunft keine Rücksicht mehr nehmen auf sein hohes Alter, wenn er wieder biblische Fragen beantworte und mit der Bibel in der Tasche Besuche mache, er komme dann nicht mehr ins Gefängnis, sondern ins Konzentrationslager; auch wurde ihm eine Buße von tausend Mark zudiktiert, aber der Verlust seiner Bücher und Manuskripte war ihm weit schmerzlicher, weil sie nicht mehr zu ersetzen waren.

Auf eine schriftliche Anfrage bei der Gestapo, ob er sie nicht wieder zurückhaben könne, teilte man ihm mit, dass es „unerwünschtes Schrifttum“ sei und beschlagnahmt bleibe. Bruder Kaupp schrieb an die Gestapo zurück, er danke für die Antwort, sie ließe tief blicken, aber er nehme sie auf nach Hebr 10,34: „Ihr habt ... den Raub eurer Güter mit Freuden aufgenommen, da ihr wisset, dass ihr für euch selbst eine bessere und bleibende Habe besitzet."

In den Jahren 1943/44 kam Bruder Kaupp fast jeden Monat für 2-3 Tage in den Elsaß, nach Schlettstadt, wo seine Tochter verheiratet war. Trotz der mühevollen Reise freute er sich immer, inmitten seiner Kinder und Enkel zu sein. Immer und immer ermahnte er sie, sich nicht damit zu begnügen, dem Herrn anzugehören, sondern auch Zeugen für den Herrn und die Wahrheit zu sein. Besonders wichtig war es ihm, dass sie den Weg, den die Väter im Glauben gegangen sind, nicht verlassen möchten.

Es bedarf keiner Frage: Bruder Kaupp war einer der Zeugen, die mannhaft, treu und furchtlos in Zeiten des Verbotes nach dem Grundsatz gehandelt haben: „Ihr sollt Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

Im November 1944 war Bruder Kaupp zu einer Beerdigung in Pforzheim eingeladen, wo er sprechen durfte. Es war eine merkwürdige Tatsache, dass - wohl aus Ironie - den Brüdern zu Beerdigungen erlaubt wurde zu reden. Auf der Heimreise griffen Flieger den Eisenbahnzug an, und alles stürzte in die Unterführungen. Es war kalt, und ein schneidender Wind wehte. Durchnässt und steif gefroren kam Bruder Kaupp nachts um zwei Uhr in Freudenstadt an. Es folgte eine schwere Grippe, von der er sich nicht mehr erholte. Eine Schwester, die ihn besuchte, fragte ihn: „Nicht wahr, Bruder Kaupp, es ist doch schön, wenn man gerüstet ist, wenn der Herr uns ruft!“ „Gerüstet? Was bloß gerüstet? Nein, in Spannung bin ich, wie es sein wird, wenn ich den Herrn sehe!“ antwortete Bruder Kaupp. Am 8. Februar 1945 entschlief er ruhig im Herrn. Von den täglichen Alarmen und Bombenabwürfen hat er nicht mehr viel wahrgenommen. Am Tage seiner Beerdigung kam kein einziger Flieger; eine Bombe hingegen zerstörte drei Tage später den Kursaal vollständig. Seine Arbeitskollegen bemerkten zu Frau Kaupp: „Wenn Herr Kaupp noch in unserer Mitte gearbeitet hätte, wäre keine Bombe auf den Kursaal gefallen.“ Ein solches Vertrauen hatten sie zu ihrem Kollegen. Er war in Wirklichkeit allerorten und auf seinem ganzen Lebenswege ein Zeugnis für Jesum, seinen Heiland und Herrn.

Fußnoten

  • 1 Wie verlautet, wurde er 1945 beim Einmarsch der Franzosen gehängt.